Faulig - 1

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„Mama! Da sind Kinder in meinem Wasser", höre ich Emily im Wohnzimmer quengeln.

Ich verlagere das Gewicht des kleinen Lucas vom einen auf den anderen Arm. Auch ein Baby, das bei seiner Geburt vor acht Wochen gerade mal 3220 Gramm gewogen hat, wird irgendwann schwer. Gleichzeitig scrolle ich auf dem Laptop meines Mannes durch die Angebote bei Mamikreisel. Ein Strampler mit Pinguinmotiven hat es mir angetan. Er besteht aus Bio-Baumwolle, kommt aus einem tierlosen Nichtraucherhaushalt und soll noch fünfzehn Euro kosten. Keine utopische Summe, aber mein Mann wird sicher wütend, wenn er herausfindet, dass ich schon wieder was im Internet bestellt habe. In letzter Zeit reagiert er darauf sehr empfindlich.

„Mama!", wiederholt Emily.

„Was ist denn?", rufe ich zurück, während ich in Gedanken herauszufinden versuche, ob mir der Babystrampler die Konfrontation mit meinem knausrigen Ehegatten wert ist.

„Da sind Kinder in meinem Wasser!"

Ich rolle mit den Augen und stöhne leise. Meine sechsjährige Tochter Emily hat sich in der Nacht übergeben. Deswegen muss sie heute nicht in die Schule. Stattdessen sitzt sie auf unserem Sofa, das ich vorsichtshalber mit einer Decke abgedeckt habe, und schaut Spongebob Schwammkopf. Wirklich krank scheint sie nicht zu sein, aber ich bestehe trotzdem darauf, dass sie viel trinkt. Vermutlich aus Langeweile hat sie beschlossen, mich mit ihrer grenzenlosen Fantasie zu nerven.

„Sie winken mir zu!"

Ich schiebe den Stuhl zurück und durchquere das Esszimmer, das mit seinen warmen Holzmöbeln, der Korblampe und der kleinen Durchreiche zur Küche eine urige Gemütlichkeit verströmt. An der hinteren Wand hängt ein gerahmtes Bild, das eine österreichische Postkartenidylle zeigt: schneebedeckte Bergkuppen und ein türkisgrüner See. Unseren Gästen sagen mein Mann und ich immer, dass wir das Foto auf unserer Hochzeitsreise aufgenommen hätten, doch da wir in unseren Flitterwochen endlosen Dauerregen hatten, habe ich es aus dem Internet heruntergeladen, ausgedruckt und aufgehängt.

„Was ist denn, Emily?", frage ich, als ich das Wohnzimmer betrete.

Emily liegt mit angewinkelten Beinen auf unserem beigefarbenen Kunstledersofa und betrachtet die Unterseite ihres Wasserglases. Rocco, unser Schäferhundmischling, liegt neben ihr auf dem grauen Shaggyteppich, den ich letzten Monat supergünstig auf Ebay ersteigert habe. Durch die großen Terrassenfenster hat man einen schönen Blick auf unseren Garten, der an einen kleinen Tümpel grenzt. Dieser wird vom Deiwelstopf, der größten Quelle in Bad Audela, gespeist. Insgesamt gibt es in der Stadt zehn derartige Quellen. Drei davon führen salzhaltiges Solewasser. Die Sole verläuft vom Salzbrunnen in der Innenstadt entlang schmaler Gräben nach Osten, zu den Gradieranlagen und schließlich zum großen Solebecken, wo sich früher die berühmten Heilbäder befanden. Viele der Quellen sind so genannte Heilquellen. Jedenfalls haben die Menschen in der Vergangenheit viel Geld dafür ausgegeben, sich in den örtlichen Quellgewässern von diversen Leiden kurieren zu lassen. Heute rotten die alten Jugendstilbäder, die Kuranlagen und Salinen allerdings nur noch vor sich hin.

„Da sind Kinder in meinem Wasser", wiederholt Emily.

Sie trägt ihren Prinzessin-Elsa-Schlafanzug und die dünnen, blonden Haare kleben ihr an der Stirn. Ihr Kuscheltier Carlo, ein zerzauster Kater, liegt hinter ihr auf der Decke. Neben Carlo liegt das Kinderbuch vom kleinen Keinhorn, das ich ihr heute schon drei Mal vorgelesen habe. Außerdem hat mein Mann ihr sein Tablet gegeben, damit sie Videos schauen kann, aber ihr Wasser scheint interessanter zu sein. Konzentriert starrt sie auf die Unterseite des Glases.

Nachdem ich Baby Lucas in seine Babywippe gelegt habe, gehe ich zu meiner Tochter und strecke auffordernd die Hand aus. „Lass mich mal sehen."

Emily setzt sich auf und verschüttet dabei etwas Wasser. Mit schuldbewusster Miene reicht sie mir das Glas. Ich verzichte auf eine Bemerkung, nehme es und halte es auf Augenhöhe. Wie erwartet, sehe ich nichts.

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