Kapitel 26 - Jetzt sitz' ich allein hier

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V O L K A N

Wie versteinert stand ich im Flur und starrte auf die Tür, als würde ich erwarten, dass sie sich jeden Augenblick öffnen und Lisa Konfetti werfend hereinkommen und "April, April!"  rufen würde.

Irgendwann akzeptierte ich, dass das nicht passieren würde. Mit schweren Beinen schleppte ich mich in die Küche. Im Kühlschrank stand noch eine Flasche Vodka.

* * *

Wie lange saß ich da und trank? Es war schon dunkel draußen. Ich konnte es nicht einschätzen. Irgendwann verlor ich sowieso jegliches Zeitgefühl. Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Die leere Vodka-Flasche rollte über den Tisch und knallte auf dem Boden auf, zersprang aber nicht. Mein Handy vibrierte in meiner Hosentasche. Ich hatte Mühe, es herauszuholen, und noch schwieriger war es, mit meinem Finger den grünen Hörer zu erwischen. Es war alles so doppelt.

Ich meldete mich gar nicht erst, sondern wartete darauf, dass der andere sprach. Ich hatte keine Ahnung, wer dran war.

  "Volkan?" Ah, es war Sasan.

  "Ja", sagte ich träge und versuchte, nicht betrunken zu klingen.

  "Ich hab das mit dir und Lisa gehört. Alles okay bei dir?"

  "Ja", sagte ich und fand, dass ich es ganz gut hinbekam, nüchtern zu klingen.

  "Bist du besoffen?" Oh. Wohl doch nicht.

  "Nein", sagte ich und unterdrückte ein Hicksen.

  "Wo bist du?"

  "Suhause." Jetzt hatte ich es selbst gehört. Ich atmete einmal tief durch. Sasan sagte irgendwas, aber ich hörte ihm nicht zu. Stattdessen legte ich einfach auf. 

Ich stand auf und stolperte über die Vodka-Flasche. Am Türrahmen hielt ich mich gerade noch fest.

  "Eeeeeyyyy!", rief ich und trat wütend nach der Flasche, verfehlte sie aber. Stattdessen taumelte ich in den Flur.

An der Wand hing die Goldene Schallplatte von 'Roller'. Dieses Kack-Ding. Wäre Lisa noch bei mir, wenn ich den Track nie herausgebracht hätte? Ein bisschen Musik machen, genug verdienen, um uns ein schönes Leben zu ermöglichen, irgendwo im Vorort. Aber nicht ganz so bekannt. Ich würde jetzt noch zur Uni gehen, wir würden sonntags zusammen in der Küche sitzen und lernen. Würden Pläne schmieden, wie unsere gemeinsame Zukunft aussehen könnte.

Mit voller Wucht schlug ich mit der Faust auf das Bild ein. Das Glas des Bilderrahmens zersprang und scharfe Splitter bohrten sich in meine Haut. Ich registrierte es nicht, war nur verwundert, als plötzlich Bluttropfen die Wand sprenkelten.

Ich sank zu Boden und knallte mit dem Hinterkopf gegen die Wand, als ich mich zurücklehnte. Ich hob meine Hand hoch. Ich sah mehr, wie das Blut aus meinen Knöcheln über meinen Arm rann, als dass ich es spürte. Vielleicht hatte mein Körper die Fähigkeit, Schmerzen zu empfinden, voll und ganz dafür aufgebraucht, dass sich mein Herz anfühlte, als wäre es zerquetscht worden. Vielleicht lag es auch am Alkohol.

Verdutzt bemerkte ich, dass ich trocken schluchzte. Kaum hatte ich es realisiert, begann ich, zu heulen wie ein kleines Kind. Heiße Tränen liefen mir die Wangen herunter und ich schnappte nach Luft. Ich hatte ganz vergessen, wie befreiend sich das anfühlte.

Die Türklingel schellte, aber ich stand nicht auf. Ich war einfach zu faul. Es war mir egal. Mir war gerade alles so verdammt egal. Nach ein paar Minuten hörte ich, wie von außen ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde. Die Tür öffnete sich. Ich hatte schon kurz Hoffnung, aber es war nur Sasan. 

Warum hatte ich das Bedürfnis, ihm meine blutige Faust ins Gesicht zu rammen? Ach ja. Lisa. Er hatte Lisa geküsst. Wäre er nicht gewesen, wäre das mit dieser Frau im Hotel... wie hieß sie noch gleich... es wäre nie passiert. Vielleicht hätte Liz es sich doch noch anders überlegt.

  "Alter, was ist denn hier passiert?", rief Sasan und schloss die Tür hinter sich. Er hatte meinen Zweitschlüssel. Für Notfälle. Ich hatte ihn angewiesen, ihn mir irgendwann die Woche wiederzugeben, weil ich ihn stattdessen Lisa geben wollte. Als Weihnachtsgeschenk. Quasi symbolisch dafür, dass ich durchaus eine Zukunft mit ihr wollte. Hatte sogar so eine bekloppte kleine Schachtel mit Schleife drauf gekauft. Daraus würde jetzt wohl nichts werden.

Er schob mit dem Fuß ein paar Scherben zur Seite und hockte sich vor mir hin. "Bro? Lebst du noch?"

  "Nein." Ich versuchte, sarkastisch zu klingen, aber meine Stimme klang weinerlich. Es wäre mir peinlich gewesen, dass mich jemand so sah, wenn mir nicht alles so egal gewesen wäre.

Sasan schaffte es irgendwie, mich auf die Beine zu ziehen und ins Bad zu schieben. Ich merkte selbst nicht, ob ich dabei mitmachte, oder er mich aus eigener Muskelkraft aufrecht hielt.

* * *

Das nächste, was ich mitbekam, war, wie ich über der Kloschüssel hing. In der Haarsträhne, die vor meinen Augen baumelte, hingen Reste von Erbrochenem.

* * *

Nach einem weiteren Blackout lag ich plötzlich im Bett und starrte an die Decke. Ich fragte mich, wer mein Bett auf ein Karussell geschraubt hatte. Aber alles war gut, solange Lisa neben mir lag. Ich tastete nach ihr und fand nur die leeren, kalten Laken.

Bitte, Baby, brich mir nicht das HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt