Kapitel 2 - Hauspartys

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Die glutrote Abendsonne verwandelte die spiegelnde Wasseroberfläche des Sees in ein glitzerndes Flammenmeer. Der kalte Herbstwind wirbelte durch die fast schon kahlen Bäume und nahm ihnen die letzten bunten Blätter. Nicht mehr lang, und auf den Pfützen würde sich eine dünne Eisschicht bilden. Die krächzenden Rufe der Raben hatten die melodischen Vogelgesänge abgelöst, und statt summenden Bienen und Grillenzirpen hörte man das Pfeifen des Windes. Das kalte Wasser schlug ruhige Wellen, und die verwaisten, matschigen Ufer ließen kaum vermuten, dass sich im Sommer hier normalerweise die Badegäste gegenseitig die Liegeplätze streitig machten. Wenn man mich fragte, was meine Lieblingsjahreszeit war, hing die Antwort stets davon ab, welche wir gerade hatten. Während ich mir an einem sonnigen Nachmittag im Sommer kaum je vorstellen konnte, wie ich in ein paar Monaten die graue Tristheit der viel zu früh anbrechenden Winternächte würde überstehen können, liebte ich jetzt in diesem Moment den Herbst aus ganzem Herzen. Nebelverhangene Felder, dampfender Tee und heiße Schokolade, und die Gemütlichkeit, wenn man aus strömendem Regen endlich nach drinnen ins Warme kommt...

Volkan teilte meine Begeisterung nicht. Er verstand nicht, wie ich dem grauen Regenwetter irgendetwas abgewinnen konnte. Wobei es jetzt, da sich der Himmel endlich mal für ein paar Stunden aufgezogen hatte und die Sonne gerade noch so, bevor sie schließlich untergehen würde, noch einmal zum Vorschein kam, gar nicht mehr so grau war.

  "Und ein schönes, langes Schaumbad", versuchte ich gerade, die Vorzüge der kalten Jahreszeit aufzuzählen. "Und ein gutes Buch dazu..."

  "Ah, so eine bist du", sagte Volkan belustigt. "Mit Kerzen und Rosenblüten im Wasser?"

  "Klar, und Frank Sinatra Musik", sagte ich ironisch. "Ich dachte immer, ich bin schwer zu begeistern, aber dich macht ja echt gar nichts glücklich."

  "Zigaretten machen mich glücklich", knurrte er. Ich hatte ihm verboten, sich eine anzustecken. Ich war es satt, ständig in einer Qualmwolke zu sitzen.

Wir waren ein Stück raus aus der Stadt gefahren, zum See, der letzten Station unserer heutigen Rundreise durch meine Heimatstadt, und saßen nun erschöpft auf einer morschen Holzbank. Ich hatte mir eine Plastiktüte unter den Hintern gelegt, damit meine Hose nicht durchweichte. Volkan hatte mich zwar dafür ausgelacht, ich konnte aber wetten, dass er es inzwischen bereute. 

  "Und was für besondere Erinnerungen verbindest du mit dem Ort hier?" Ich konnte hören, dass er versuchte, interessierter zu klingen, als er eigentlich war. Ich nahm es ihm nicht übel. Der Tag war lang gewesen, und er hatte mir unentwegt zuhören müssen, wie ich über Erlebnisse sprach, die Jahre her waren. Über Menschen, die er noch nie getroffen hatte. Für mich war es wichtig, dass er meine Geschichte kannte - die Vergangenheit formt einen schließlich und macht somit einen großen Teil dessen aus, wer man ist. Für ihn schien allerdings mehr das Hier und Jetzt zu zählen. Immerhin versuchte er zumindest, Interesse zu zeigen. 

  "Ich hab hier Schwimmen gelernt", erzählte ich. "Und mein Vater und ich waren hier oft angeln. Das war stinkenlangweilig, aber es war halt so unser Ding, deswegen hat der Ort hier einen gewissen nostalgischen Wert für mich", sagte ich lachend. Volkan schwieg. Ich kaute auf meiner Lippe herum. Es war nicht meine Absicht, ihn mit solchen Geschichten traurig zu machen, aber irgendwie hoffte ich, dass er sich auch mal öffnen und mir über seinen eigenen Vater erzählen würde.

  Er schien nicht dazu bereit zu sein. "Wollen wir langsam los?", fragte er.

  "Nur noch ein paar Minuten", bettelte ich und er lehnte sich seufzend zurück. Mir war so kalt, dass ich schon zitterte, aber ich wollte noch nicht gehen. Ich war nicht ganz ohne Hintergedanken hierher gekommen. Es war so ein toller, romantischer Ort - vielleicht genau richtig für ein erstes 'Ich liebe dich'? Wir hatten es uns bisher noch nicht gesagt. Er wusste, dass ich es erst selbst sagen und auch von ihm erst dann hören wollte, wenn wir wussten, dass wir es auch wirklich so meinten. 

Bitte, Baby, brich mir nicht das HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt