Spät am Abend landeten wir in Perranth. Mir tat alles weh. Gareth sah ebenfalls so aus, als würde er die nächsten Jahre nicht mehr auf ein Wyvern aufsteigen wollen. Die drei Hexen sahen jedoch noch putzmunter aus. Manon übernahm wie selbstverständlich die Führung, obwohl das hier Gareths Gebiet war. Er war der nächste Lord von Perranth. Die beiden anderen Hexen blieben bei den Wyvern und würden diese versorgen. Im Licht unzähliger Fackeln gingen wir auf das große Tor zu, das uns ins Innere der Burg bringen würde. Die Wachen öffneten ohne größere Fragen die Tür, als sie uns sahen und gewährten uns Eintritt. Es war schon praktisch mit einem Lord und einer Königin zu reisen.
Drinnen sah es ähnlich aus, wie in Rifthold. Steinwände, Fackeln, Gemälde. Es war nur nicht so prunkvoll und mehr liebevoll eingerichtet. Wir gingen auch nicht in einen Thronsaal, wie ich es erwartet hätte, sondern in einen recht gemütlich aussehenden Raum.
Dicke Teppiche verschluckten jeden unserer Schritte. An einer Wand stand ein großer Kamin, in dem ein Feuer brannte und diesen Raum auf eine angenehme Temperatur erhitzte. Meine steifen Finger tauten langsam auf. Sessel standen verteilt herum und auf einem kleinen Tisch befanden sich Getränke und Leckereien. Mein Magen begann zu knurren bei dem Anblick. Ich hatte seit der Mittagsrast nichts mehr gegessen.
„Mutter!" rief Gareth und schloss eine Frau in seine Arme, die sich aus einer der Sessel erhoben hatte, als sie uns gesehen hatte.
„Gareth! Mein Liebling, wie geht es dir?" Sie schob ihren Sohn ein Stück von sich weg und musterte ihn fürsorglich. So hatte ich mir eine Mutter immer vorgestellt. Fürsorglich, liebevoll und darauf bedacht, dass es ihrem Kind gut ging. Ich hatte keine Ahnung, wie lange Gareth an Dorians Hof gewesen ist und seine Eltern nicht sehen konnte. „Mir geht es gut. Wo ist Jael?" Gareth sah sich in dem Raum um.
„Er schläft."Jetzt fiel Elide Lochans Blick auf mich und Manon. Wir hatten uns bisher im Hintergrund gehalten, damit sich Mutter und Sohn begrüßen konnten. Die schwarzen Haare hatte Lady Lochan in einem Zopf zurückgebunden und eine Wärme lag in ihren dunklen Augen, die ich bisher nur von Yrene Westfall kannte und doch war diese Wärme anders. Sie strahlte geradezu, als sie Manon anlächelte und sie ebenfalls in den Arm schloss.
„Manon." Sagte sie herzlich und musterte die Königin der Hexen ebenfalls von Kopf bis Fuß. „Wie geht es dir? Und Dorian? Und den Kindern."
„Gut. Sie lassen dich alle herzlich grüßen. Narena war furchtbar enttäuscht, dass ich sie nicht mitgenommen habe."„Das glaube ich. Die kleine ist ja geradezu verrückt nach Lorcan."
„Ich frag mich von wem sie das hat." Elide musste schmunzeln und wandte sich jetzt mir zu.
„Wie unhöflich von mir. Du musst Ayla Caru sein, nicht wahr? Ich bin Elide Lochan. Bitte, fühl dich ganz wie zu Hause." Von so viel Freundlichkeit war ich etwas überfordert und nickte nur. Elide ging zu ihrem Sessel zurück und bedeutete uns, etwas von dem Essen und den Getränken zu nehmen. Gareth hatte es sich bereits in einem Sessel bequem gemacht und trank aus einer Tasse. Zögerlich nahm ich mir etwas von dem Essen und setzte mich ebenfalls. Ich hatte keine Ahnung, was ich zu tun hatte.
„Entschuldigung für die Verspätung." Ich verschluckte mich beinahe an meinem Bissen, als ich eine Präsenz spürte, bei der alle Härchen sich aufstellten. Manon, die gegenüber von mir saß, sah ebenfalls nicht glücklich aus. Sie hatte sogar ihre Eisennägel ausgefahren.
„Vater!" Gareth stellte sich hin und wandte sich zu der Tür. Ich saß mit dem Rücken zu dieser und traute mich nicht ebenfalls aufzustehen.
„Sohn!" In der Stimme schwang nur eine Spur Wärme mit. „Wie ich sehe hast du den Flug gut überstanden."
„Ja."
„Wie war es in Rifthold?"
„Sehr schön. Ich muss einiges mit euch besprechen, wenn wir etwas mehr Zeit haben." Gareth sprach sicherlich von Dalia.
Der Mann bewegte sich von der Türe weg zu Elide, um ihr einen Kuss zu geben. Er war gigantisch. Wortwörtlich. Lorcan Lochan war vielmehr ein muskelbepackter Berg, als ein Mann. Elide sah in ihrem Sessel mit der Tasse Tee neben ihm aus wie eine zerbrechliche Vase. Lorcan nickte Manon kurz zu. Sehr herzlich schien ihre Beziehung offensichtlich nicht zu sein aber immerhin hatte sie ihre Eisennägel wieder eingefahren.
„Und wer bist du?" fragte er jetzt mich. Unter seinem Blick fühlte ich mich nicht sonderlich wohl und auch er musterte mich, als wäre ich von einem anderen Planeten.
„Schatz." Ermahnte Elide ihn, was immerhin etwas von der Härte aus seinem Blick nahm.
„Ayla Caru." Ich stand auf und verbeugte mich leicht. „König Dorian hat mich gemeinsam mit Eurem Sohn hierhergeschickt, damit ich mit Euch morgen nach Orynth reisen kann."
Lorcan nickte und warf Manon einen Blick zu, den sie mühelos erwiderte. Ich wäre dabei sicherlich eingeknickt.
„Du spürst das auch, nicht wahr?"
Manon sah nicht sonderlich glücklich aus, dass sie Lorcan zustimmen musste aber sie tat es.
„Was meinst du?" fragte Gareth nach und warf den beiden einen fragenden Blick zu.
Doch weder Manon, noch Lorcan antwortete ihm.
„Ich würde vorschlagen, dass wir uns alle jetzt zu Bett begeben würden. Morgen ist ein anstrengender Tag." Schlug Elide vor, um die Situation zu lockern. „Ich zeige dir, wo du schlafen kannst, Ayla."
Ich war Elide wirklich dankbar, dass ich endlich aus diesem Raum und von Lorcan wegkonnte. Er machte mir Angst.
„Du musst meinen Mann entschuldigen. Er ist sehr eigen."
„Ihr müsst euch nicht entschuldigen, Lady Lochan. Ich bin bloß eine Fremde für Euch."
„Und gerade deswegen sollten wir freundlich zu dir sein. Lorcan muss noch einiges lernen." Sie klang beinahe, als wäre er ihr Kind, welches sie erziehen musste.
Lady Lochan führte mich zu meinem Zimmer und stellte mir sogar ein Nachtgewand zur Verfügung. Ich bedankte mich bei ihr. Sie war viel zu freundlich zu mir.
„Dorian hat uns erzählt wieso du hier bist. Was du mit Aelin vor hast." Es lag keinerlei Vorwurf in ihrer Stimme. „Ich würde gerne verstehen, wieso du sie umbringen möchtest."
Eine Weile starrte ich sie nur an. „Ich...Ich glaube nicht, dass es so eine gute Idee ist, es Euch zu verraten, immerhin seid Ihr mit der Königin befreundet."
„Ich möchte es wirklich wissen. Gareth hat uns ab und an Briefe geschrieben, als er bei Dorian am Hof war und in einem hat er von dir gesprochen. Er beschrieb dich als eine außergewöhnliche junge Frau. Du sollst wohl eine gute Kämpferin sein. Stimmt das?"
„Es gibt bessere als mich aber ich glaube, dass ich ganz gut bin." Antwortete ich wahrheitsgetreu Irgendwas sagte mir, dass ich Elide nicht anlügen sollte.
„Also glaubst du, dass du eine Chance gegen Aelin hast?"
„Oh nein! Ich glaube, dass sie mich mit ihrem kleinen Finger umbringen könnte, wenn die Gerüchte über sie stimmen. Es geht mir lediglich um meine Rache. Um den Versuch meine Familie zu rächen." Ich war selbst davon überrascht, wie offen ich meine Gedanken ausgesprochen hatte.
„Was hat sie mit deiner Familie gemacht?"
„Sie hat sie umgebracht."
„Mit ihren eigenen Händen?"
„Nein. Aber wegen ihr wurden vor zwanzig Jahre ganze Städte ausgelöscht. Entweder, weil sie sie zerstört hatte oder ihre Feinde. Meine Eltern starben bei einem solchen Überfall. Ich war gerade einmal fünf Jahre alt, als sie mich zu einer Waise gemacht hat. Wegen ihr wurde ich zu einer Sklavin. Sie hat mir alles genommen. Alles." Tränen rannen jetzt über meine Wangen und Elide sah aus, als würde sie mich am liebsten in den Arm nehmen.
„Ich war vor zwanzig Jahren dabei. Ich habe gesehen, was Aelin getan hat und was nicht. Glaub mir, Aelin ist nicht der Bösewicht, für den du sie hältst. Nicht alle Gerüchte stimmen, die man sich im Laufe der Jahre erzählt. Du wirst sie in ein paar Tagen kennen lernen und dann kannst du dir ein eigenes Bild von ihr machen. Gib ihr aber eine Chance." Elide wandte sich zum Gehen, blieb allerdings vor der Türe stehen und blickte noch einmal zu mir. „Du bist doch eine intelligente Frau, Ayla. Jeder hat eine zweite oder sogar eine dritte Chance verdient. Überleg es dir wirklich, ob du gegen sie kämpfen möchtest." Mit einem letzten Lächeln ließ sie mich alleine zurück.
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Throne of Glass- Dienerin des Lichts
FantasyTeil 1 BEENDET! Die Geschichte spielt ca. zwanzig Jahre nach den Ereignissen des 7. Bandes. Deshalb SPOILERWARNUNG!! (auch bei der Beschreibung) Ayla Caru verlor bei dem Krieg gegen Erawan und Maeve ihre ganze Familie und muss als Schneiderin für...