8.) Der Tag danach...

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Ich konnte die Nacht kaum schlafen. Zu sehr habe ich an die Geschehnisse denken müssen. Um 6:30 stehe ich auf. Meine Mutter ist schon bei der Arbeit und mein Vater dürfte demnächst von der Arbeit nach Hause kommen. Ich ziehe mich langsam an, suche mir meine Schulsachen zusammen und verfluche den heutigen Tag.  Es ist Freitag. Das bedeutet,  dass morgen Wochenende ist. Dies wiederum bedeutet,  dass meine Mutter zu Hause ist, mein Vater von Samstag auf Sonntag arbeitet und ich irgendwie mit der Situation hier klar kommen muss. Ich entscheide mich dafür, heute nicht zu frühstücken. Ich habe eh keinen hunger.  Insgesamt frühstücke ich nie gerne. Ich mag weder Brot,  noch Marmelade oder Nutella wirklich gerne. Nur Butterkäse und Salami. Aber Sonntags auch immer Cornflakes und Müsli.

Als ich los fahre ist mein Vater immernoch nicht da. Was für ein Glück! Ich habe keine Lust auf schule,  Freunde,  Familie, Eltern und unsere Wohnung.

Heute habe ich sechs Stunden unterricht, aber ich fühle mich seit der ersten Minute nicht wohl. In Geschichte werde ich einfach so dran genommen,  ohne das ich mich gemeldet habe oder irgendetwas weiß. Totale Blamage. Dann folgt eine Doppelstunde Mathe. Ich höre kaum zu und bin froh,  als die Stunde zu ende ist. In der Pause erfahren wir,  dass die letzte Stunde ausfällt. Keine Ahnung ob ich mich darüber freuen soll oder nicht. Aber vielmehr fürchte ich mich vor den kommenden Stunden: Zwei Englischstunden mit meiner Klassenlehrerin. Mal sehen ob sie mich heute schon auf den gestrigen Tag anspricht. Als sie rein kommt wage ich es nicht,  sie anzugucken. Mein Blick bleibt an meinem Heft kleben,  welches vor mir auf dem Tisch liegt. Meine Tischnachbarin, die ich auf den Tod nicht ausstehen kann und sie mich auch nicht,  mustert mich von unten bis oben. Ich versuche das zu ignorieren.

Mir gefrieren die Adern als meine Lehrerin rein kommt. Sie scheint den Tag nicht so gut überstanden zu haben wie ich erhofft hatte. Nun gut. Augen zu und durch.

"Moni,  kann ich unter vier Augen mit dir draußen reden?"

Alle starren mich an. Ich starre sie an. Es klang relativ freundlich,  aber es ist unnormal für sie,  dass sie bevor sie keine Aufgaben verteilt hat, mit jemanden alleine reden möchte. Ich spüre die Blicke,  wie sie sich in mich bohren. Umso glücklicher bin ich,  als wir endlich draußen sind und die Tür geschlossen ist.

"Das was du gestern abgezogen hast ist echt die Spitze! ", so wütend habe ich sie noch nie erlebt, "Ich kann dir nicht mehr vertrauen. Weißt du eigentlich, dass du mir mit Selbstmord gedroht hast?"

Ich bekomme fast kein Wort hervor. Nur manchmal ein 'Ja'.

"Eigentlich hätte ich auch gleich die Polizei rufen können. Ich habe mich extra von dir langsam entfernt. Aus gutem Grund!  Kein Wunder das dich niemand mag. Mich würde es nicht wundern,  wenn sich auch deine letzten Freunde von dir abspalten,  wenn du mit denen auch so umgehst wie mit mir. Am liebsten würde ich dich nicht mehr unterrichten."

Am liebsten möchte ich rennen. Weit weg. Nicht nach Hause. Tief in den Wald und alleine sein. Ihre Worte geben mir wirklich den Rest. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Mich braucht auch keiner. Ich bin wertlos.

"Aber ich muss dich ja unterrichten. Ich habe sogar mit dem Direktor darüber geredet! Aber man kann dich nicht so einfach aus der Klasse nehmen und ich will den Rest der Klasse nicht in Stich lassen. Ich werde weiterhin dich normal im Unterricht behandeln und versuchen gerecht zu bewerten. Ach, bevor wir jetzt reingehen", sie hat die Türklinke schon in der Hand, "gestern war mein Geburtstag."

Scheiße tut mir das leid. Ich bin ein Nichtsnutz. Mit hängendem  Kopf folge ich in die Klasse. Wieder gucken mich alle an. Mein Herz pocht. Der Tag ist gelaufen.

Zu Hause esse ich nur mit meiner Mutter zusammen und bis ich ihr gute Nacht sage,  sehe ich sie auch nicht wieder.

Im Bett greife ich sofort nach der Klinge und zum ersten Mal an diesem Tag rollen mir die Tränen über die Wangen. Ich setze an der Hüfte an und ziehe einen leichten Strich. Aber das reicht mir nicht. Ich will mehr,  ich will mich spüren,  ich will den Tag und den Schmerz vergessen. Am liebsten möchte ich sterben. Diesmal drücke ich noch mehr in die Haut und sie klafft auseinander. Das Blut strömt heraus. Ich versuche nach einer Weile die Blutung mit Taschentücher zu stoppen,  aber es gelingt mir nicht wirklich. Das wird eine lange Nacht. Bevor mir meine Augen mitten in der Nacht zufallen, wünsche ich meinem Schatz eine gute Nacht.

HungerliebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt