Kapitel 3 - Matrix

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  "... die Methodik der freien Assoziation gilt somit als einer der bedeutendsten Anhaltspunkte beim Studium der Lehren von Sigmund Freud ..."

Ich unterdrückte ein Gähnen. Es gibt Dozenten, die schaffen es, selbst die trockensten Themen interessant zu gestalten. Und dann gibt es Dozenten, die 90 Minuten lang in fast schon beeindruckend monotoner Stimmlage ihre PowerPoint-Folien vorlesen, als würden sie gerade ein Experiment durchführen, wie schnell man Menschen zum Einschlafen bringen kann. Heute hatten wir leider letzteres.

Ich zog mein Handy aus der Tasche, um mich irgendwie wach zu halten, und scrollte durch meinen Instagram-Feed. Ich entdeckte ziemlich oft Volkan auf den Bildern meiner Leipziger Freunde, die mit auf der Party am Wochenende gewesen waren. Auf einigen war auch ich zu sehen. Der Größenunterschied zwischen ihm und mir war absurd - es erinnerte fast an einen Vater mit seiner kleinen Tochter. Ich wusste nicht, ob ich darüber lachen oder weinen sollte. 

Zwischendurch sah ich auch ein Bild von Nesrin, meiner Nachbarin und besten Freundin hier in Ludwigshafen, auf dem sie wie immer sehr hübsch aussah. Mit einem Kloß im Hals scrollte ich weiter. 

Wir hatten seit einer Ewigkeit nicht mehr miteinander gesprochen. Genauer gesagt hatten wir nicht mehr miteinander geredet, seit sie mir gebeichtet hatte, Volkan geküsst zu haben. Er und ich waren damals zwar noch nicht zusammen gewesen, aber trotzdem hatte ich diese Information nur schwer verdauen können. Anfangs hatte sie mir noch ab und zu Nachrichten geschrieben, aber nachdem ich mir wiederholt Ausreden hatte einfallen lassen, mich nicht mit ihr zu treffen, hatte sie es wohl aufgegeben. Inzwischen war ich mir nicht mehr sicher, ob ich nicht überreagiert hatte. Sie fehlte mir. Aber ich war zu stur, um mich bei ihr zu melden. Wir begegneten uns immer mal in Vorlesungen oder im Hausflur, aber mindestens einer von uns tat meistens so, als hätte er den anderen nicht gesehen. 

Tief in meinen Gedanken versunken bemerkte ich erst, dass die Vorlesung vorbei war, als mein Sitznachbar mich ungeduldig fragte, ob ich ihn durchlassen könnte. Hastig packte ich meine Sachen zusammen und eilte aus dem Saal. Ich hatte eine Verabredung: Volkan wollte mich abholen, und dann wollten wir zu einem seiner Kumpels fahren. Ich drängte mich durch die dichte, nach draußen strömende Masse und trat dabei aus Versehen ein paar Leuten auf die Füße. Ich sagte mir, dass ich es so eilig hatte, weil ich nicht unhöflich sein und Volkan lange warten lassen wollte, aber eigentlich konnte ich es einfach nicht erwarten, sein Gesicht zu sehen. Was war bloß aus mir geworden? Normalerweise machten Männer mich nicht so verrückt. 

Vor dem Uni-Gebäude war das Gedränge immer noch ungewöhnlich groß. Ich fragte mich schon, ob es irgendetwas umsonst gab, als ich überrascht bemerkte, was - oder besser, wer - im Mittelpunkt der Traube an Menschen stand: Volkan. Es sah aus, als würde er ein Meet-And-Greet veranstalten. Die Leute rempelten sich gegenseitig an, um ein Foto mit ihm zu bekommen. Weiter hinten, wo ich stand, reckten sie die Hälse, wohl um zu sehen, was überhaupt los war. Ein Mädchen neben mir quiekte aufgeregt. "Oh Gott, das ist wirklich Apache!"

Ich schlängelte mich an den Leuten vorbei und blieb ein wenig abseits stehen. Volkan posierte gerade für ein Foto, als er mich entdeckte, und grinste mich an. Der glückliche Fan würde nun wohl eines der seltenen Bilder bekommen, auf denen Apache mal lächelte. Wenn es nach mir ginge, würde er nie einen anderen Gesichtsausdruck zeigen. Ich liebte es so sehr, wenn er lachte. 

Nachdem er das Foto gemacht hatte, bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Die Leute sprangen aufgeregt zur Seite. Es war fast schon witzig, wie sie alle aufkeuchten und miteinander tuschelten, als Volkan mich an den Hüften packte und sich zu mir herunter beugte, um mich zu küssen. Ich war mir der zahlreichen Handys bewusst, die immer noch auf ihn gerichtet waren.

  "Na, Baby? Schönen Tag gehabt?", fragte er leise. 

  "Ja, ähm, wollen wir los?" Ich spürte die Blicke in meinem Rücken, als wir Hand in Hand zu seinem Auto liefen und er mir die Beifahrertür aufhielt. Mit hochrotem Kopf ließ ich mich schnell in den Sitz fallen und war froh, als die getönten Scheiben die Sicht auf mich verdeckten. Seelenruhig stieg Volkan ein, ließ den Motor an und fuhr los. 

Bitte, Baby, brich mir nicht das HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt