Kapitel 25 - Ich hab nie gesagt, dass ich dich lieb'

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Einen Moment lang starrte Volkan mich an, immer noch halb zu mir vorgelehnt. Dann sagte er "Okay" und richtete sich auf. Ich musste meinen Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen schauen zu können. 

  "Ich habe viel nachgedacht in letzter Zeit", begann ich und biss mir auf die Unterlippe. Wenn ich nach 'Wir müssen reden'  und 'Ich hab nachgedacht'  noch tiefer in der Klischeekiste wühlen wollte, würde ich gleich mit 'es liegt nicht an dir'  und 'wir können Freunde bleiben'  um die Ecke kommen. Ich holte tief Luft und versuchte es erneut. "Ich habe es dir ja schon oft gesagt. Ich komme einfach nicht damit klar, dass du Rapper bist. Ich will, dass du eine Freundin hast, die dich unterstützt und die alles  an dir liebt. Das kann ich, glaube ich, nicht. Ich denke, es ist das Beste, wenn wir getrennte Wege gehen."

  Volkan klappte der Mund auf. "Du- machst Schluss?"

  "Weiß nicht", sagte ich lahm. Was ich eigentlich wollte war, dass er mir Gründe lieferte, nicht  Schluss machen zu müssen. Dass er mir eine wunderbare Ausrede lieferte, um mit ihm zusammen bleiben zu können, obwohl meine Moral dagegensprach.

Ich wusste nicht, wohin mit meinen Händen, steckte sie mir erst in die Hosentasche und verschränkte sie dann vor der Brust. 

  "Ist das wegen der Social-Media-Geschichte? Oder wegen Miriam? Babe, ich verspreche dir, ich sorge dafür, dass-"

  "Es ist nicht deswegen", unterbrach ich ihn. "Nicht nur. Ich habe auch das Gefühl, als würden wir auf unterschiedlichen Ebenen stehen. Du irgendwo hier oben, und ich hier unten. Du bist so erfolgreich  und fame  und toll  und reich - und ich bin einfach, na ja, ich."

  "Liz, was laberst du für eine Scheiße?", fragte er aufgebracht. "Glaubst du, ich bin besser als du, weil ich Geld habe? Wenn überhaupt, dann bist du besser als ich! Du bist so hübsch, und schlau, und ich bin..." Er brach ab und schaute weg. Als er mich wieder ansah, lag in seinen Augen ein tiefer Schmerz. "Du hast recht mit den verschiedenen Ebenen", sagte er schwer. 

  "Meinst du jetzt etwa- egal." Ich atmete erneut tief durch. "Es ist auch nicht nur das. Ich glaube, ich komme schon allein mit der Eifersucht nicht klar. Ich habe ständig Schiss, dass du mich auf deiner Tour, oder wo du auch bist, betrügst. Und ich weiß, das ist unfair von mir, aber ich kann es nicht lassen." Ich erwartete, dass er dagegen argumentieren würde, aber er blieb still. "Alles in Allem geht das so einfach nicht. Ich bereue keine Sekunde, die ich mit dir verbracht habe. Aber unsere Zukunft gehört nicht zusammen." 

Er schnaubte, ballte die Hand zur Faust und drehte sich kurz weg, wie um sich zu sammeln. Als er sprach, klang er sehr kontrolliert, konnte aber ein leichtes Zittern in seiner Stimme nicht verbergen. "Ich glaube dir das einfach nicht. Du bist doch die erste, die ankommen und sagen würde, dass wir dran arbeiten sollen, statt einfach wegzulaufen - liegt das an diesem Typen? Mit dem du was hattest? Oh, Verzeihung, ich meinte, fast  was hattest", sagte er sarkastisch. "Willst du zu dem?"

  "So ein Quatsch", sagte ich. 

  "Quatsch also", sagte Volkan, sein Tonfall nun unverkennbar voll verzweifelter Wut. "Du hast doch von Anfang an gewusst, wer ich bin und was ich tue - okay, nicht von Anfang an, aber dann halt irgendwann schon - konnte dir das nicht mal eher auffallen?" Er redete sich immer mehr in Rage, wurde immer lauter. "Das ist doch so ein Bullshit, Lisa! Unterschiedliche Ebenen, so einen Scheiß hab ich noch nie gehört - ich dachte noch, nach dem Fremdvögeln wäre es aus, aber nein, es ist wegen irgendwelchem hirnverbrannten Mist-"

  "Was meinst du genau mit 'Fremdvögeln'?", fragte ich dazwischen, und wünschte unwillkürlich, ich hätte die Frage nicht gestellt. 

  "Dass ich dir- hmpf." Er verstummte für einen Moment, der mir so lang vorkam, dass ich quasi die Jahreszeiten am Fenster vorbeiziehen sehen konnte. Das war doch jetzt nicht sein Ernst.

  "Volkan", sagte ich leise.

Er atmete tief durch. Er wusste wohl, dass er sich jetzt nicht mehr rausreden können würde. "Ach, was soll's. Ich hab 'ne andere gevögelt. Auf der Tour." 

Meine Kehle schnürte sich zusammen.

  "Aber nur, weil ich dachte, du hattest was mit Sasan", erklärte Volkan, beinahe flehend. "Ich wusste ja nicht, dass das nicht gestimmt hat, ich hatte nur die Nachricht, und-"

  "Du hörst also von anderen Personen, dass ich fremdgegangen sein soll, und das erste, was dir einfällt, ist, mit der Erstbesten in die Kiste zu gehen? Egal ob es gestimmt hätte oder nicht, das ist ein Problem, Volkan." Ich hörte mich um Welten ruhiger an, als ich es innerlich tatsächlich war. Ich fühlte mich, als würde etwas in mir gerade sterben. 

  "Ich- es tut mir-"

  "Und dass du es mir nicht mal gesagt  hast." Was auch immer es für eine Chance für uns gegeben hatte, sie war damit verspielt. Jetzt war klar, dass ich das hier durchziehen musste. Ich fühlte mich... erleichtert. Nie mehr würde ich mich fragen müssen, ob meine Eifersucht gerechtfertigt war. Ich hatte jetzt die Gewissheit, dass sie es war. Das zu wissen war auf makabre Weise leichter zu ertragen als die ständigen Zweifel.

Ich nahm meine Jacke und meine Tasche und bewegte mich in Richtung Tür. 

  "Warte", sagte Volkan. Seine Stimme klang belegt. "Ich lass dich so nicht gehen." Er packte mich am Arm und zog mich zurück. Er legte seinen Finger unter mein Kinn und zwang mich, fast schon grob, zu ihm aufzusehen. Er schaute mir eindringlich in die Augen, und bevor ich noch etwas sagen konnte, beugte er sich zu mir herunter und presste seine Lippen auf meine. 

Ich hatte Mühe, mich von ihm loszumachen – nicht, weil er zu stark war, sondern weil ich gegen mein eigenes Verlangen ankämpfte. Schließlich schaffte ich es aber, ihn von mir zu stoßen.

  "Volkan, bitte, mach es nicht noch schwerer. Es ist aus, okay?" 

  Er versuchte erneut, mich davon abzuhalten, zur Tür zu gehen. "Wir können doch an all dem arbeiten. Ich ändere mich für dich, wenn du das willst-"

  "Was willst du denn ändern?", rief ich und wirbelte zu ihm herum. "Willst du deinen Job aufgeben und hoffen, dass dich ab morgen niemand mehr auf der Straße erkennt? Ich will einfach eine normale  Beziehung, Volkan!"

  Frustriert ballte er eine Hand zur Faust und fuhr sich mit der anderen durch die Haare. Ich wandte mich wieder zur Tür, eine Hand schon an der Klinke. "Bitte, Liz, du kannst das nicht einfach wegschmeißen!" Er schrie jetzt fast. "Wenn man sich liebt, kann man doch alles schaffen, oder, keine Ahnung, so ein Scheiß, Mann. Bitte-"

Ich drehte mich nicht um. Ich wusste, dass ich es nicht ertragen würde, ihm in die Augen zu sehen, wenn ich ihm meine nächsten Worte sagte. "Wenn man sich liebt, kann man das sicher. Ich kann es nicht. Ich habe nie gesagt, dass ich dich liebe."

Ich zog die Tür auf und ging eilig nach draußen. Volkan folgte mir nicht. Meine letzten Worte hatten wohl ihre gewünschte Wirkung erzielt. Auch, wenn ich nicht direkt gelogen hatte, die Bedeutung hinter meinen Worten war eine Lüge. Natürlich liebte ich ihn. So sehr, dass es mich zerriss. Aber vielleicht half es ihm, mich ein wenig zu hassen. Vielleicht würde er besser darüber hinwegkommen, wenn er glaubte, dass wir eh nie eine Chance gehabt hatten.

Ich erwartete, dass ich weinen würde, aber es kamen keine Tränen. Ich fühlte mich taub. Als hätte ich die Fähigkeit, Emotionen zu empfinden, oben bei Volkan zurückgelassen. Stattdessen spürte ich nur eine schwarze Leere in meinem Innern.

Alles kam mir so seltsam weit entfernt vor, als ich mit dem Bus nach Hause fuhr. Wie konnten die ganzen Menschen um mich herum noch immer so fröhlich sein? Wieso schien die Sonne, als ob heute ein schöner Tag wäre? 

Im Treppenhaus meines Wohnheims kam mir Nesrin mit einem Wäschekorb entgegen. Sie grinste mich wie immer breit an, doch ihr Lächeln fiel ihr aus dem Gesicht, als sie mich richtig ansah. "Was ist passiert? Ist jemand gestorben?"

  "Hab mich von Volkan getrennt", sagte ich und war selbst schockiert darüber, wie normal meine Stimme klang. Ich quetschte mich an Nesrin vorbei und ließ sie auf der Treppe stehen. Als ich oben angekommen war, ließ ich mich auf mein Bett fallen. Immer noch hatte ich nicht das Bedürfnis, zu weinen. 

Bitte, Baby, brich mir nicht das HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt