Prolog

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Ich liege in meinem Krankenhausbett und starre an die Wand, während ich kein einziges Körperteil spüre. Ein bisschen kann ich schon den dumpfen Schmerz wahrnehmen, der wie ein gleitendes Boot langsam durch meinen Körper fließt. Doch sonst ist alles undeutlich. Selbst meine Wahrnehmung ist verschwommen. Irgendwo da vorne an der Wand hängt ein Bild. Es ist irgendwie grün... und rosa. Wahrscheinlich soll es beruhigen. Doch tut es das? Wahrscheinlich schon, denn mit der Zeit merke ich, wie ich einschlafe.

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Ich schrecke aus dem Schlaf auf. Ein Hustenanfall. Meine Kehle schnürt sich zusammen, fester als ich es ertragen kann. Beiläufig nehme ich wahr, wie irgendwelche Personen mein Zimmer betreten. Als ich huste, kommt Blut aus meinem Hals. Ich will schreien, weil es so weh tut, doch ich verschlucke mich nur, und das macht alles noch schlimmer. Jemand hält mir ein Handtuch unters Gesicht, eine Frau. Ich huste und huste, und meine Augen tränen vor Schmerzen. Auf das Handtuch ergießt sich mein Blut, vermischt mit salzigen Tränen. Als ich gerade wieder würgen will, kommt plötzlich der ganze Schmerz hoch, der in meinem Körper weilt. Irgendwas ist mit meinem Bein... und meinem Arm? Ein Bruch vielleicht? Ich bin wie gelähmt, mein Gehirn hat schon abgeschaltet, der Schmerz ist einfach zu groß.

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Meine Augen öffnen sich langsam, doch ich glaube nicht, dass sie das tun sollten. Denn ich befinde mich in einem OP- Saal, zumindest sieht es danach aus. Chirurgen in blauen Kitteln stehen um mich herum und machen sich irgendwo an mir zu schaffen. Schwach kann ich erkennen, dass mein Herz offen ist. Oder irgendein anderes Organ oben im Brustbereich.

"Sie ist wach, wieso ist sie wach?", höre ich jemanden sagen. "Keine Ahnung.", antwortet ein anderer. "Zu viele Medikamente, der Körper kämpft dagegen an." "Schnell,", sagt wieder der Erste. "gib ihr was. Wenn sie wach ist, heißt das, dass sie bald auch etwas spüren wird." Der Andere geht irgendwo hin, kommt wieder und spritzt mir etwas. Ich werde sofort wieder müde... und ich wehre mich nicht dagegen. Hauptsache keine Schmerzen, oder zumindest keine, die ich mitbekommen muss.

Moment mal... wieso wehre ich mich nicht dagegen? Müsste ich mich nicht eigentlich fragen, was hier überhaupt los ist? Und was mit mir los ist? Aber wenn ich genauer darüber nachdenke... ich bin so müde. Das mit dem nachfragen kann warten.

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Als ich wieder zu Bewusstsein komme, wird mir schlagartig klar, dass ich mich an alles erinnern kann. Der Unfall, und was wir getan haben... Da fällt mir ein, wo ist Leo überhaupt gerade? Er kann nicht weit sein, schließlich ist es unmöglich, dass er nicht verletzt wurde. Ich setze mich auf, als ich bemerke, dass in meinem Zimmer jemand sitzt. Zwei Leute. Direkt vor mir. Auf Stühlen. Solche hölzernen Stühle mit irgendeinem grau-grün-rosanen Überzug, wie sie in jedem Krankenhaus zu finden sind. Beides sind Männer... einer davon trägt eine Uniform und der andere einen Arztkittel. Also ein Polizist und ein Arzt oder Chirurg oder so was. Ich wusste, dass das kommen würde. Was muss ich jetzt machen, so eine Art Geständnis oder Tatbericht? Ich setze mich im Bett auf. Anscheinend waren der Arzt und der Polizist zuvor in ein Gespräch vertieft, denn sie bemerken erst jetzt, dass ich längst wach bin. 'Wo ist Leo? Kann ich ihn sehen?', will ich fragen, doch alles, was aus meinem Mund kommt, sind Blutspritzer und ich fange an zu husten. Der Arzt steht schnell auf und kommt zu mir geeilt, irgendwo hat er plötzich so ein beiges Handtuch her, wie sie immer neben einem Krankenhauswaschbecken hängen. Als ich mich beruhigt habe, versuche ich noch einmal, etwas zu sagen. Doch mein Hals fühlt sich an, als hätte Gil ihn aus Langeweile mit so viel Watte zugestopft, dass ich fast daran ersticke.

"Sie sollten jetzt besser nicht versuchen zu sprechen." Der Arzt lächelt mich an, sodass sich um seine alten, besorgten Augen Lachfalten bilden, die wie Sonnenstrahlen aussehen. "Aber ich glaube, das haben Sie selbst schon bemerkt." Sein Lächeln wird stärker und er wirft einen Blick auf das blutverschmierte Handtuch, das er widerlicherweise immer noch in der Hand hält. Als er meinen Blick bemerkt, läuft er schnell ins angrenzende Badezimmer, um das Handtuch dort abzulegen. Nach einer gefühlten Minute, in der ich den Polizisten angestarrt habe, kommt er wieder und stellt sich wieder vor mich. "Sie müsen Ihre Stimme schonen. Das wird wahrscheinlich noch für die nächsten paar Tage so sein, wenn Sie Glück haben. Danach können Sie sie möglicherweise wieder belasten. Sie können mich doch verstehen, oder?" Ich nicke zustimmend. "Gut, denn ich muss Ihnen mitteilen, dass Herr Walser, der hier neben mir Platz genommen hat, Sie zu Ihrem Unfall befragen wollte. Ich habe ihm schon gesagt, dass das heute mit ihrer Stimme nichts wird. Aber jetzt hat er es ja selbst gesehen." Er wendet sich an den Polizisten. "Wie schon gesagt, ich fürchte, das wird heute nichts mit Ihrer Befragung. Die Patientin ist nicht in der Lage, ein Gespräch mit Ihnen zu führen."

Wie das allein klingt: nicht in der Lage, ein Gespräch zu führen. Als wäre ich geistig behindert oder so.

"Daher muss ich Sie darum bitten, nächste Woche wiederzukommen.", fährt der Arzt fort... wie heißt der eigentlich? Ich muss ihn bei nächster Gelegenheit mal fragen. Wann das wohl sein mag? "Dann befindet sich die Patientin hoffentlich nicht mehr in so einer misslichen Lage." "Ich habe wirklich tiefstes Verständnis dafür, aber ich brauche den Bericht schon morgen. Und ich bin nicht derjenige, der hier die Regeln macht, also kann ich das nicht verschieben. So leid es mir tut." Der Arzt bedeutet mir, dass er gleich wiederkommt und führt den Polizisten nach draußen, um mit ihm irgendwas zu besprechen. "Ich glaube, wir könnten uns auf etwas einigen...", beginnt er.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ist er wieder da. "So..." Er setzt sich wieder auf den einen dieser grau-rosa-grünen Stühle, auf dem er gerade gesessen hat. "Ich hoffe, Sie sind ein Schreibtalent, denn Sie müssen bis morgen nämlich einen schriftlichen Bericht der Ereignisse anfertigen. Um Ihnen die Sache einfacher zu machen, hat Herr Walser zugestimmt, dass Sie Ihre persönliche Sicht der Dinge niederschreiben und daraufhin einer Ihrer nahen Verwandten den Text in eine für die Polizei etwas handlichere Art und und Weise umschreibt. Dann müssen Sie sich nicht so viele Gedanken über eventuelle Schreibfehler und dergleichen machen." Wieder nicke ich nur zustimmend. Was bleibt mir auch anderes übrig? "Sind Sie damit einverstanden?", hakt der Arzt noch einmal nach. Ich nicke und er erhebt sich. Gut, dann gehe ich Ihnen jetzt einen Block und einen Stift holen." Er verschwindet durch die Tür und als er mit einem kleinen gelben Notitzbuch wiederkommt, gibt er mir noch ein Paar Anweisungen, wie: dass ich die Seiten nicht herausreißen soll, wenn mir etwas nicht gefällt, und dass meine Erzählung ab dem Tag zu beginnen hat, wann ich "diesen Leo Joyce" kennengelernt habe. Ja. Wirklich. Genau so hat er sich ausgedrückt. Als wäre Leo nur irgendeine Person in meinem Leben, die mich dazu angestiftet hat, irgendeine Jugendsünde zu begehen (der Unfall, dass ich die 600€ aus der Familienkasse geklaut habe, überhaupt das ganze 'von Zuhause abhauen' usw.). Dabei ist er der Einzige, dem ich wirklich etwas bedeute.

Nach unendlichen weiteren Anweisungen ist der Arzt zum Glück weg und ich kann eine Verschnaufpause einlegen, in der ich mich strecke und dabei mein Gesicht vor Schmerzen verziehe. Ich seufze laut und versuche, irgendeine bequeme Position in diesem Bett zu finden. Dann öffne ich den Block, um zumindest jetzt mit den ersten paar Zeilen anzufangen. Doch vorher klingele ich noch an einem dieser roten Knöpfe, um eine Krankenschwester zu rufen, die das blutige Handtuch aus dem Badezimmer entfernen soll. Das hat der Arzt nämlich vergessen.

Zu Kopf gestiegen (ON HOLD)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt