Ein Fluch

247 11 3
                                    

Sirius sah zwischen der körperlosen Hand, die Joslyn hielt und ihrer ausgebeulten Hosentasche hin und her.
"Nochmal, ich hab's noch nicht ganz verstanden." bat er und Joslyn seufzte, doch ein kleines Lächeln zupfte an ihren Lippen.
"Der abgespaltene Teil von Voldemorts Seele hat sich in Form seiner Mutter manifestiert, die anscheinend nur ich sehen kann."
Ihre in einander verschränkten Hände hoben sich und die fremde Hand winkte Sirius zögerlich zu. Joslyn lauschte kurzzeitig, den Kopf zur Seite gedreht. Sirius folgte ihrem Blick, doch konnte nichts erkennen.
"Sie sagt, du hast tolle Haare."
Sirius lachte wiederwillig auf und griff sich instiktiv an den Kopf. Nach seinem Aufenthalt in Askaban hatte er es abrasieren müssen. Sie waren zu verfilzt und kaputt gewesen, doch mittlerweile hatte sich auf seinem Kopf eine beachtliche Lockenpracht gebildet, die er mit viel Mühe und Liebe pflegte. In einer Mischung aus liebevollem Spott und gespieltem Ernst deutete er eine tiefe Verbeugung vor der Stelle an, an der er Merope vermutete.
"Ich danke für das Kompliment, MyLady!" Bevor er sich wieder aufrichten konnte, trat Joslyn nach ihm und er musste stolpernd und kichernd ausweichen, um nicht plötzlich einen Stiefel zwischen den Beinen zu haben.
"Dann können wir jetzt zurück?" fragte er hoffnungsvoll. Joslyn wedelte lachend mit der Hand.
"Geh du vor, ich seh noch schnell im Herrenhaus vorbei."
Sirius zuckte lächelnd die Schultern und apparierte. Eine Eigenschaft, die Joslyn nicht hatte. Egal wie sehr sie es versucht hatte, sie konnte nicht apparieren und musste somit immer auf gewöhnliche Art reisen. Den Hinweg hatten sie auf sich nehmen müssen, da auch Sirius den Ort nicht kannte, zu dem sie wollten. Doch jetzt konnte er sich problemlos, mit einigen Zwischenstopps, zurück zum Hauptquartier des Ordern des Phönix' beamen, während Joslyn sich wieder durch den Wald in das nächste Städtchen kämpfen musste, um dort mit einem Portschlüssel zu reisen.
Mit einem letzten Nicken verschwand Sirius und Joslyn sah zu Merope.
"Bereit?"
"Ich war nie in seinem Haus." murmelte die Gaunt und krallte die Finger ihrer freien Hand in ihr Kleid. Joslyn sah zu dem großen Herrenhaus. Wenn sie ein wenig die Augen zusammenkniff, konnte sie sich gut vorstellen, wie es einst erstrahlte und Macht und Geld verkörperte. Sie machte einen Schritt auf die verrammelte Tür zu, doch Merope klammerte sich so an ihrer Hand fest, dass sie sofort wieder stehen blieb.
"Ich will da nicht rein."
"Du kannst auch draußen warten." schlug Joslyn vor, doch Merope schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre Haar ein alle Richtungen peitschten. Joslyn ließ mit einem Lächeln ihre Hand los und ging auf die Tür zu. Nach einigen Sekunden, die Merope ihr angsterfüllt nachsah, folgte sie ihr ins dunkle Innere des Hauses. Joslyn sah sich diesmal nicht so interessiert und aufmerksam um, wie zuvor im alten Haus der Gaunts. Stattdessen schlenderte sie durch die zentimeterdicke Staubschicht an einem großen Esszimmer vorbei und die Treppen nach oben. Das Haus wirkte verzerrt, als würde es sich ausdehnen und dann wieder zusammenschrumpfen. Die Fußspuren von Sirius hatten ins Esszimmer und dann wieder zurück. Er hatte sich nicht wirklich umgesehen. Doch das erschwerte sich auch durch die seltsame Raumverschiebung, die über allem zu liegen schien. Der nächste Treppenabsatz wirkte mal ganz nah und dann wieder meilenweit entfernt. Die Wände bogen sich ihr entgegen und wichen dann wieder zurück an ihren Platz. Die Höhe der Stufen, die sie versuchte zu erklimmen, veränderte sich, sodass sie immer wieder mit den Schuhspitzen gegen Holz stieß und einige Male fast gestürzt wäre.
"Scheiße, als wäre ich eine Vision von Alice im Wunderland gefallen." fluchte Joslyn nachdem sie sich fast die Nase an der nächsten Stufe gestoßen hätte.
Jemand wollte unbedingt das Betreten des ersten Stocks verhindern.
Doch das sorgte nur dafür, dass sie umso dringender sehen wollte, was sich dort oben versteckte. Als es immer dunkler wurde und Joslyn ihre Finger in Flammen aufgehen ließ, murmelte sie leise: "Jetzt rutscht alles langsam in Es ab."
Endlich erreichte Joslyn den obersten Treppenabsatz und musste sich an der letzten Stufe hochziehen, wie an einer Klimmzugstange.
"Jetzt hab ich aber genug." murrte sie und hielt sich die Seite. Sie fühlte sich, als hätte sie einen Militärparkour hinter sich gebracht. Das laute Klatsche hallte von den Wänden wieder, als Joslyn zwei Mal in die Hände schlug und die Wände mit einem Knall zurückzucken, als hätte sie mit einer Peitsche zugeschlagen. Dann blätterte der Zauber von den Wänden ab, wie alte Farbe, gleichzeitig riss eine Schockwelle sie von den Füßen und schleuderte sie auf den Rücken. Fast wäre sie die Treppen wieder hinunter gefallen, konnte sich jedoch noch rechtzeitig am Treppengeländer fest halten.
"Shit!" keuchte sie und rappelte sich mühsam wieder auf. An den Doppelalarm hatte sie jetzt nicht gedacht. Der Zauber trat in Kraft, wenn jemand das Haus betrat, das war der erste Alarm und wenn jemand den Zauber gewaltsam aufhob, wurde ein Warnruf ausgesandt. Neugierde kämpfte mit gesundem Menschenverstand. Merope entschied schließlich, indem sie den Flur entlang schwebte und durch Wände in den Zimmern dahinter verschwand, nur um gleich darauf wieder aufzutauchen und auf der anderen Flurseite zu verschwinden. Joslyn beachtete keine der Seitentüren, stattdessen steuerte sie auf die Tür am Ende des Flures zu und gab ihr einen kleinen Schuper. Mit einem leisen Quietschen öffnete sie sich und es kam ein altes Schlafzimmer zum Vorschein. Zwischen zugezogenen, dunkelgrünen Samtvorhängen fiel ein schmaler Streifen Sonnenlicht ins Zimmer und kleine Staubpartikel tanzten im Licht. Der Boden war mit einem dicken, dunklen Teppich bedeckt, der schon einmal bessere Tage gesehen hatte. In der Nähe des Kamins war er an einigen Stellen angesenkt, als wären brennende Holzstücke und Funken aus dem Kamin geflogen. Die Stellen am Fenster waren vom Tageslicht ausgeblichen und an der Tür vom vielen Gebrauch ausgetreten. In der dunkelsten Ecke konnte Joslyn ein dunkles Himmelbett mit undurchsichtigem Baldachin erkennen. Der Kamin wurde von zwei alten Sesseln flankiert, deren Samtbezüge bereits an einigen Stellen geflickt waren. Es gab noch eine alte Kommode, die an der Wand neben der Tür stand und einmal sehr wertvoll gewesen sein musste.
"Er kommt!" Merope kam durch die angelehnte Tür, die Joslyn wieder hinter sich zu geschupst hatte, ins Zimmer gestürmt und die Aufregung gemischt mit Panik ließ ihre Wangen dunkler erscheinen. In einer einzigen Bewegung riss Joslyn die Holzbox aus ihrer Tasche und schmiss sie in den offenen Kamien. In der nächsten Sekunde wurde die Tür so heftig aufgestoßen, dass sie gegen die Wand knallte und Joslyn herum fuhr. Im Türrahmen stand ein Mann und sie musste unbewusst an Harrys Beschreibung von Voldemort denken. Dass er wie ein gefallener Engel aussah. Jetzt verstand sie es.
Obwohl das schwarze Haar nicht mehr so lang war, wie bei seiner letzten Begegnung mit Harry. Es richte ihm nun bis in den Nacken und knapp über die Ohren und diese rot glühenden Augen... sahen sie an. Aus einem blassen, erschreckend schönen Gesicht. Ein Gesicht, das sie am liebsten mit den Nägeln zerkratzen wollte. Weil es genauso perfekt war, wie das ihre.
Sie starrten einander durch den Raum an und keiner von ihnen regte sich. Voldemort bewegte sich als erstes. Er löste den Blick von ihr und ging zum Kamin, während Joslyn sich langsam so bewegte, dass Bett und Sessel zwischen ihnen stand.
Er war schön, fast schon engelsgleich, genau wie sie. Und deshalb verstand sie auch, wie gefährlich er war. Denn mit Schönheit kam die Dunkelheit. Eine glänzende Hülle, in deren Inneren sich die Schwärze sammelte. Joslyns Dunkelheit war fest verschlossen und zeigte sich nur manchmal in ihren Augen, wenn Mordlust und Zorn die Oberhand gewannen. Doch die Schwärze, wie sie auch von der Dunklen Magie ausgestoßen wurde, umgab Voldemort wie eine zweite Haut. Sie waberte über seine Arme, wob sich in seine Haare und hinterließ flüchtige Abdrücke auf dem Boden.
Joslyn beobachtete ihn, wie er in den Kamin griff und die Box herausholte. Merope schnappte neben ihr nach Luft und verfolgte das Geschehen mit aufgeregt glitzernden Augen.
"Du hast meinen Ring gefunden." Mit einem Lächeln, das vollkommen falsch war, drehte er sich zu Joslyn um. Wenn sie so ein Lächeln nicht ebenfalls hundert Mal im Spiegel gesehen hätte, könnte sie den Unterschied gar nicht benennen.
"Willst du ihn mal anstecken? Und deine Liebsten wiedersehen?" Immer noch lächelnd öffnete er die Schachtel und wieder explodierte die Schwarze Magie in die Höhe. Doch Voldemort konnte den klebrigen, dunklen Rauch nicht sehen.
"Weißt du, was das Anstecken des Familienrings bedeutet, Lord Voldemort?" Joslyn lehnte sich ein Stückchen vor und setzte ein verschmitztes Lächeln auf. Selbst verdreckt und staubig machte sie einen eleganten Eindruck, als sie einen Schritt vor machte und sich leicht in Voldemorts Richtung lehnte. Eine schwarze, scharfe Augenbraue hob sich und Joslyn lachte leise auf, bevor sie ihm demonstrativ die Hand entgegen streckte. Dreckig und blutig mit eingerissenen und abgebrochenen Nägeln. Voldemort nahm sie, ohne ihr Gesicht aus den Augen zu lassen. Er nahm den Ring aus dem Kästchen und das Gold schwebte vor ihrem Ringfinger. Er war viel zu groß für ihre Finger. Joslyn lächelte Voldemort verschmitzt an.
"Es ist das Versprechen einer langen Ehe."
Voldemort schnaubte leise und der Ring glitt auf ihren Finger. Kurz glaubte sie das Zeichen der Heiligtümer des Todes aufleuchten zu sehen, doch sie ignorierte es. Genauso wie das schmerzhafte Brennen, das ihre Finger ergriff.
"Einer Ehe voller Liebe."
Voldemort riss den Kopf hoch, denn Joslyns letzte Worte klangen nicht einfach wie eine Erklärung. Es war wie ein Zauber oder ein Fluch, mit dem sie sie beide belegte. Und das Grinsen, das daraufhin ihre Lippen verzog, bestätigte diese Vermutung nur noch. Voldemort ließ ihre Hand los, als hätte er sich daran verbrannt und Joslyn richtete sich auf, beide Hände hinter dem Rücken verschränkt.
"Deine Mutter gab deinem Vater einen Liebestrank, ich habe dich jetzt gerade verflucht." Lächelnd wackelte sie mit der beringten Hand und ging gleichzeitig rückwärts auf die Tür zu.
"Ein Fluch, der dich mit deiner größten Angst konfrontieren wird. Die Liebe. Denn ich habe dich verflucht, mich zu lieben. Lang und bis in alle Ewigkeiten." Mit diesen Worten glitt sie durch die Tür in den Flur und mit einem lauten Krachen fiel die Tür ins Schloss. Sofort rannte Joslyn los, sie verließ das Haus durch die Hintertür und hetzte so schnell sie konnte zum Friedhof. Auf dem Grabstein von Tom Riddle thronte ein alter Stiefel und Joslyn brachte ein schmerzverzerrtes Lächeln zustande. Sirius war also noch einmal hier gewesen. Merope schwebte neben dem Grabstein und beobachtete Joslyn mit angstvoller Miene. Joslyn stolperte und stürzte. Mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht hob Joslyn die Hände vors Gesicht. Sie zitterten und schmerzten. Der Gaunt-Ring, ein Erbe Salasa Slytherins blitzte an ihrem Finger. Schwärze breitete sich über ihre Haut aus und färbte beide Hände wie Teer. Joslyn schloss die Augen und fokussierte sich. Sie konnte den Ring nicht mehr abnehmen, das konnte sie spüren. Obwohl er ihr zuvor zu groß war, ließ er sich jetzt nicht mehr bewegen und der Fluch, mit dem Voldemort beabsichtigte, seinen Horkrux zu schützen, kroch über ihre Handgelenke. Ruckartig ballte sie beide Hände zu Fäusten und ließ ihre Macht wie eine Welle aus reinigendem Wasser über ihre Arme rasen. Die Welle brach, als sie auf die Wand aus schwarzer Magie traf und zersplitterte gemeinsam mit dem Fluch in tausend, winzige Teilchen, die wie Funken in alle Richtungen davon flogen.
Keuchend betrachtete Joslyn ihre Hände und krempelte vorsichtig die Ärmel ihrer Jacke hoch, um zu sehen, wie weit der Zauber gekommen war. Es sah aus, als hätte sie die Hände in einen Eimer mit schwarzer Farbe getaucht und dann dem Himmel entgegen gestreckt, sodass sich vereinzelte Tropfen bis zu ihrem Ellenbogen hinabgeschlängelt hatten. Sogar ihre Fingernägel waren tiefschwarz, aber ansonsten schien es ihren Händen gut zu gehen. Die Haut war nicht verbrannt oder spannte sich plötzlich über den Knochen, obwohl es sich so anfühlte. Es stach, wenn sie die Finger streckte und krümmte, doch der Schmerz war auszuhalten.
"Deine armen Hände." flüsterte Merope und streckte ihre eigenen Hände aus, doch zögerte.
"Wir sollten hier weg, bevor dein Sohn uns einholt." Mühsam rappelte Joslyn sich auf. Ihr tat jeder Knochen im Leib weh und sie fühlte sich fiebrig und kalt zugleich. Schwankend in einem Anfall von Schwindel stolperte sie nach vorne und ihre Finger streiften den Portschlüssel. Sofort verschwand der Friedhof in einem Wirbel aus Farben und Schlieren, der Boden wurde ihr unter den Füßen weggerissen und sie stürzte hart auf den Rücken. Der Stiefel fiel ihr aus der Hand und ihre Finger zuckten vor Schmerz.
"Joslyn!" Sirius' Stimme riss sie aus ihrem Durcheinander aus Schwindel, Fieber und Schmerz.
"Sirius!" Ihre Hände griffen nach oben, während sich ihr Blick noch nicht richtig fokussieren konnte. Eine neue Welle an Schmerz ließ sie aufschreien, als Sirius ihre Finger ergriff und er zuckte erschrocken zurück.
"Was ist geschehen?" Ein Bein schob sich unter ihren Rücken und sie wurde aufgerichtet. Joslyn schaffte es, die Lippen zu einem Lächeln zu verziehen.
"Ich habe jemanden verflucht und er hat mich daraufhin ebenfalls verflucht." Ihre Lider wurden immer schwerer. Wahrscheinlich wurde sie krank. Ihr Körper musste den letzten Rest des Fluchs, den ihre Macht fortgespült hatte, los werden. Also behandelte er ihn auf die einzige Art und Weise, auf die er reagieren konnte. Er wurde krank.
"Mit anderen Worten, ich hab das Beste verpasst." Sirius flucht und Joslyn lachte auf. Seine Worte erinnerten sie an sich selbst.
"Kann man so sagen." Ihre Zunge war zu schwer und ihr Kopf kippte nach hinten. Dabei erhaschte sie einen letzten Blick auf zwei Gestalten. Die eine war Merope, die Joslyn mit weitaufgerissenen, besorgen Augen ansah und die andere war keine geisterhafte Frau. Sie wirkte so lebendig, als wäre sie noch am Leben.
Ihre Mutter schenkte ihr ein sanftes Lächeln und Joslyn wurde schwarz vor Augen.

Times Die Macht der MagieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt