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Trotz meiner inneren Anspannung bezüglich des Besuchs quälte ich mich nur mühsam in eine aufrechte Position. Obwohl ich schon Monate lang jeden Tag Workouts machte, tat mir heute alles weh. Hinzu kamen noch meine negativen Gedanken - perfekte Kombi.

Von meinem Bett aus konnte ich einen Blick in meinen Ganzkörperspiegel erhaschen und der Anblick gefiel mir gar nicht. Nun ja, das war ja auch nichts Neues. Allerdings kamen gerade noch meine verwuschelten Haare und verschlafenen Augen hinzu, was nicht zu einem positiveren Blick auf mich selbst beitrug. Mit meinen bloßen Händen fuhr ich durch meine Haare und versuchte zu retten, was noch zu retten war. Schnell musste ich mir allerdings eingestehen, dass es nicht viel gab, was gerettet werden konnte.

Der Blick in den Spiegel war zu schmerzhaft, weshalb ich in meinem Bett soweit zurück rutschte, dass ich meinen Rücken an die Wand anlehnen und mein Spiegelbild nicht mehr sehen konnte.

Immer noch fragte ich mich: Wer wollte mich sehen?

Diese Frage beantwortete sich, als es zaghaft an meiner Zimmertür klopfte. Mit pochendem Herzen beobachtete ich, wie meine Tür sich langsam öffnete. Sofort erkannte ich die hellblonden Haare, die fast weiße Haut und die eisblauen Augen - Alisa.

Sie wäre die Letzte von meinen Freundinnen gewesen, die ich hier vermutet hätte. Nicht, dass ich sie weniger mochte oder dass sie nicht wirklich zu unserer Gruppe gehörte. Alisa war nur schon immer ziemlich still gewesen und hielt sich lieber im Hintergrund auf. Ganz anders als Katy und Charly, beispielsweise. Da Katy meine beste Freundin war, war auch ich automatisch eine der Lauteren. Die Betonung hierbei lag auf war ...

„Hey Liv... darf ich reinkommen?", es war Alisa ins Gesicht geschrieben, wie unwohl sie sich fühlte, doch ich machte ihr keinen Vorwurf. Ich wusste ja nicht einmal selbst, wie man am Besten mit mir umgehen sollte. Also nickte ich. Erleichtert atmete sie aus und betrat mein Zimmer. Ich beobachtete, wie sie die Tür hinter sich zuzog und sich dann auf meinem Schreibtischstuhl niederließ. Ohne es zu wollen bewegte sie sich so zart und elegant, weshalb sie mich schon immer an eine Elfe erinnert hatte. Irgendwie tröstete es mich in diesem Moment, dass sich wenigstens etwas nicht verändert hatte.

„Wie geht es dir?", fragte meine Freundin schließlich und in ihren Augen sah ich, dass die Antwort sie wirklich interessierte. Nur wusste ich die Antwort auf diese Frage selbst nicht. "Gut" konnte ich schonmal ausschließen. Klar, es gab Momente, in denen fühlte ich mich besser, zum Beispiel wenn die Zahl auf der Waage sank. Doch überwiegend fühlte ich mich ... schlecht? Nein. Leer traf es besser.

Erst zuckte ich nur mit den Schultern, doch dann tat es mir Leid, ihr nicht mehr sagen zu können. Den Blick auf meine Hände gerichtet murmelte ich: „Ich weiß es nicht so genau, um ehrlich zu sein."

„Ich verstehe das."

Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „So ging es mir auch."

Verwirrt und erschrocken zugleich sah ich sie an, der Blick ihrer glasigen Augen bohrte sich in mein Gedächtnis. Ich verstand nicht so ganz, was sie meinte.

„Deswegen bin ich hier, Olivia. Es gibt da etwas, dass du wissen solltest.", kurz sah sie auf ihre Hände, dann atmete sie einmal tief durch.

„Eigentlich wollte ich nicht, dass das jemals irgendwer von euch erfährt. Irgendwie habe ich mich immer dafür geschämt, dabei wollte ich so gerne einfach so normal sein wie alle anderen auch. Aber jetzt passiert das auch mit dir und...", sie suchte nach den richtigen Worten und schluckte. Dieses Gespräch musste unglaublich schwer für sie sein.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 22, 2020 ⏰

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Zwischen Tag und Nacht || anorexia nervosaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt