Kapitel 6

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Ethan reicht mir das Glas Bourbon, das er gerade eingeschenkt hat. "Alkohol? Echt jetzt?", frage ich verwirrt. "Das hilft zur Entspannung.", antwortet er. Ich setze das Glas an und nehme einen großen Schluck. Es brennt in der Kehle und es fühlt sich an, als würde sich mein Magen zusammen ziehen. Ich verziehe angewidert mein Gesicht. "Trinkst wohl nicht so oft was?", fragt er. "Eher weniger. Bin ja erst 17." Ethan guckt mich verwundert an. "Was ist?" "Nichts", entgegnet er, "Ich dachte nur du wärst älter." "Sehe ich etwa älter aus?" "Ich hatte nur gedacht,  dass David sich mit Mädchen in seinem Alter vergnügt."

Da ist es wieder, dieses Gefühl in meinem Magen. Ich setze mich auf dem Hocker vom Küchentresen, der neben mir steht.

"Ich will alles wissen.", sage ich, "und ich meine alles. Alles über David, über dich und über das..." Ich stocke. "Und über Vampire meinst du", springt Ethan ein, "schon klar." Er betrachtet seinen letzten Schluck Bourbon, wie er im Glas hin und her schwimmt. Es sieht aus, als ob er überlegen würde. Er leert das Glas mit einem Schluck.

"Gut, was weißt du über Vampire?" Was ist das für eine Frage? Ich weiß, was in irgendwelchen Büchern steht oder wie die Vampire in Filmen und Serien sind. "Also", setze ich an, "Vampire sind im Grunde Tote, die sich vom Blut lebender Menschen ernähren und wenn man den Büchern und so glauben darf, sind sie unglaublich stark und schnell, haben geschärft Sinne und glitzern im Sonnenlicht." Das mit dem Sonnenlicht ist mehr so eine Frage. Ethan nickt. "Das Meiste stimmt. Vampire sind übernatürliche Lebewesen. Wir ernähren uns von menschlichen Blut. Außerdem sind wir extrem stark. Ein normaler Mensch hat keine Chance in einem Zweikampf gegen einen Vampir zu überleben. Wir können auch übernatürlich schnell laufen. Außerdem sind alle unsere Sinne verstärkt" So wir er das vorträgt, hört sich das alles extrem formell und wissenschaftlich an. "Und was ist mit dem Sonnenlicht?", hacke ich nach. "Das mit dem Glitzern ist eine ganz nette Geschichte." "Also stimmt es nicht?" "Nein. Aber normalerweise können sich Vampire nicht im Sonnenlicht aufhalten, außer sie haben so einen schicken Tageslichtring." Dabei hält er seine Hand hoch und deutet auf diesen klobigen alten Ring. "Und ohne diesen Tageslichtring?" "Ohne ihn würde ich in der Sonne verbrennen." Ich rümpfen die Nase. "Und sonst noch was? ", bohre ich nach. "Im Grunde war das alles."

"Und was ist mit meinem Hals?" Ich deute auf die Stelle, an der eigentlich Bissspuren zu sehen sein sollten. "Was soll damit sein?", fragt Ethan. "Ich hatte zwei Zähne in meinem Hals stecken, aber man sieht nichts mehr davon.", entgegne ich. "Vampirblut heilt.", wirft Ethan mir an den Kopf, "Nur weil ich dir mein Blut gegeben habe und es deine Wunden geheilt hat, lebst du noch, verstanden?" Ich nicke nur.

Schweigen tritt ein. So ein peinliches Schweigen, bei dem man am liebsten im Boden versinken würde. 

Ich blicke mich um. Es sieht zwar alles hübsch hier aus, aber jedoch unpersönlich. Nirgendwo hängen irgendwelche Bilder oder irgendwas persönliches. Hier unten sieht es mehr aus, wie in einem Haus zum Besichtigen von irgendwelchen Baufirmen, als das hier wirklich jemand leben würde. Mein Blick fällt auf die Wendeltreppe. Wie sieht es wohl da oben aus? 

Ich merke, dass Ethan mich anguckt. Nein, er guckt mich nicht an, er starrt mich schon regelrecht an. Ich drehe mich wieder zu ihm um. Unsere Blicke treffen sich und ich gucke ihm das erste Mal wirklich in die Augen. Ein schauer läuft meinen Rücken herunter. Ich habe noch nie so wunderschöne Augen gesehen. Sie sind grün, wie ein Smaragd und haben am Rand ganz feine goldene Sprenkel. Einfach wunderschön. Seine Augen wirken geheimnisvoll und mysteriös, aber gleichzeitig auch abenteuerlustig und irgendwie verletzlich. 

Ich bin wie versteinert, erstarrt, sein Blick lässt mich gefrieren. Mein Herz schlägt wie wild in meiner Brust. Dieser intensive Blick macht mich ganz wuschig, darauf war ich nicht vorbereitet, aber ich kann einfach nicht wegschauen. Es ist, als ob er mich hypnotisieren würde. 

Plötzlich unterlaufen seine Augen dunkelrot und die Adern unter seinen Augen werden deutlich sichtbar. Sie pulsierern, genau wie bei David. Ich zucke innerlich zusammen.  Ethan will sich wegdrehen, aber ich halte ihn fest. Ich will es sehen. Er wird mir nichts tun, davon gehe ich aus, dass hoffe ich zumindestens. Ich gehe noch einen Schritt auf ihn zu, um besser sehen zu können. Ich stelle mich auf Zehenspitzen, damit mein Gesicht auf der Höhe von seinem ist. Ich versuche dabei ganz ruhig zu atmen. Ich hebe meine Hände und fahre mit meinen Fingern vorsichtig die hervorgetretenden Blutadern entlang. Ich kann spüren, wie sie pulsieren. Meine Fingerspitzen kribbeln unter den Bewegungen. 

Ethan öffnet leicht den Mund und lässt mir so freien Blick auf seine Zähne, auf seine lang gewordenen Eckzähne, auf seine Vampirzähne. Ich bin ganz fasziniert und fahre mit meinem Daumen über seine Unterlippe. Sein Atem geht deutlich schwerer. "Hör auf damit.", zischt er. Ich ignoriere die Anweisung und mache unbeeirt weiter. Plötzlich packt er unsanft meine Handgelenke und schiebt mich ein Stückchen von sich weg. "Ich habe gesagt, hör auf!", sagt er nun etwas lauter. "Ich habe im Moment eine ganz miese Selbstbeherrschung, also wenn ich dich heute Nacht nicht noch neben den Anderen im Wald vergraben soll, dann hör auf!" Und das Einzige, worauf  mein Gehirn gerade geachtet hat, sind die Worte "neben den Anderen". Was heißt denn neben den Anderen?! 

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Es hat zwar mal wieder ein bisschen länger gedauert, aber das war das neue Kapitel. Ich hoffe es gefällt euch. 

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