Meine Geschichte

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„Wie soll ich ihnen die Wahrheit meiner Geschichte beweisen? Ich habe leider kein Videotagebuch über die letzten fünf Jahre geführt und sonst kann ich ihnen nur mein Wort geben, dass das was ich sage der Wahrheit entspricht.“

„Nun ja, zunächst wäre es wohl ein Anfang, wenn sie mir ein wenig mehr von dem erzählen würden, was passiert ist nachdem die Queen’s Gambit in Richtung China ausgelaufen ist.“

Ich atme noch einmal tief durch, dann beginne ich zu reden. Während ich erzähle blitzen immer wieder Bilder in meinem Kopf auf, die ich bislang immer zu verdrängen versucht habe.

„Ich war mit meinem Vater, seinem Freund und Sara auf der Yacht. In der Nacht gab es einen heftigen Sturm. Plötzlich ging das Boot unter. Wir wurden mit in die Tiefe gerissen. Irgendwie habe ich es geschafft auf das Rettungsboot zu kommen. Ich trieb mehrere Tage auf dem Ozean, bis ich irgendwann die Insel sah. Irgendwie habe ich es geschafft an Land zu kommen, obwohl ich halb tot vor Erschöpfung und Hunger war.“

Meine Stimme versagt, als ich an den Moment zurück denke, in dem ich Lian-Yu das erste Mal am Horizont erspäht habe. Damals habe ich gedacht, dass diese Insel meine Rettung wäre, dass ich bald nach Hause käme. Wie sehr hatte ich mich getäuscht. Es war die Hölle auf Erden gewesen und ich hatte sie durlaufen. „Fegefeuer“ traf es wirklich gut.

„Es tut mir wirklich, wirklich leid, dass sie all das für mich noch einmal widerholen müssen, aber ich muss wissen was passiert ist. Was geschah als sie die Insel erreichten?“

Mühsam konzentriere ich mich auf den Anteil der Geschichte, den zu erzählen ich mich entschieden habe. Die Müdigkeit und die Anspannung des Tages fordern langsam ihren Tribut. Ich muss es schaffen mich noch einmal zusammen zu reißen und die Geschichte überzeugend zu Ende bringen.

„Wie gesagt, erreichte ich die Insel in einem Stadium vollkommener Erschöpfung. Mein Glück war es, dass ich ganz kurze Zeit später eine Süßwasserquelle gefunden habe. Sie hat mir wohl das Leben gerettet. In den nächsten Tagen und Wochen habe ich jeden Quadratzentimeter der Insel untersucht, nur um fest zu stellen, dass ich offensichtlich der einzig lebende Mensch auf dieser Insel war. Allerdings fand ich Reste von Menschen, die früher einmal dort gelebt haben müssen. Irgendwie habe ich mich dann durchgeschlagen. Ich habe das gegessen, was ich an essbaren Pflanzen gefunden habe. Einige Male hatte ich Glück und habe Vögel in primitiven Fallen gefangen.“

„Und wie kam es dann dazu, dass sie auf dieser Insel gefunden wurden?“

„Nach einigen Wochen wurde mir klar, dass ich irgendwie auf mich aufmerksam machen müssen würde um jemals gefunden zu werde. Also fing ich an große Lager an trockenem Holz zu errichten die ich zu Signalfeuern entzünden konnte. Vor einigen Tagen kam dann dieses Fischerbot in Sicht… ich dachte erst es wäre eine Halluzination, ein Streich meiner eigenen Fantasie. Dennoch entzündete ich das Signalfeuer. Die Fischer sahen es und kamen auf die Insel um heraus zu finden, was dieses Feuer verursacht hatte. Sie nahmen mich mit an Land. Von ihrem Dorf aus habe ich mich dann bis hier her durch geschlagen.“

„Eine beeindruckende Leistung, sich so lange allein durch zu schlagen ohne den Verstand zu verlieren. Ich weiß wie schweres ihnen fällt darüber zu reden dennoch muss ich sie fragen: Wissen sie was mit den anderen Personen geschehen ist, die mit auf der Gambit waren? Gibt es irgendeine Chance, dass auch sie das Unglück überlebt haben könnten?“

Die Stimme des Botschafters ist Ruhig als er die unvermeidliche Frage stellt. In seinen Augen kann ich ehrliches Mitleid erkennen. Ich hoffe, dass meine Stimme mir gehorcht, um die Antwort zu geben. Aber die Bilder von Dads Tot, von Sara wie sie in die Tiefe gerissen wird, sind auf ewig in meine Netzhaut eingebrannt.

„Ich… ich wüsste nicht wie sie es geschafft haben sollten. Soweit ich weiß bin ich der einzige, der aus dem sinkenden Schiff entkommen ist. Ich muss einen Schutzengel gehabt haben.“

Nach diesen Worten ist es geradezu unheimlich Still in dem großen Raum. Ich versuche meine Gefühle wieder in den Griff zu bekommen und der Botschafter weiß offensichtlich nicht so richtig was er in dieser Situation machen soll. Zweimal streckt er vorsichtig die Hand aus, wie um sie mir Tröstend auf den Arm zu legen, zieht sie jedoch beide Male wieder zurück. Vermutlich hat er das Bild meines Ausrasters im Fahrstuhl immer noch vor Augen. Einige Minuten später meldet sich einer der Sicherheitsmänner zu Wort.

„Ähm Sir, ich weiß das es nicht meine Aufgabe ist sie darauf hin zu weisen, aber ein Beweis ist diese Story nicht. Diese Geschichte hätte jeder erzählen können.“

Der Botschafter sieht zunächst den Sicherheitsbeamten und dann mich an.

„Sie haben Recht Mister Steward, allerdings haben wir eine Möglichkeit, die Identität dieses Mannes zweifelsfrei als die von Oliver Queen zu belegen oder sie zu wiederlegen.“

Überrascht blicke ich den Botschafter an. Bei mir schrillen alle Alarmglocken. „Zweifelsfrei belegen“, war in letzter Zeit oft genug eine andere Umschreibung für „Ihn so lange Foltern, bis jeder Lügner zu gegeben hätte, dass er lügt“.

„Wie wollen sie das machen?“          

Der angespannte Unterton in meiner Stimme lässt sowohl den Wachmann, als auch den Botschafter zusammenzucken. Letzterer beginnt schließlich leicht zu Lächeln.

„Wenn ich mich richtig erinnere, haben sie in ihrer Jugend oft genug mit der Polizei zu tun gehabt, nicht wahr? Dabei wurden ihre Fingerabdrücke genommen und im zentralen System gespeichert. Ich werde ihnen jetzt noch einmal Fingerabdrücke abnehmen und sie mit denen in der Datenbank vergleichen lassen. Stimmen sie überein, können wir sie wohl als eindeutig als Oliver Queen bestätigt betrachten. Wenn sie mir nun bitte zu unseren Labors folgen würden?“

Er steht auf und geht in Richtung der Fahrstühle. Da ich nicht weiß, ob ich noch eine Fahrt in diesem engen Raum aushalten würde, insbesondere wenn ich weiß, dass ich in ein Labor gebracht werden soll bitte ich ihn: „Können wir eventuell eine Treppe nehmen? Geschlossene Räume machen mich im Moment ziemlich nervös und wenn sie so klein sind, wie der Fahrstuhl macht es das nicht unbedingt besser.“

„Natürlich! Warum haben sie das nicht vorhin schon gesagt? Das hätte ihnen viel Stress erspart.“

Ich schüttele den Kopf.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell, so heftig in Panik geraten würde.“

Der Botschafter lächelt kurz, dann wendet er sich in Richtung einer Tür, die mir bisher nicht weiter aufgefallen ist. Dahinter liegt das Treppenhaus. Die Staubschicht auf den Stufen lässt darauf schließen, dass es nur sehr selten benutzt wird. Die Kiste mit meinen Schätzen in der Hand folge ich ihm langsam die Stufen hinunter.

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