Kapitel 15 - Das erinnert so an alte Zeiten

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V O L K A N

Die Bar war verhältnismäßig voll, dafür, dass es mitten in der Woche war. Ich saß auf einer roten Lederbank in der hintersten Ecke und versuchte, unauffällig auszusehen. Die Sonnenbrille hatte ich vor mir auf den Tisch gelegt. Ich war bereits bei meinem zweiten Bier. Pünktlichkeit gehörte wohl nicht zu den Tugenden der Berliner. Doch dann, endlich...

  "Oh mein Gott, Apache, bekomme ich ein Autogramm?", sagte eine sarkastische Stimme hinter mir.

Lächelnd blickte ich auf, als sie mir gegenüber auf die Bank rutschte. "Für meine treuesten Fans immer." Ich imitierte absichtlich ihren ironischen Tonfall. Sie verzog das Gesicht, während sie sich aus ihrem Mantel schälte. "Du bist spät."

  "Verzeih mir, dass ich den großen Star habe warten lassen. Einige von uns müssen noch geregelten Jobs nachgehen und auch mal Überstunden machen."

Schmunzelnd betrachtete ich sie, während sie sich bei der Kellnerin ein Bier und einen Burger bestellte. Sie versteckte sich gern hinter ihrem Sarkasmus, aber ich kannte sie zu gut, um zu denken, dass sie mich wirklich verachtete. Sie hatte ein neues Tattoo am Arm. Mein Blick wanderte zu ihrem Ausschnitt, in dem die Diamantkette schimmerte, die ich ihr damals geschenkt hatte. War es Absicht, dass sie die ausgerechnet heute trug? Oder trug sie sie immer noch jeden Tag? 

  "Wie geht's dir so?", fragte ich. 

  Sie hob die Schultern und strich sich eine blondierte Haarsträhne hinters Ohr. "Gut. Aber ich glaube nicht, dass du für Small Talk hergekommen bist, oder?"

  Ich seufzte. Es war wohl besser, wenn ich direkt zum Punkt kam. Aber wie sollte ich anfangen? "Hey, wir waren doch mal zusammen, kannst du mir vielleicht Tipps für meine Neue geben, damit es mit ihr besser läuft, als mit dir?"  Was hatte ich mir bitte dabei gedacht, herzukommen? 

Ich schwieg schon viel zu lange, es wurde langsam unangenehm. Fieberhaft überlegte ich, was ich für einen Vorwand vorschieben könnte, um das Treffen hier zu rechtfertigen. "Ich wollte dich fragen, ob du noch mit Mustafa Kontakt hast. Wir machen uns alle bisschen Sorgen um ihn, er hat Probleme und so." Das war glatt gelogen, aber die beiden hatten nie viel miteinander zu tun gehabt, also hoffte ich, dass meine Lüge nicht auffliegen würde.

  Sie runzelte die Stirn. "Was für Probleme?"

Wir wurden kurz von der Kellnerin unterbrochen, die das Bier brachte. Als sie wieder weg war, sagte Corinna: "Ich hab Musti das letzte Mal gesehen, als ich in LU war, im Sommer. Als... na ja, du wirst dich daran erinnern können, wann das war." Sie prostete mir zu und trank.

Ich schluckte. Ja, ich konnte mich daran erinnern.

Wir saßen uns schweigend gegenüber. Ich traute mich nicht, das Thema anzusprechen, wegen dem ich eigentlich hier war. Es war zu bescheuert. Hatte ich überhaupt jemals wirklich vorgehabt, darüber mit ihr zu reden? Oder nur nach einem Vorwand gesucht, um sie wiederzusehen?

  "Wie geht es dir?", fragte sie schließlich. "Bist du nicht gerade auf Tour mit Bausa?"

  Ich versuchte, mir nicht ansehen zu lassen, wie sehr es mich freute, dass sie das wusste. "Ja, sind mittendrin. Ist geil." Ich überlegte, ob es zu viel war, das jetzt zu sagen, aber es verschaffte mir einfach zu viel Genugtuung. "Bin übrigens jetzt mit ihr zusammen."

  Corinna kniff fast unmerklich die Augen zusammen. "Mit wem? Der Kleinen von dem Abend im Westpoint?" Ich nickte. Sie lachte, was mich irritierte. "Sie muss dich ja wirklich anhimmeln, wenn sie dich nach der Aktion noch haben wollte."

  "Einfach war's nicht, sie zu überzeugen", murmelte ich.

Erneut wurden wir unterbrochen, als die Kellnerin Corinnas Burger brachte. Wieder saßen wir eine Weile schweigend da, während ich ihr beim Essen zusah. 

Auf dem Teller lag immer noch ein halber Burger und ein paar Pommes, als sie das Besteck ablegte und sich zurücklehnte. Sie beobachtete kurz, wie ich den Teller anstarrte, dann lachte sie. "Jetzt nimm schon." Ich ließ es mir nicht zweimal sagen und zog ihren Teller zu mir, um mich über die Reste herzumachen. 

Nachdem die Kellnerin das Geschirr abgeräumt und uns beiden ein neues Bier gebracht hatte, lehnte Corinna sich über den Tisch. "Und, wie läuft's mit deiner neuen Freundin?"

Ich wollte "gut"  sagen, aber brachte es irgendwie nicht hervor. 

  "Lass mich raten", sagte Corinna, die mich genau beobachtete. "Ihr streitet euch ständig, weil du es nicht schaffst, auf sie einzugehen?"

  "War klar, dass du mir wieder die Schuld zuschiebst. Du warst doch diejenige, die nicht damit klargekommen ist, wie ich mein Leben lebe." 

  "Damit kommt auch keine normale Frau klar. Das wird deine Kleine auch früher oder später merken. Und außerdem, Volkan; vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn du nicht fremdgegangen wärst."

  "Okay. Ich denke, ich gehe jetzt."

Auf dem Weg nach draußen bezahlte ich am Tresen noch die Rechnung für uns beide. Ich sah nicht noch einmal zurück, bevor ich nach draußen trat. Der Nieselregen kühlte mir mein erhitztes Gesicht. Die Tropfen perlten vom Glas meiner Brille ab. 

Ich hatte zwar nicht das bekommen, was ich ursprünglich wollte, aber dennoch war ich froh, dass ich hergekommen war. Ich sah das erste Mal seit Monaten völlig klar. Corinna würde immer ein Teil meiner Vergangenheit sein. Aber das war vorbei. Vor mir lag eine Zukunft mit Lisa. Eine Zukunft, für die ich alles tun würde, damit sie funktionierte.

Bitte, Baby, brich mir nicht das HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt