Trauer und Hoffnung

524 44 36
                                    

Diese Nacht kam Kiyan nicht in mein Gemach. Er ließ mich allein mit dem, was ich gesehen hatte und mit dem wie ich ihn gesehen hatte. Ich konnte nicht schlafen. Jedes mal, wenn ich die Augen schloss, leuchteten da wieder diese Bilder der brennenden Soldaten auf, die sich unter Schmerzen wanden. Noch immer konnte ich ihre quälenden Schreie hören und obwohl ich mich bereits zwei Stunden gebadet hatte, fühlte es sich so an, als hätte mein Körper diesen abscheulichen Geruch übernommen. 317 Soldaten hatte Kiyan getötet. 29 der Palastwachen waren ebenfalls getötet worden, davon 11 von Kiyan. Noch nie hatte ich solch eine Angst vor ihm empfunden. Jedes Gefühl von Vertrautheit, das ich irgendwann einmal für ihn empfunden hatte, war in diesem Moment vergessen.

War er schon immer so brutal gewesen? Hatte er mir diese Seite von sich früher einfach nur vorenthalten gehabt? Ich schüttelte den Kopf. Nein, früher war er anders gewesen. Ich hatte immer etwas Angst vor ihm gehabt, doch er hatte sich mir auch verletzlich und emotional gezeigt. Er hatte es gehasst Menschen töten zu müssen. Nun schien es ihn mit Freude zu erfüllen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, gab ich meine Versuche etwas schlaf zu finden auf und schlich mich aus meinem Gemach. Ich ertrug es gerade nicht alleine zu sein und ich sehnte mich nach Antworten auf meine unzähligen Fragen. Vorsichtig öffnete ich die grüne Tür, zu seinem alten Gemach. Es hatte die ganze Zeit leer gestanden.

Fahles Licht erhellte das Zimmer. Kiyan stand mit den Händen hinter dem Rücken verschränkt vor dem Fenster und starrte in die weite, bis er das Licht bemerkte und sich zu mir umdrehte. Er hatte so friedlich ausgesehen... Konnte das heute tatsächlich passiert sein?

„Ich hätte nicht erwartet, dass du kommst", gab er überrascht zu und lief ein wenig zu mir herüber.

Mein Herz begann zu rasen und es fiel mir schwer nicht sofort wieder umzudrehen und zu flüchten.

„Was war das heute? Warst das wirklich du?", fragte ich mit zitternder Stimme.

Er blieb stehen und musterte mich eindringlich.

„Du hast Angst... Bereust du nun, was du getan hast?"

Ich schwieg, wusste keine Antwort auf seine Frage. Ich hatte mir so oft gewünscht ihn wieder zu sehen, aber nicht so. Hatte vielleicht sogar ich ihm das angetan? Hatte der Teufel ihn nur meinet wegen von den Toten wieder auferstehen lassen?

„Es tut mir leid", flüsterte ich leise und spürte wie Tränen meine Augen verließen.

Ich wollte gar nicht weinen. Aber ich fühlte mich so schuldig für all das hier. Es war meine Schuld, dass all diese Menschen gestorben waren. Es war meine Schuld, dass Kiyan nun so war, wie er jetzt war. Tote sollte man lieber ruhen lassen...

Ich spürte, wie Kiyan seine Arme um mich legte und mich feste an sic drückte. Meine Angst war augenblicklich verschwunden. Seine Umarmung fühlte sich so vertraut an.

„Hör auf zu denken, dass das alles hier deine Schuld ist...", sagte er beschwichtigend und strich sanft durch meine Haare.

„Phinea war schon lange vor deine Geburt dem Untergang geweiht."

Ich antwortete nicht, verbarg einfach nur mein Gesicht an seiner Brust und weinte. Wieso hatte es ausgerechnet Kiyan sein müssen? Wieso hatte er nicht Lynn schicken können?

Wir standen lange so dort. Er hielt mich im Arm, während ich versuchte mir den Schmerz aus dem Körper zu weinen. Und irgendwann hielt er mich einfach nur noch in seinen Armen. Lediglich die Bauarbeiter von draußen waren zu hören.

Scheinbar war ich eingeschlafen. Als ich erwachte, lag ich in Kiyans Bett. Er saß neben mir, den Rücken gegen die Wand gelehnt und die Arme vor dem Körper verschränkt.

The King (BoyXBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt