Geist, Herz und Seele

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Ein Brennen befiel ihre Lungen. Ihre Speise- und Luftröhre zog sich schmerzhaft zusammen. Dann spuckte Joslyn Wasser. Hustend und röchelnd rollte sie sich auf die Seite und spürte harten, nassen Sand unter ihrer Wange. Zitternd stemmte sie sich auf die Ellenbogen hoch und tastete mit suchenden Fingern um sich. 
Wo war es? 
Wo war der Becher?
Ihre Finger berührten hartes Metall. Sofort schloss sie die Finger fest um den Kelch und zog ihn an ihre Brust. In diesem Moment, als sie fast ertrunken wäre und mit dem Luftholen kämpfen musste, spürte sie ein seltsames Brennen. An ihrer Brust und an ihrem Hüftknochen, wo der Mantel lag. Nach Luft schnappend, krümmte sie sich zusammen. Das Brennen wurde unerträglich. Zitternd warf sie sich auf den Rücken, den Becher immer noch fest in der Hand. Sie konnte es spüren, doch sie konnte nichts dagegen tun. Der Becher schmolz unter ihren Fingern hinweg, doch anstatt ihre Haut zu verbrennen, drang das Metall in ihre Haut ein und verschmolz mit ihrem Fleisch. Dasselbe geschah an ihrer Hüfte. Doch dort schmolz der Stoff ihrer Hose und des Mantels dahin. Die heißen Fasern brannten auf der Haut wie Feuer. Dann hörte sie das Brechen von dem Kästchen, in dem sie das Diadem verwahrte. Die Phönixkette reagierte nicht. Es wurde nicht als Gefahr angesehen. Trotzdem ließ der Schmerz weiße Funken vor ihren Augen explodieren. 

Zur gleichen Zeit zersprang ein Weinglas klirrend in seines tausend Teile. Voldemort, der zuvor panisch auf und ab gelaufen war, als er die Verbindung zu Joslyn verloren hatte, hatte versucht seine schreienden Gedanken mit Alkohol zu betäuben. Doch jetzt war es anders. Die Verbindung und das Gefühl ihres Bewusstseins kam mit einem Ruck wieder zurück. Für wenige Sekunden hatte er gedacht, dass Joslyn tot war. Als sie plötzlich einfach weg war und er sie nicht mehr erreichen konnte. Er hatte gespürt, wie sein Herz, von dem er überzeugt war, es nicht zu besitzen, in tausend Teile zerbrochen war. Er hatte sich so schnell besoffen, dass die Schmerzen kaum Zeit hatten, sich festzusetzen. Und jetzt, als er spürte, wie ihr Bewusstsein sich wieder mit seinem verband, fiel eine Last von ihm ab, von der er gar nicht bemerkt hatte, dass sie da war. 
Mit einer einzigen Zauberstabbewegung ließ er die Sauerei verschwinden, die er angerichtet hatte und löste sich regelrecht von seinem Körper. Instinktiv griff er nach diesem zweiten Teil seines Herzens, den er mit sich verbunden hatte. Die Mauer war nicht da. Diese verdammte Mauer, gegen die er das letzte halbe Jahr angerannt war, in dem verzweifelten Versuch, zu ihr durchzudringen. Wie sehr er diese wenigen Stunden geliebt hatte, in denen der Schlaf die Mauer ausgeschaltet hatte. Und jetzt war sie da!
Er konnte ihren Herzschlag spüren, das Blut, das durch ihre Adern floss und der Atem, der ihre Lungen füllte. Und da waren ihre Gedanken. Ein wildes Durcheinander aus Schmerz und Schreck. Er konnte ihren körperlichen Schmerz spüren. Und doch war es irgendwie kein Schmerz. Was er fand, war ein Brennen, das ihr ganzes Wesen ausfüllte. Strahlend hell wie der Vollmond und gefüllt mit Macht. Ein Ruck ging durch seinen Körper. Ein Erkennen, das von seiner Seele ausging. 
Etwas passierte gerade mit Joslyn. 
Etwas verschmolz mit ihr. Etwas von ihm. 
Voldemort wusste zwar, dass Joslyn aktiv nach seinen Horcruxen gesucht hatte und wahrscheinlich sogar fündig geworden war, doch was er da spürte, erschreckte ihn. 
Er konnte sich selbst spüren. In ihr!
Nicht wie das Zeichen an ihrem Hals, dass seinen Geist mit ihrem verband. Das hier ging tiefer. Es erschütterte die Seelen von beiden und riss sie fast schon brutal zu einander hin. 
Voldemort atmete rasselnd ein. Er wusste, wie es sich anfühlte, wenn die Seele gespalten wurde, wie es sich anfühlte, wenn man starb und wieder zum Leben zurückfand. Er hatte den Schmerz des Zeichens mit Freuden empfangen, doch das, was er jetzt empfand, unterschied sich von all diesen Arten von Schmerz, die er zuvor empfunden hatte. 
Das hier war eine Wonne. 
Als würden sich Joslyns Nägel tief in sein Fleisch bohren und sein Innerstes an sich reißen. Sie schlangen sich umeinander auf jeder Ebene, als wären sie im selben Raum und nicht unzählige Meilen voneinander entfernt. 
Keuchend fiel er auf die Knie, als er spürte, wie sein Herz gespalten wurde. Ein Teil seines lebenswichtigen Organs löste sich und wurde durch das eines anderen ersetzt. Gleichzeitig wickelte sich ein strahlend weißer Faden um sein Schicksal und riss es schwungvoll aus der Bahn. Der Verlauf änderte sich, die Zeit schien für einen Moment stehen zu bleiben und verwob sich dann mit einem anderen Schicksal. Zwei Fäden wickelten sich so fest umeinander, das sie zu einem einzigen Strang werden. 
Licht und Dunkelheit sind eins!
Dann gab es einen blitzartigen Stromschlag und Voldemort fuhr zurück. Er verlor den Boden unter den Füßen und stürzte zu Boden. Keuchend drückte er eine Hand auf seine Brust. Er konnte den rasenden Herzschlag unter seinen Fingerspitzen spüren und wie schnell sich sein Brustkorb hob und senkte. Und da war noch etwas anderes. Eine Wärme, die er nie zuvor gespürt hatte. Diese Wärme kam nicht von seinem Teil des Herzen. Es war der Teil, der Joslyn gehörte. 
Joslyns halbes Herz in seiner Brust, ihr Geist in seinem Kopf und die Verbindung zu seinen Seelensplittern in ihrem Körper. 

"Die Prophezeiung erfüllt sich!" flüsterte Joslyn und fuhr sich durch die Haare. In ihrem Innern hatte sich etwas verändert. Ihre Brust war zwar immer noch warm, doch jetzt hatte sich dort auch ein Splitter Eis eingenistet. So wie die wilden Teile von Voldemorts Seele. Gegen ihren Willen formte sich ein atemloses Lächeln auf ihren Lippen. Das Zeichen auf ihrem Hals pulsierte, ihre Seele leuchtete durch die plötzliche Verbindung nur noch heller und sie konnte regelrecht den Faden sehen, der ihr Schicksal darstellte. Strahlend hell, wie der leuchtende Stern, dessen Kräfte sie geerbt hatte und fest verbunden mit einem Faden, so schwarz wie eine mond- und sternenlose Nacht. 
Mit einem mühsamen Stöhnen, ihre Lunge war von dem ganzen Wasser immer noch rau und überanstrengt, rollte sie sich herum und kam langsam wieder auf die Beine. Blinzelnd hob sie die Hand, um die Augen vor dem hellen Sonnenlicht zu schützen und wischte sich Sand von der Wange. Sie befand sich an einem Strand. Offenbar war der Wasserfall unter Gringotts mit dem Meer verbunden und hatte sie nicht weit vom Strand wieder ausgespuckt. Dann wurde sie offensichtlich angespült. 
"Toll! Irgendwo im nirgendwo, keine Ahnung wo, patschnass und quasi verheiratet. Besser könnte es nicht werden!" Irritiert klopfte sie sich die Hände ab und Sand rieselte herab. "Und Sand im Arsch!" fügte sie mürrisch hinzu, bevor sie losstampfte. In ihrer Brust war es warm und kalt zugleich. Allein und doch zu zweit. 
Geist, Herz und Seele. Jetzt teilte sie wirklich alles mit Voldemort. 

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