8. Das Mittsommerfest

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Ich lief am Morgen zum Haven um beim Bäcker dort frische Brötchen zu holen. Meine Eltern waren schon heute Nacht mit dem Flugzeug gestartet, und werden die nächsten zwei Wochen auf den Galapagos-Inseln verbringen - heißt ich hatte die nächsten Wochen meine Ruhe in unserem recht großen, leeren Haus. Nur leider hatte ich heute Morgen feststellen müssen, dass der Kühlschrank nicht mehr viel hergab. Also beschloss ich jetzt schnell das nötigste Einzukaufen, damit ich das Wochenende überstehen konnte.
Als ich bewaffnet mit sämtlichen Tüten um die Ecke bog und am Polizei-Revier vorbeikam, verschlug es mir die Sprache. Officer Shoupe führte niemand geringeres als JJ, an Handschellen ins Revier. JJ sah ziemlich mitgenommen aber irgendwie auch seltsam zufrieden aus. Ich starrte den beiden verwirrt hinterher und fragte mich, was er wohl verbrochen haben muss, um verhaftet zu werden.
Das Plakat neben der Wache holte mich allerdings wieder ins hier und jetzt zurück. Es war ein Plakat vom Island-Club, das mich unweigerlich an das Mittsommerfest heute Abend erinnerte, das Fest bei dem ich Rafe versprochen hatte, seine Begleitung zu sein.

Gerade als ich mich fertig zurecht gemacht hatte, fuhr Rafe in der Einfahrt vor. Ich trug ein hellblaues, enganliegendes Kleid mit Spaghettiträgern, welches mir bis knapp unter die Knie reichte, und meine Haare hatte ich einem lockeren Dutt hochgesteckt.
"Hey, Sca...", brachte er noch heraus, aber das "...r" schaffte er schon gar nicht mehr.
Er saß, mit hellgrauem Jackett und dunkelblauer Fliege, auf seinem Motorrad und scheinbar hatte es ihm die Sprache verschlagen.
"Du siehst toll aus", gab er, nach einer Weile, lächelnd von sich. "Danke, du auch", sagte ich ebenfalls lächelnd und nahm hinter ihm, auf dem Motorrad Platz.
Der Island-Club bestand aus einem recht großen Anwesen direkt am Meer, mit einer riesigen Zufahrt, in der bereits eine menge teurer Autos parkten. Rafe stellte seine Maschine direkt am Eingang ab und reichte mir Gentlemen Haft die Hand als ich abstieg. Ich konnte mir ein kichern nicht verkneifen. "Verratet mir, was euch solches Amüsement bereitet, werte Lady?", fragte er mit hochgezogener Augenbraue, was zu Folge hatte, dass wir prustend und lachend das Gebäude betraten.
Das war der alte Rafe, der lustige und nette Rafe, der Rafe den ich in den letzten Wochen vermisst hatte.
Wir wurden von sämtlichen Leuten begrüßt, von denen ich nicht einmal die hälfte kannte und ich war heilfroh als wir und endlich bis zur Terrasse vorgekämpft hatten, wo Topper, Sarah und Kelce auf uns warteten.
"Was geht, Bro. Heiße Begleitung", rief Kelce Rafe zu und schlug bei ihm ab. Ich rollte nur mit den Augen und gesellte mich zu Sarah. "Hey, Scarlett", lächelte sie und umarmte mich. Wir redeten ein bisschen über alles mögliche, während um uns herum immer mehr Menschen eintrudelten und sich Bar und Tanzfläche langsam füllten.
Mit der Zeit und ein paar Drinks wurden wir ausgelassener und fanden uns irgendwann selbst auf der Tanzfläche wieder. Wir bewegten uns zum Takt der Musik, während die Jungs immer noch außen standen und uns ab und zu mit Getränken versorgten.
Ich musste aufpassen, dass ich meinen Fuß nicht zu sehr belastete und steuerte daher einen der Barhocker an, als ich mit jemandem zusammenstieß, wobei das Tablett in seinen Händen klirrend zu Boden fiel. Er beugte sich runter um es aufzuheben. "Tut mir...", setzte ich an, dann erkannte ich, wer sich da vor mir befand. "JJ?", keuchte ich sichtlich verwirrt.
Vom Häftling zum Kellner, wie wenig ich doch über ihn wusste.
"Scarlett", er nickte mir weniger begeistert zu und wandte sich zum gehen.
"Es tut mir leid, dass ich dich angelogen hab, ehrlich", murmelte ich, so dass nur er es hören konnte. Er blickte mich eine Weile ausdruckslos an, bevor er wieder in der Menge verschwand.
Als ich mich umdrehte blickte ich direkt in Rafe's blaue Augen.
"Was will er von dir?", fragte er kühl.
"Er will nichts von mir", antwortete ich und verkniff mir das "leider". Er sah nicht so aus als würde er es mir abkaufen, sagte aber nichts mehr weiter dazu.
"Willst du tanzen?", fragte er und hielt mir seine Hand hin. Ich nickte und ergriff seine Hand, dankbar für den Themenwechsel.
Wir tanzten zu irgendeinem langsamen Lied, und ich schaffte es zum ersten mal heute, nicht an JJ zu denken. Zumindest für ein paar Sekunden.
"Wenn er nichts von dir will, warum starrt er dich an", fragte Rafe und nickte in JJ's Richtung. Ich zuckte mit den Achseln.
Das würde ich auch gerne wissen. Als das Lied zu Ende war, verabschiedete sich Rafe mit einem, "Ich bin gleich wieder da, muss noch kurz was erledigen", und verschwand fluchtartig.
Ich wusste ja, das meine Tanzkünste grauenhaft waren, aber so schlimm?
Ich begab mich auf die Suche nach Sarah, die ich dann in der nähe des Pavillons wiederfand, wie sie gerade auf Topper traf. Ich beobachtete das ganze aus sicherer Entfernung.
"Sarah was machst du hier draußen?", fragte Topper sie misstrauisch, während Sarah die Träger ihres Kleides zurecht rückte.
"Oh Scarlett hat mir gesagt, dass sie hier Wodka versteckt hätte, oder sowas."
Oh komm schon Sarah - ich Wodka verstecken - im Ernst, dieses Alibi ist alles andere als brillant. Ihre Unterhaltung schien wohl privater zu sein, ich ging also wieder rein und suchte nach Rafe.
"Verzeihung Sir, haben sie Rafe Cameron irgendwo gesehen?", fragte ich einen älteren Herr, der uns am Anfang begrüßt hatte. Er nickte. "Ich habe ihn eben in der Herrenumkleide gesehen", der Mann zeigte den Flur hinunter, "er müsste also bald dort herauskommen", meinte er freundlich und wandte sich zum gehen. "Vielen dank", rief ich ihm nach und beschloss, vorne auf der Terrasse auf Rafe zu warten.
Nach etwa 10 Minuten warten, geriet der blonde Pogue wieder in mein Sichtfeld. Er wurde von einem Securityguard nach draußen gezerrt.
"Hören sie man ich kann alleine laufen. Ich hab Beine. Sehen sie das, Bruder?", protestierte JJ und zeigte demonstrativ auf seine Füße. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Wenn noch nicht sowieso schon alle Blicke auf JJ lagen, so taten sie das jetzt auf jeden Fall.
"Schon gut, Leute. Keine Panik! Die Männer und Frauen in Uniform werden das schon richten. Einen Applaus für sie", rief er in die Menge und begann zu applaudieren, "Rose sie sehen wie die Freiheitsstatue aus, schön sie zu sehen", fügte er noch hinzu und nickte Sarah's Stiefmutter, die mit ihrem Kopfschmuck tatsächlich der Freiheitsstatue ähnelte, freundlich zu. Einige der Gäste lachten, die meisten jedoch schienen verwirrt oder sogar verärgert zu sein. Der Securityguard bugsierte JJ unbeirrt weiter in Richtung Ausgang, zumindest bis Kiara aufstand und das Wort ergriff. "Lassen sie ihn sofort los", rief sie energisch, "sie können ihn nicht rauswerfen! - Weil ich ihn eingeladen hab, ich bin ein Mitglied dieses Clubs", erklärte sie und ignorierte dabei den Protest ihrer Eltern gekonnt. In diesem Moment konnte ich gar nicht anders als sie für diese Aktion zu bewundern, kein wunder dass sie Pogues sie akzeptierten obwohl sie eigentlich Geld hatte.
"Jetzt besaufen wir uns im Rick's, Kie", rief JJ und befreite sich aus dem Griff des Securityguards, "Pope bist du auch dabei?", fragte er den am Grill stehenden Pogue und steuerte den Ausgang an, wobei er allerdings direkt vor mir stehen blieb.
"Oh Scarlett, sag deinem Freund, dass ich ihn das nächste mal fertig mach. Schickes Kleid übrigens. Hat Rafe dich dazu gezwungen oder spielst du freiwillig seine Schlampe?", fragte er etwas leiser und grinste mich überlegen an. Ehe er sich versah, zierte ein roter Handabdruck seine Wange, mein Handabdruck.
"Ich rate dir, das nie wieder zu tun" zischte er mir zu, bevor er mit Pope und Kiara zum Meer hin verschwand.

Outer Banks - Welcome to the SouthsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt