25. ZEIT

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DAMIAN

Gedankenverloren setze ich mich zu Tom an die Bar. Nur noch wenige Gäste sind im Club. Verträumt blicke ich auf die Glasklare Flüssigkeit vor mir und schwenke sie im Tumbler hin und her. Dabei geht mir das Gespräch mit Emilia durch den Kopf.
Ich wollte zuvor nicht lauschen, aber das Emilia mit Richard über ihre Gefühle geredet hat, hat mich aufhorchen lassen. Ich wollte weiter gehen, doch noch mehr wollte ich wissen was sie zu sagen hat. Leider hat sie auf die Frage von Richard nicht geantwortet. Sie hat geschwiegen. Ist das ihre Antwort? Und warum stört es mich so sehr.
„Was ist los Kumpel?" Tom taucht vor mir auf und lächelt zu mir herab. Mit einem Handtuch über der Schulter blickt er mich mit Hochgezogenen Augenbrauen fragend an. Ich leere mein Glas und deute ihm an neu einzuschenken. Tom rollt mit den Augen, dreht sich aber um und schenkt mir neuen kalten Wodka ein. Das Glas friert sofort und meine Hände, die immer noch um den Tumbler liegen, an.
„Komm, schütte dem Barkeeper dein Herz aus." Mit beiden Händen stützt er sich auf die Theke vor mir und blickt mich mit seinen warmen braunen Augen an.
Ich schnaufe und trinke einen Schluck. Der kalte Alkohol fließt meine Kehle herunter und wärmt mich von innen heraus.
„Ich habe mit Emilia Geschlafen." Meine Stimme klingt rau und es kommt mir vor, als spreche ein anderer. Tom zieht die Augenbrauen zusammen und mustert mich einige Sekunden lang.
„Du hast mit ihr Geschlafen?" Seine Frage klingt eher wie ein Vorwurf. Ich nicke kurz bevor ich abermals einen Schluck trinke. „Scheiße. Damian." Tom fährt sich über seine Glatze. „Du hast schon viele dumme Sachen gemacht, aber eine unserer Angestellten zu vögeln ist wirklich saudumm. Emilia ist verdammt gut an der Bar und ich habe keine Lust sie wieder ersetzten zu müssen, nur weil du einen schnellen Fick brauchtest." Er hebt seine Stimme am Schluss an und ich muss nicht aufblicken um zu wissen, wie sauer er ist. Ich konnte mir denken wie er reagiert. Angestellte sind Tabu. So ist die Regel. So haben wir es damals festgelegt. Mit jemanden zu schlafen, mit dem man Arbeitet, geht nie gut aus.
Trotzdem macht mich seine Aussage wütend und etwas laut knalle ich das Glas zurück auf den Tresen.
„Es war kein schneller Fick." Knurre ich ihn an.
Ich bemerke wie wichtig es mir ist wie andere über Emilia reden. Das mich seine Aussage obwohl sie nicht gegen sie ging, wütend macht. Es war nicht nur Sex. Dann würde ich mich selbst ebenfalls belügen. Die Nacht mit ihr hat mir viel mehr bedeutet. Auch wenn ich nach Elena niemanden an mich lassen wollte, hat Emilia trotzdem mein Herz getroffen. Das erkenne ich jetzt. Ich habe mich, trotz meiner eigenen Regeln, in sie verliebt.
Ich hoffe es ist noch nicht zu spät, ihr das zu zeigen.
Meine Hände entspannen sich und ein tiefer Seufzer verlässt meine Lippen.
„Sie hat die Bilder von Elena gesehen." Bringe ich leise heraus, da Tom nicht antwortet, rede ich weiter. „Du hättest ihre Angst sehen sollen. Sie hat mich für ein Monster gehalten. Mittlerweile glaube ich es selbst." Ich fahre mir über mein Gesicht. Ich bin müde. Müde von den Gerichtsterminen. Müde von den Anschuldigungen und den Blicken. Müde mich immer wieder zu rechtfertigen, dass ich kein schlechter Mensch bin.
„Du bist keines." Ich spüre Toms Hand auf meiner Schulter und blicke in seine Augen. Sein Gesicht hat sich entspannt, trotzdem sehe ich noch, dass er wütend auf mich ist. „Elena stellt dich als eines da. Doch das hat bald ein Ende." Seine Worte beruhigen mich ein wenig. In ein paar Tagen ist der Gerichtstermin und dann hat der ganze Horror ein Ende. Ich nicke und lege meine Hand auf seine.
„Danke, Kumpel."
„Trotzdem bin ich sauer auf dich. Wehe du verbockst das mit Emilia und ich kann mir eine neue Angestellte suchen." Sein strenger Ton lässt mich schmunzeln.
„Du vergisst wem der Club gehört." Antworte ich ihm Lächelnd auf das er eingeht.
„Aber nur weil ich es so wollte." Er wendet sich lachend ab. Unser beider Traum war es immer schon eine Bar zu führen. Daher eröffneten wir vor fünf Jahren zusammen diesen Club in gemeinsamer Leitung. Doch als Sandra starb, zog sich Tom aus der Leitung zurück. Nach und nach übernahm er wieder Aufgaben, doch in die Geschäftsleitung wollte er nicht mehr.
Ich leere schnell mein Glas, da ich sehe wie Richard auf uns zukommt. Seinen alten braunen Arztkoffer in der Hand. Soweit ich mich erinnern kann, hatte er ihn schon, als ich ihn kennenlernte.
„Hallo Tom. Wie war euer Besuch im Zoo?" Er begrüßt Tom mit einem starken Händedruck.
„Oh, sie war ganz aus dem Häuschen. Besonders die Affen haben es ihr angetan. Viel weiter sind wir nicht gekommen." Toms Gesicht fängt wie immer, wenn er über Sarah spricht, an zu strahlen. „Seitdem redet sie nur noch darüber." Richard lacht herzlich.
„Das glaub ich dir. Vielleicht fahr ich mit ihr und Mary mal hin?" Tom nickt und ich beobachte die beiden Männer, die mehr als eine Familie für mich sind.
„Da würde sie sich bestimmt freuen. Wir konnten leider nicht all zulange bleiben." Richard hat damals nicht nur mir, sondern auch Tom und Sarah, geholfen. Nach dem Tod von Sandra, hat ihm Richard in vielen Sachen geholfen. Oft wenn Tom arbeiten ist und der Babysitter nicht konnte, passt er auf Sarah auf. Geht mit ihr in den Park oder Eis essen. Für Sarah ist er wie ein Großvater, den sie nie hatte.
„Damian. Bitte sorge dafür, dass Emilia den Verband täglich wechselt und sollte sie noch etwas brauchen, ruf mich an. Ich komme in einer Woche wieder und ziehe die Fäden." Ich blicke in seine vertrauten Augen. Ich würde gerne Fragen, was die beiden besprochen haben, doch ich kenne Richard. Er würde es mir nicht erzählen, daher nicke ich nur und erhebe mich von meinem Barhocker.
„Ich bringe dich noch raus." Richard verabschiedet sich von Tom, bevor er mir zum Hinterausgang folgt. Draußen erscheinen die ersten Sonnenstrahlen dieses Tages. Zusammen überqueren wir den Hof und bleiben an der belebten Straße vor seinem Auto stehen. Es herrscht schon reger Verkehr. Nicht anders erwartet, in der Stadt die niemals schläft.
„Danke dir Richard." Der ältere Mann bleibt vor seinem Mercedes Benz Oldtimer stehen und blickt mich mit einem Lächeln an.
„Emilia ist etwas Besonderes. Wie eine Knospe die noch erblühen muss. Sie ist nicht wie Elena. Verbock es nicht, Junge." Ich blicke ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und offenen Mund an. Richard konnte schon immer gut in Menschen lesen, doch ich dachte, dass ich in den Jahren kein offenes Buch mehr für ihn bin.
Lächelnd steigt er in sein Cabrio ein und startet den Motor.
„Ich würde mich freuen, wenn du mal wieder zum Essen vorbeikommst. Ich sage Mary auch, dass sie ihren berühmten Hackbraten machen soll. Tom und Sarah sind natürlich auch gerne eingeladen. Und ich würde mich freuen, wenn du mit Begleitung kommst." Ohne auf meine Antwort zu warten, fährt er los. Ich blicke ihm nach und höre noch lange das Knacken seines Auspuffes. Ich schließe die Augen und blende den Lärm um mich herum aus, bevor ich mich wieder auf den Weg in den Club mache.

Mittlerweile ist der Club leer und die Lichter sind an. Das Reinigungspersonal müsste jeden Moment eintreffen.
Tom steht immer noch hinter der Bar und räumt die Restlichen Gläser ins Regal. Jackson hilft ihm dabei, als ich an den Tresen trete.
„Braucht ihr noch Hilfe?" Frage ich die beiden. Tom schüttelt den Kopf.
„Nö, sind fertig. Müssen nur noch den Müll rausbringen."
„Das kann ich machen." Ich drehe mich um und erblicke Emilia, die eilig auf die Bar zuläuft.
„Nein. Ich mach das." Jackson schnappt sich den Müllsack und geht an ihr vorbei. Ich sehe Emilia an, dass es ihr unangenehm ist und füge schnell hinzu.
„Du solltest dich die nächsten Tage ausruhen. Damit der Schnitt zuwachsen kann." Emilia blickt erst mich dann Tom an, der gerade das letzte Glas ins Regal stellt.
„Damian hat Recht. Mach die Woche frei." Sie zieht ihre Augenbrauen nach unten.
„Aber..." Ich schüttle den Kopf.
„Deine Gesundheit ist wichtiger. Ruhe dich die Woche aus, wir machen das hier schon." Emilia blickt wieder Tom an und ich sehe im Augenwinkel wie er nickt.
„Na gut." Auch wenn sie zustimmt, merkt man, dass ihr das gar nicht gefällt.
„Ich bringe dich noch nach Hause." Sie blickt mich lange an, bevor sie nickt.
„Ich hole kurz meine Sachen." Damit wendet sie uns ihre Kehrseite zu und verschwindet in den hinteren Bereich. Schnaufend reibe ich mir über die Schläfe. Mein Kopf pocht schon den ganzen Abend und ich brauche dringend eine Mütze schlaf.
„Ich frage Kim, ob sie die Woche helfen kann." Meldet sich Tom hinter mir. Ich nicke und drehe mich zu ihm um. Er erlischt die letzten Lichter in der Bar.
„Ich komm ab morgen auch wieder." Tom zieht seine Augenbrauen nach oben.
„Bist du dir sicher?" Ich nicke nur und zusammen laufen wir Richtung Back Office.
„Ja es wird Zeit, wieder den Alltag einkehren zu lassen. Am Mittwoch wird das Urteil gesprochen. Ich fühl mich wieder fit." Tom nickt ebenfalls.
„Ok. Freut mich. Lasst uns Feierabend machen." Beendet er das Gespräch als Jacks und Emilia uns entgegenkommen. Gemeinsam verlassen wir den Club. Emilia geht schweigend neben mir, während Tom und Jacks vor uns reden. An der Straße verabschiedet sich Tom.
„Wir sehen uns heute Abend und du ruhe dich aus, kleine." Er lächelt bevor er sich umdreht und in die Aufgehende Sonne davon geht.
„Ich bin auch weg. Bis morgen Boss. Gute Besserung Emilia." Jacks grinst und sprinten über die stark Befahrene Straße, um auf die andere Seite zu gelangen.
Emilia winkt den beiden zum Abschied.

Schweigend setzten wir den Weg zu ihrer Wohnung fort. Heute wird ein schöner Tag. Die Sonne strahlt warm auf uns herab und die Vögel hört man lauthals auf den Bäumen zwitschern. Ich liebe den Frühling, wenn alles erblüht und zum Leben erwacht. Immer wieder wandert mein Blick auf Emilia, doch sie scheint genau wie ich, in Gedanken zu sein.
An ihrer Tür angekommen, betreten wir das Treppenhaus und steigen in die erste Etage hinauf. Außer ihrer Wohnung sind hier noch zwei weitere. Im Erdgeschoss wohnt eine ältere Frau und die Wohnung neben Emilias, müsste momentan frei sein.
Wir bleiben vor ihrer Tür stehen und sie fummelt nervös an ihrem Schlüsselbund herum.
„Danke." Mit roten Wangen blickt sie mich an. Meine Mundwinkel zucken, da ich ihre röte immer hinreißend finde.
„Nicht dafür." Immer noch spielt sie mit dem Schlüssel in ihrer Hand, während ihr Blick über meinen Körper wandert. Ich spüre wie sie mich mustert. Emilias Blick wird lüstern und ich muss mich beherrschen sie nicht sofort gegen die nächste Wand zu drücken und sie mir zu nehmen. Bilder von der gemeinsamen Nacht blitzen wieder vor meinen Augen auf. Sie nackt auf meinem Bett. Wie sie sich sinnlich und stöhnend unter mir windet. Ich wische die Bilder weg, da ich spüre wie ich hart werde. Ihre Augen liegen auf meinem Gesicht und ich kann die Lust zwischen uns greifen. Doch ich spüre auch ihre Unsicherheit und Angst.
Auch wenn wir beide es wollen, sollte ich es nicht tun. Sie bat mich um Zeit und ich werde ihr diese auch geben. Ich möchte sie nicht verlieren.
Langsam gehe ich auf Emilia zu und spüre wie sie die Luft anhält. Automatisch strecke ich meine Hand nach ihrer weichen Haut aus und streiche ihr eine Verwirrte Strähne aus dem Gesicht. Ich beuge mich zu ihr herunter und hauche einen keuschen Kuss auf ihre Stirn. Sie schnappt nach Lust und ihr lieblicher Duft dringt in meine Nase.
Schnell bringe ich Abstand zwischen uns, da ich mir selbst gerade nicht traue.
„Gute Nacht, Emilia." Bringe ich rau zwischen meinen Lippen heraus. Wie ein Reh im Scheinwerferlicht blickt sie mich an. Die Lust ist immer noch greifbar. Ich sollte gehen, bevor ich etwas tue was ich später bereue.
Ich lächle ihr zu, bevor ich mich schweren Herzen umdrehe und das Gebäude verlasse.

ZERRISSEN - Zwischen Angst und LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt