Kapitel 9

257 19 2
                                    

Langsam fängt mein Gehirn wieder an zu arbeiten. Es rattert richtig in meinem Schädel.  Es macht klick. Der Schalter hat sich wieder umgelegt und mein Bewusstsein kämpft sich aus der Versenkung zurück.
What the fuck?! Was war das denn gerade für eine Scheiße?! Wie kommt er auf die Idee, dass ich alles vergessen werde?! Wie soll man die Tatsache, dass es Vampire gibt bitte schön vergessen?!

Noch immer völlig von der Rolle gehe ich erstmal ins Haus. Zum Glück sind meine Eltern auf der Arbeit und müssen micht nicht in diesem Aufzug sehen. Die denken ja sowie so ich bin nach der Trennung von David die letzte Schlampe geworden. Was definitiv nicht stimmt! Ich habe ihn ja angeblich auch betrogen. Und nur weil ich eine Woche später sturz besoffen im Bett meines Nachbarn gelandet bin, der bekannter Maßen der größte Frauenheld der Stadt ist, denkt jetzt jeder ich wäre die Nutte vom Dienst.

Ich verwerfe diese Gedanken schnell wieder und gehe die Treppe hoch in mein Zimmer, um mir etwas anderes anzuziehen. Ich merke richtig, wie sich der Frust und die Wut auf Gott und die Welt in mir aufgestaut hat und so beschließe ich meine Klamotten zum Joggen anzuziehen.  Nachdem ich Ethans Zeug in die Waschmaschine gesteckt habe, stecke ich mir die Kopfhörer in die Ohren und laufe los.

Ich bleibe lieber auf befestigten Wegen und in der Nähe von Menschen. Sicher ist sicher. Nicht das ich paranoid wäre, aber nach dem was gestern passiert ist, traue ich nicht einmal mehr der Nachbarskatze über den Weg. Stattdessen laufe ich und laufe und laufe, als gäbe es kein Morgen mehr. Die Bässe dröhnen in meinen Ohren und versuche den ganzen Scheiß irgendwie zu vergessen.  Das Bild der Häuser und Straßen vor mir verschwimmt, aber das Einzige an was ich denke, ist David. An sein Gesicht besser gesagt. An seine Zähne, an seine blutunterlaufenen Augen, die mich völlig emotionslos fixieren. An den Ausdruck von Spaß und Belustigung in seinem Gesicht. Diese Kälte und Angst, die er in mir ausgelöst hat. Obwohl es bestimmt dreißig Grad Celcius sind und ich am joggen bin, bekomme ich eine Gänsehaut. Ich ziehe das Tempo an. Ich muss aufhören an ihn zu denken. Er hat lange genug in meinen Gedanken herum gespukt.

Nach der Trennung vor gut drei Monaten war ich wie paralysiert. Ich konnte fast vier Wochen an nichts anderes außer an ihn denken. Deswegen auch meine Alkoholeskapaden. Ich habe einfach nur versucht den Kopf frei zu bekommen und irgendetwas zu fühlen, egal was. Mir war jede Ablenkung und  jedes Gefühl recht. Aber der Alkohol hat gar nicht bewirkt. Bis auf einen schönen Kotzreiz und die übelsten Kopfschmerzen meines Lebens. Miles, mein Nachbar und der Frauenheld, war auch weniger begeistert davon. Nach dem Sex, es grenzt eigentlich regelrecht an ein Wunder, dass ich noch so lange durch gehalten habe, habe ich ihm das ganze Bett voll gekotzt. Und zu seinem bedauern nicht nur einmal. Er hatte dann irgendwann die Schnauze voll und hat mich in seine Bettdecke gewickelt und durch den Garten zu meinem Haus getragen. Meine Eltern waren auch eher weniger begeistert, als es um halb fünf morgens an der Haustür klingelte und ich vollgekotzt und nur mit einer Bettdecke verdeckt in Miles Armen vor ihnen stande oder viel mehr lag. Mum und Dad haben eine Woche nicht mehr mit mir geredet. Sie hätten zwar verstanden, dass ich eine schwierige Zeit durchmache, aber mein Verhalten können sie nicht nachvollziehen.

Ich weiß auch nicht, wem es ihm nachhinein peinlicher war, mir oder Miles. Mir aus dem Grund, dass ich mich an dem besagten Abend wirklich aufgeführt hatte, wie die letzte Schlampe und dann noch das halbe Haus von ihm bzw. seinen Eltern vollgekotzt habe oder doch ihm. Er ist jedenfalls der Älterer. Mit seinen 22 Jahren ist er vier Jahre älter als ich und somit auch schon Volljährig. Als wir noch Kinder waren, hat er auf mich aufgepasst und mir Gute Nacht Geschichten vorgelesen. Bei meiner Einschulung hat er mich jedem als seine kleine Schwester vorgestellt und mir später auch Nachhilfe in Mathe und Geschichte gegeben. Mit einem Mal hat er sich vom netten Vortstadtjungen zum Badboy verwandelt, quasi über Nacht. Er hat seine guten Sitten über Bord geworfen und sich auf alles und jeden gestürzt, der nicht bei drei auf den Bäumen war. Mich hat er nichtmal mehr mit dem Arsch angeguckt. Seine Begründung: Humphrey, wir sind nicht mehr in der Grundschule, also solange ich dich nicht besteigen darf, halte dich fern von mir. Und das sagt er zu einer fühnfzehn jährigen mit Zahnspangenfresse. Naja, jedenfalls haben wir uns seit dem ignoriert und ich hatte ihm seit seinem Abschluss vor ein paar Jahren auch nicht mehr gesehen. Ich frage mich sowieso, wen er bestochen hat, um den zu bestehen. Nach der besagten Nacht sind wir uns einmal auf der Straße begegnet. Ein hallo von ihm und ein hallo von mir, das war's. Er ist wieder nach keine Ahnung wo hin verschwunden, ich glaube New York oder Boston oder so. Ist mir eigentlich auch ziemlich egal.

VampirekissWo Geschichten leben. Entdecke jetzt