3. Pilot

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Ich wurde von der Sonne geweckt, die mir durch ein Fenster direkt ins Gesicht schien. Ein Blick aus dem Fenster genügte, um wieder an den Sturm des gestrigen Abends erinnert zu werden. Überall lagen Äste und Kaputte Sachen, die der Agatha hergetragen hatte.
Da ich weder John B noch diesen JJ im Haus auffinden konnte, beschloss ich mein Glück draußen zu versuchen. Und tatsächlich, da waren sie.

"Ich denke an all die Krebse, die der Sturm in den Sumpf gespült hat", John B räumte Gestrüpp aus einem Boot, mit der Aufschrift "HMS Pogue", während er sich mit JJ unterhielt. Ich beobachtete das ganze aus sicherer Entfernung.
"Und das Jugendamt, war das nicht heute", erwiderte JJ.
Jugendamt?
"Heute steigen die nicht auf die Fähre. Jetzt denk nach, Gott sagt uns, wir sollen Angeln", John B gestikulierte in Richtung Sumpf.
Der Blonde drehte sich zu mir um: "Und das ist also die, die du am Strand aufgegabelt hast?"
Mir stockte der Atem. Es war der Junge, mit dem ich direkt vor Heyward's zusammengestoßen war. Er schien mich auch erkannt zu haben.
"Ich bin JJ, ich hab doch gesagt die Insel ist klein", mit einem breiten Grinsen streckte er mir seine Hand entgegen. John B blickte verwirrt zwischen uns her.
"Scarlett", ich schüttelte seine Hand mit einem schüchternen Lächeln.
Ich blickte auf mein Smartphone. Mist, kein Netz.
"Das kannst du hier vergessen, nach so einem Hurricane brauchen die erstmal ne Weile um alles zu reparieren", klärte JJ mich auf. "Aber auf den Campingplätzen und in den Hotels habt ihr wenigstens Strom, während wir wohl den ganzen Sommer im dunkeln sitzen", beteiligte sich nun auch John B an der Unterhaltung.
Sie hielten mich also für einen Tourist, kein Wunder, dass sie so nett waren.
"Wir gehen gleich Fischen, wir können dich irgendwo absetzen, wenn du willst", John B klopfte einladend gegen die Bootswand.
Wenn ich mich jetzt als Kook oute, dann hassen sie mich vermutlich.
"Wenn ihr mich am Haven oder bei Heyward's raus lasst, schaff ich den Rest zu Fuß", dass war ja nicht mal gelogen.
"Bei Heyward's wollten wir sowieso vorbei. Pope aus der ewigen Knechtschaft seines Vaters befreien", grinste JJ.
Mist. Bei Pope war ich mir ziemlich sicher, dass er wusste, dass ich auf der North Side wohnte. Da ich noch nicht bereit war, meine Tarnung auffliegen zu lassen, und wieder zurück in mein Kook-leben zu schlüpfen, bat ich sie, mich doch lieber am Haven rauszulassen.

JJ reichte mir die Hand beim Einsteigen und John B quittierte das ganze mit einem, "Willkommen an Bord", während er die HMS-Pogue von der Anlegestelle weglenkte.
"Und wo kommst du eigentlich her, Scarlett?", fragte JJ nach einer halben Ewigkeit des Schweigend durch den Sumpf Kurvens. "Phoenix und ihr so?", antwortete und biss mir auf die Lippe. Dumme Frage - sie kamen natürlich aus Outer Banks. JJ prustete los und auch John B konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
"Seit ich denken kann, lebe ich hier und JJ ist der einheimischste den du auf der ganzen Insel finden kannst", gab John B schmunzelt von sich. Je länger wir fuhren, desto mehr konnte ich mich entspannen. Die Konversation mit den beiden Pogues war so viel zwangloser als mit den meisten Kooks. Was würde ich für so ein Leben geben.
"Meine Damen und Herren, hier endet ihre Reise. Der Ausstieg befindet sich ihn Fahrtrichtung rechts. Wir würden uns freuen, sie mal wieder an Bord Willkommen zu heißen", ahmte JJ die Stimme einer Stewardess nach, und riss mich damit aus meinen Gedanken.
Nachdem ich mich noch ungefähr 5 mal bedankt hatte, legte die HMS Pogue ab und fuhr in Richtung Heyward's davon.

Ich schlenderte mit meinem Surfbrett unterm Arm, am Strand entlang, nach Hause.
Agatha hatte ganz schön zugeschlagen. Überall umgestürzte Bäume und ein paar kaputte Fischerboote. Die letzten 14 Stunden auf der Southside waren die schönsten seit langem. Ich bereute es nicht, Gestern Surfen gegangen zu sein, wenn nicht hätte ich die beiden vielleicht nie kennengelernt.
Je weiter ich mich vom Haven wegbewegte, desto größer wurden die Häuser und Autos.
Willkommen zurück im Leben der Reichen, im Leben der Kooks.

"Du weißt gar nicht, was für große Sorgen ich mir gemacht hab!", meine Mutter kam aus dem Haus gelaufen, und nahm mich in den Arm, als ich unser Grundstück betrat.
"Mum, ich hab dir doch geschrieben", murmelte ich und wand mich aus ihrer Umarmung.
"Der Sturm war da draußen und du warst nirgends aufzufinden und dann kommt eine halbe Stunde später eine einfache Nachricht. Ich war kurz davor die Küstenwache zu informieren." So aufgewühlt hatte ich sie zuletzt erlebt, als gegen Dad wegen Steuerhinterziehung ermittelt wurde.
"Tut mir leid, hatte keinen Empfang" nuschelte ich und schaute zu Boden.
Die Sorgenfalte auf ihrer Stirn glättete sich ein wenig: "Deine Freundin Sarah Cameron hat hier gestern Abend Angerufen, sie wollte irgendwas mit dir besprechen".

Da ich nach wie vor kein Netz hatte, beschloss ich einfach bei Sarah vorbei zu kommen.
Ein weißer, mehrstöckiger Altbau mit riesigen bodentiefen Fenstern, einen Pool von beachtlicher Größe und einen eigenen Anleger mit Millionenschwerer Jacht - war das was die Camerons stolz als ihren Besitz bezeichnen konnten.
Mr Cameron war zudem noch Eigentümer sämtlicher Immobilien in Outer Banks und sowohl Golf-Kumpane, als auch Geschäftspartner meines Vaters. Die beiden kannten sich schon seit Ewigkeiten und er war mit der Grund, weswegen wir nach Outer Banks gezogen sind und nicht irgendwo anders hin.
Sarah fand ich vorne am Steg, sie saß auf dem Holzdeck und ließ ihre Beine ins Wasser baumeln. "Hey", ich setzte mich im Schneidersitz neben sie.
"Scarlett", sie blickte überrascht auf, "Habt ihr den Sturm gut überstanden?"
Ich nickte. Die paar Bäume bei uns auf dem Grundstück standen alle noch.
"Du hast Gestern angerufen?", versuchte ich ein neues Thema. Jetzt war es an ihr zu nicken. "Ich wollt nur wissen ob du nach der Party gut nach Hause gekommen bist", murmelte sie, und wich meinem Blick aus. "Dein Bruder hat mich heimgefahren", erzählte ich ihr. Sie wurde hellhörig. "Du musst bei Rafe aufpassen, er ist nicht immer so toll und nett und außerdem - ", fing sie an. "- und außerdem nimmt er Drogen", beendete ich den Satz für sie, "Sarah im Ernst, er hat mich nur Heimgebracht." Sie zuckte mit den Achseln : "ich sag es ja nur."
"Weswegen hast du wirklich angerufen?", wechselte ich das Thema, da mir das ganze Gerede über Rafe langsam unangenehm wurde.
Sarah seufzte und strich sich ihre blonden Haare hinters Ohr. "Na gut", fing sie an, "ich bin ja jetzt schon eine Weile mit Topper zusammen." Ich nickte, die beiden waren schon seit ich hergezogen war ein Paar. "Und ich glaube ich bin bereit dafür, mit ihm", erzählte sie, man hörte allerdings die Unsicherheit aus ihrer Stimme heraus. "Okay, was soll ich dazu sagen, wenn du denkst du bist soweit." Sie nickte. Bevor wir uns allerdings länger unterhalten konnten gesellten sich Kelce und der besagte Topper zu uns.

"Breaking News Ladys...", Kelce ließ sich neben mich fallen.
"...die haben heute die Leiche von so einem Penner, aus dem Sumpf gezogen, Scooter Grubbs oder so.", verkündete er fast fröhlich.
"Oh mein Gott!", Sarah sprang entsetzt auf. "Selbst Schuld, wenn er bei einem Hurricane rausfährt", führte Kelce sein selbstgefälliges Gerede fort.
"Wie kannst du so etwas sagen? Er hat so einen Tot nicht verdient", entgegnete Sarah entsetzt. Scheinbar hatte sie ihn gekannt.
Ich hielt ausnahmsweise mal die Klappe. Ich hatte keinen blassen Schimmer wer Scooter Grubbs war und außerdem war das Thema tot für mich tabu. Ich konnte nicht anders, ich hatte bei dem bloßen Gedanken an den Tod direkt diese Bilder vor meinen Augen.
Diese Bilder von Scherben, Blut und dem leblosen Körper meines besten Freundes neben mir.
"Alles okay, du siehst blass aus", holte mich Topper ins hier und jetzt zurück.
Ich nickte und versuchte mich an einem Lächeln.

Wir verbrachten den ganzen Nachmittag zusammen am Steg, tranken Bier und lagen faul in der Sonne rum, während wir unsere Füße ins Wasser baumeln ließen.
"Die anderen machen Party am Strand", Topper hielt mir sein Handy vor die Nase, auf dem die Insta-storie einer seiner Freunde zusehen war. Scheinbar hatten wir wieder Internetempfang auf der Insel.
Kelce war sofort hellauf begeistert: "Freibier auf Kosten der Pogues, ich bin dabei".
Da auch Sarah dem ganzen nicht abgeneigt war und unser Biervorrat hier langsam zu neige ging, fügte ich mich meinem Schicksal und lies mich von den anderen mit an den Strand schleifen.

Outer Banks - Welcome to the SouthsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt