2. Ich bin nicht ich

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Beim aufwachen fällt mir sofort der leicht schlecht riechende Geruch auf,  der in der Luft liegt. Meine Augen werden groß und sofort weiß ich,  dass ich wieder ein Problem habe.

Was habe ich da nur wieder angerichtet!

Mein Bettlaken ist rot gefleckt. Dabei war es ursprünglich mal schlicht weiß. Also muss ich das Laken unbemerkt verschwinden lassen und schnell ein neues kaufen. Am Besten gleich.

Ich gucke an meinem Arm hinunter. Alles verkrustet. Wut steigt auf. Warum konnte ich nicht widerstehen? Ich möchte nicht das irgendjemand erfährt, was ich mache. Aber eigentlich mach ich das gar nicht selbst. Das bin nicht ich. Das bin nicht ich selbst! Ich kann ich kaum daran erinnern was gestern Abend noch passiert ist als wir nach Hause gekommen sind.

Tränen laufen mir über die Wange und rollen hinunter, tropfen über mein Kinn und fallen auf meinem Arm. Es brennt. Ich brauche Salbe und Pflaster.

Inzwischen kenne ich mich gut genug, sodass ich vorsichtshalber schon Pflaster im Voraus kaufe und dann auch in Massen.

Die Wunden sind nicht groß und auch nur oberflächig. Was für ein Glück!

Meine Eltern schlafen noch als ich mich ins Badezimmer schleiche. Dort mach ich mich schnell fertig, ziehe mir extra dicke und extra lange Sachen an. Ich schreibe einen Zettel:

Hallo Mama und Papa,
ich bin schnell in der Stadt. Ist ja auch schon 9 Uhr. Wartet nicht mit dem Frühstück auf mich!
Eure Moni

Mein Bettlaken nehme ich mit uns schmeiße es in eine Tonne. Das wäre schonmal geschafft.

Einige Geschäfte in der Stadt haben noch geschlossen. Trotzdem finde ich schnell und günstig ein neues, weißes Bettlaken. Ich trödel noch etwas in der Stadt herum. Beim Gehen merke ich meine Wunden am Arm. Sie schmerzen. Etwas. Es tut gut. Wenn ich alleine bin kann ich immer sehr gut entspannen. Ich mag es alleine durch die Stadt zu laufen oder durch den Wald. Am Liebsten an Sonntagen und zwar aus dem Grund, dass weniger Leute unterwegs sind, die mich beobachten können.

Alleine sein ist wunderbar. "Du musst dich auch mal mit Freunden treffen!", bekomme ich immer von meiner Mutter zu hören. Nein, Danke! Ich bin gerne alleine. Und Freunde? Freunde sind vielleicht wichtig, aber ich habe keine. Zumindestens würde ich das so sagen. Ich habe zwar drei, vier Personen, mit denen ich mich auch in der Schule abgebe, bei denen man auf dem Geburtstag ist, von denen jeder andere sagen würde, dass das meine wahren Freunde sind, aber in Wirklichkeit empfinde ich sie nicht als Freunde. Vor anderen bezeichne ich sie als Freunde, aber für mich sind das nur Bekannte, mit denen ich etwas mehr zu tun habe.

Freundschaft bedeutet für mich etwas anderes: Man muss sich vollkommen vertrauen können, über alles miteinander reden können und sie müssen einen auffangen können, wenn man fällt.

Das Gleiche gilt auch für Familie. Nur noch ein wenig distanzierter. Familie ist nicht gleich Verwandtschaft. Seine Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen. Da wird man hinein geboren. Obwohl ich ja auch nur im entferntesten Sinne die Leute um mich herum als meine Verwandtschaft bezeichnen kann.

Familie ist wieder etwas anderes. Familie ist für einen da. Man hat Spaß, streitet sich auch mal, aber verträgt sich auch wieder. Auf die Familie ist mehr verlass als auf die Verwandtschaft.

Ich kann nicht hundertprozentig sagen, wen von meiner Verwandtschaft ich zu meiner Familie zählen würde. Natürlich gehören meine Eltern dazu. Ich weiß, dass sie mich über alles lieben und auch alles für mich geben würden. Selbst ihr Leben.

Vielleicht gehört auch meine Oma und mein Opa mütterlicher Seite zur Familie. Sie sind beide immer herzlich zu mir. Sie waren beim Essen gestern auch die Einzigen, die mit mir mehr geredet haben.

HungerliebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt