10. Das Mittsommerfest

4.7K 176 1
                                    

Ich fuhr schweißgebadet hoch und blickte direkt in ein paar besorgte blaue Augen. So sehr ich auch versuchte es zu unterdrücken, so begann ich nun heftig zu zittern und die ich spürte, wie die Tränen spuren auf meiner Wange hinterließen.
"Ganz ruhig... ich bin ja da, Schhh", flüsterte mir der blonde Pogue zu und wischte vorsichtig meine Tränen weg.
Ich spürte, wie die Matratze neben mir Nachgab und sich kurz darauf ein Arm um meine Schulter legte. Mein Puls beruhigte sich langsam und ich lehnte mich total fertig, immer noch leicht zitternd, an die Schulter neben mir.
So verharrten wir einige Zeit, die mir wie eine halbe Ewigkeit vorkam. Ich fühlte mich sicher bei ihm, sicher und geborgen.
"Geht's wieder?", fragte JJ und musterte mich besorgt. Ich nickte.
"Willst du darüber reden?", fragte er vorsichtig. Ich zögerte. Ich hatte bisher mit keinem außer der Therapeutin, zu der ich danach gehen musste, darüber geredet.
JJ schien mein zögern auch aufgefallen zu sein. "Du musst nicht, nur wenn du willst."
Ich schüttelte den Kopf. "Schon okay." Dann herrschte wieder Stille. Eine unangenehme, erdrückende Stille.
"Ich hab vor einem Jahr noch in Philadelphia gewohnt", begann ich vorsichtig, "Mein bester Freund dort, hat mich überredet, mit ihm auf so eine Party zu gehen. Ich kannte dort niemanden außer ihm und hab ihn dann nach 2 Stunden gebeten, mich wieder heim zu fahren. Wir sind in seinen alten Ford gestiegen und sind losgefahren." Ich kaute nervös auf meiner Lippe herum. Ich hatte das ganze zwar mehrfach der Therapeutin erzählt, aber niemals jemandem, mit dem ich auch im Alltag zutun hatte. Ich hatte Angst vor der Reaktion, vor seiner Reaktion, ob er mich direkt verurteilte oder kein Verständnis dafür hatte, dass ich dieses Erlebnis noch immer nicht verarbeitet hatte.
Ich atmete einmal tief durch und fuhr dann gefasst fort: "Es war nicht viel Verkehr an dem Abend und deshalb ist er ein bisschen schneller gefahren als erlaubt. Bei der nächsten Kreuzung ist dann ein LKW in die rechte Seite des Autos gefahren.", die Tränen rannen mir erneut das Gesicht herunter und ich schmeckte Salz, sobald ich den Mund aufmachte. Ich schüttelte mit dem Kopf in der Hoffnung, die Bilder, die sich nun wieder in mein Gehirn brannten, los zu werden.
"Das nächste an das ich mich erinnere ist, dass ich die Augen aufgemacht hab und er voller Blut und Scherben reglos neben mir saß. Er war tot", brachte ich mit nicht mehr als einem flüstern heraus.
JJ zog mich enger zu sich und wischte mir erneut die Tränen weg.
Er sagte nichts dazu, aber er war da, das war alles was ich im Moment brauchte. Ich merkte, wie mir langsam die Augen zu fielen und ich in seinen Armen einschlief.

Am nächsten Morgen wachte ich mit dem Kopf auf JJ's Brustkorb auf. Ich stand vorsichtig auf ohne ihn zu wecken und tapste dann runter in die Küche, um Frühstück zu machen.
Keine 10 Minuten später erschien JJ in der Küchentür. "Morgen Kook", begrüßte er mich mit einem lächeln. Nichts daran war spöttisch oder herablassend wie sonst immer.
"Morgen Pogue", antworte ich grinsend und widmete mich wieder den Pfannkuchen.
JJ hatte wohl sein Shirt über dem Stuhl entdeckt, denn als ich mich das nächste mal zu ihm umdrehte, stand er nicht mehr Oberkörperfrei in der Küche rum - schade eigentlich.
"Das ist das beste, was ich in den letzten Tagen gegessen hab", meinte er während er die Pfannkuchen innerhalb von Sekunden verschlang.
Pfannkuchen waren neben Fertigpizza meine Spezialität und nebenbei bemerkt auch so ziemlich das einzige, das ich zubereiten konnte.
"Tja das Kook-Leben hat auch Vorteile", erwiderte ich lächelnd.
"Irgendwann kauf ich mir auch so n Haus mit Pool auf der Eastside. Dann hol ich dich zum Golfspielen ab", meinte er, als er den letzten Pfannkuchen weggeputzt hatte.
"Ist klar"
"Du wirst schon noch sehen, ich werde bald ein krasser Kook sein", sagte er überzeugt. Ich konnte mir ein schmunzeln nicht verkneifen. Ich musterte ihn, wie er da saß, absolut glücklich schien und besonnen die Nutella Reste von seinem Teller kratzte.
"JJ?"
"Mhm"
"Woher hast du eigentlich die Verletzungen", fragte ich vorsichtig und machte eine wage Bewegung in Richtung seiner aufgeplatzten Lippe und dem blauen Auge. Die wahren ganz bestimmt nicht von der Prügelei beim Kino, allerdings waren sie mir bereits gestern Abend, beim Mittsommerfest, aufgefallen.
JJ kratzte sich nervös hinterm Ohr.
"Sind die von Rafe?", bohrte ich nach. Er schüttelte den Kopf.
"Nein. Aber du solltest dich von Rafe fernhalten, mach mit ihm Schluss bevor es zu spät ist", riet er mir ernst.
"Ich bin nicht mit Rafe zusammen!"
Er schien seltsam erleichtert.
"Wer hat dir das angetan?", fragte ich hartnäckig. Er zuckte mit den Schultern.
"Mein Dad", sagte er kaum hörbar. Ich starrte ihn geschockt an.
"Er ist ausgerastet nachdem ich verhaftet wurde", meinte er als wär es das normalste der Welt.
"Ich kann Topper vielleicht überreden die Anklage fallen zu lassen"
Er schüttelte den Kopf.
"Ich komm klar, Scarlett. Du hast mir genug geholfen in dem ich hier übernachtet hab. Danke aber ich brauch keine weitere Hilfe", sagte er ausdruckslos.
Na gut - wenn er meine Hilfe nicht wollte, dann eben nicht.
"Danke für alles. Ich muss los. Man sieht sich", meinte er und erhob sich.
"Ja sicher, die Insel ist klein!"

Outer Banks - Welcome to the SouthsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt