Ein letzter Abschied

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Eigentlich hatte Joslyn keine Lust dazu, doch sie zwang sich regelrecht, die Augen zu öffnen. Die Decke ihres Zimmers im Grimmauldplatz Nr 12. füllte ihr Blickfeld aus und sie gab ein langgezogenes, leiderfülltes Stöhnen von sich. Schwäche ließ ihre Finger zucken. Erstaunlicherweise fühlte sie sich nur schlapp und hungrig. Bis auf ihre Hände. Die waren kalt und steif und die Bewegungen sanden das Gefühl von tausend Nadelstichen durch ihre Finger. 
Joslyn seufzte. 
Jetzt musste sie wohl auf die hilfreichen Handbewegungen verzichten, wenn sie ihre Macht nutzte. Und nutzen würde sie ihre Macht nun oft. Sie hatte nicht das Bedürfnis, sich bei jeder Kleinigkeit einen Schmerzlaut verkneifen zu müssen. Also hob sie diesmal nur leicht die Hände und spürte, wie ihr Körper sich mit unsichtbarer Hilfe im Bett aufrichtete. 
"Ich sollte mir Handschuhe besorgen." murmelte sie, doch ihr Blick blieb an dem großen Stein hängen, der den schweren Goldring an ihrem rechten Ringfinger ausmachte. Kein Handschuh würde ihr passen. Nicht bei dem Ring. Mit einem wehmütigen Lächeln zog sie die Knie an und betrachtete den Stein genauer. 
"Der Stein der Auferstehung. Welch eine Ironie." Lächelnd drehte sie den Kopf zur Seite und sah ihre Mutter an, die neben ihrem Bett stand und sie seit ihrem Erwachen beobachtet hatte. 
Emily Watson betrachtete ihre Tochter mit einem wehmütigen Lächeln auf den Lippen. Sie war eine schöne, hochgewachsene Frau. Joslyns gute Gene kamen eindeutig von ihrer Mutter. Das engelsgleiche Gesicht wies jedoch Alterungs- und Stressspuren auf. Das schwarze Haar war ohne violette Strähnen und zu einem eleganten Bob geschnitten und harmonierte hervorragend mit der dunkelblauen Jeansjacke, dem violetten Pullover mit V-Ausschnitt darunter und der schwarzen Hose. Sie war barfuß. Selbst im Tod mochte sie offenbar immer noch keine Schuhe, im Gegensatz zu ihrer Tochter, die ihre Schuhe liebte. 
"Ich hatte immer gehofft, du wärst wie ich. Das Blut einer starken und mächtigen Zaubererfamilie in den Adern aber nicht in der Lage auch nur einen Funken davon zu nutzen." 
Joslyn stützte die Wange auf ihre Knie. 
"Du warst ein Squib." 
Emily nickte und setzte sich zu ihrer Tochter aus Bett. Keine von beiden versuchte die andere zu berühren. Es würde nicht funktionieren. 
Das war die Grausamkeit des Steins. Man war in der Lage die Liebsten, die man verloren hatte, zu sehen, doch nie wieder würde man ihre Hand halten können oder die Wärme einer liebenden Umarmung spüren. 
"Meine Mutter, Amber, war froh darüber." 
"Amber Watson Grindelwald." Joslyn nickte leicht. "Ich hab mir unseren Stammbaum angesehen. Und mit Großvater, deinem Vater, gesprochen." 
Emily kicherte und betrachtete ihre Tochter voller Liebe. 
"Ich bin ihm leider nie begegnet. Er saß während meiner Geburt im Gefängnis und Mutter wollte dort nie wieder hin." 
Mit einem schiefen Lächeln lehnte Joslyn sich leicht zu ihrer Mutter. 
"Er ist ein alter Fuchs."
"Also hätte er mir gefallen?" 
"Ganz bestimmt." 
Sie lachten und Joslyn senkte den Blick auf ihre schwarzen Finger. 
"Weißt du, was damals passiert ist?" 
"Ich fürchte Nein." Emily schüttelte langsam den Kopf und fing den Blick ihrer Tochter ein. "Aber meine Mutter hat mir nach ihrem Tod ein Bankschließfach hinterlassen. Darin lag ein Brief, doch ich habe ihn nie gelesen. Denn ich wusste, wenn ich das tat, würde ich mit der Zaubererwelt in Kontakt kommen und das wollte meine Mutter auf gar keinen Fall."
"Hast du den Brief noch?" Joslyn richtete sich auf und neigte leicht den Kopf. Emily schüttelte den Kopf. 
"Ich hab ihn gehütet, wie meinen Augapfel, aber ich fürchte Big Tom hat ihn mir damals weg genommen. Er war in der Geldkassette." 
Joslyn nickte langsam. Sie konnte sich an den Vorfall gut erinnern. Es war ihre erste Begegnung mit Big Tom. Er wollte das Geld, dass ihre Mutter ihm schuldete und hatte mitgenommen, was sie besaßen. Er hatte ihr angeboten, das Geld schneller zu beschaffen, indem er sie auf die Straße schickte. Joslyn und Emily konnten es ihm beide ausreden und Joslyn wurde zum Informanten. Big Tom bekam von ihr unendlich viele Informationen, bis sie zu einem wertvollen Teil seiner Aktivitäten geworden war. Als Big Tom bemerkte, wie viel Geld und Macht sie ihm einbrachte, ließ er sie nicht mehr gehen. Er sagte, dass sie ihr Leben lang für ihn arbeiten müsste, um die Schulden abzuarbeiten. Doch Joslyn war niemand, den man einfach einfangen und einsperren konnte. Und als Big Tom das schließlich feststellte, schickte er seinen Sohn, um ihr eine Lehre zu erteilen. 
"Big Tom also." Joslyn seufzte tief und stand auf. Ihr Nachthemd flatterte über ihren Kopf und wurde durch Unterhemd und Pullover ersetzte, ohne dass Joslyn auch nur einen Finger rühren musste. 
"Wirst du zu ihm gehen?" 
"Ja und dabei werde ich seinem Sohn auch noch gleich einen Besuch abstatten." Joslyn warf ihrer Mutter ein messerscharfes Lächeln zu, das diese sofort erwiderte. 
Sie waren eindeutig Mutter und Tochter! 
Joslyn hob ein Bein und dann das andere. Slip und Hose wanden sich ihre Beine hoch. 
"Es tut mir leid!" 
Ruckartig erstarrte Joslyn und drehte sich langsam zu ihrer Mutter um. 
"Was?" 
"Es tut mir leid!" wiederholte Emily und ihr Lächeln nahm einen wehmütigen Ausdruck an, als sie ihre Tochter betrachtete. 
"Ich wollte dir unbedingt ein besseres Leben bereiten, doch hab es dabei nur noch schlimmer gemacht." 
Langsam, vollständig angezogen, kniete Joslyn sich vor ihre Mutter und ließ ihre Hände so über denen ihrer Mutter schweben, als würden sie sich tatsächlich berühren. 
"Ich bereue nichts, Mom. Und das solltest du auch nicht. Es ist okay!" Joslyn lächelte sanft und stand nach einigen Sekunde auf. 
"Ich übernehme ab hier, Mom!" Sie hob ihre beringte, schwarze Hand, an der sich der Stein der Auferstehung befand. "Du musst nicht mehr kommen. Geh! Und ruh in Frieden!" 
Mutter und Tochter lächelten einander an. Und dann war Emily Watson verschwunden. Joslyn blieb alleine zurück. Ein Lächeln, zusammen mit einer Träne, huschte über ihr Gesicht und ein Paar hoher Stiefel trippelte über den Boden auf sie zu. Vorsichtig nutzte sie ihre schwarze Hand und wischte sich damit die Träne von der Wange, während sie in die Stiefel stieg und, der Reißverschluss sich zu zog. 
"Dann werde ich dem alten Tom mal einen Besuch abstatten." Sie streckte gerade ihre mentalen Finger nach dem Türgriff auf, als dieser heruntergedrückt wurde und Sirius rückwärts herein kam. Joslyn blinzelte überrascht. Er trug ein Essenstablett in den Händen, das jedoch laut scheppernd zu Boden fiel, als er sich umdrehte und Joslyn sah. Angezogen und auf den Beinen. 
"'ey, das schöne Essen." beschwerte Joslyn sich sofort und streckte die Hände aus, als würde sie es auffangen wollen. Das Essen blieb mitten in der Luft stehen, während das Tablett weiter fiel. 
"Du bist wach?" 
"Nein, ich bin ein Geist und such dich heim." kicherte sie und der gebutterte Toast flog durch die Luft auf ihren Mund zu. Ohne ihre Hände zu benutzen biss sie von dem Brot ab und schloss genüsslich die Augen. 
"Oh man, ich bin am verhungern." Sie drängte sich an Sirius vorbei, der sie immer noch mit großen Augen beobachtete und schlüpfte aus dem Zimmer. Die Teetasse, Kanne und der Toast folgten ihr.  
"Wo zur Hölle willst du hin?" schrie er ihr nach, während sie die Treppe runter flitzte.
"Den gefallenen Engel aus meiner Vergangenheit töten!" ertönte die Antwort einen Stock tiefer und Sirius nickte langsam. 
"Lass dich nicht erwischen!" 
Ein erhobener, schwarzer Daumen wurde über das Geländer gehalten. 
"Verrücktes Weib! Überlebt sogar einen Fluch, der jeden anderen getötet hätte."

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