Kapitel 40

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KIAN:

Kaum hatte Kian die Türe wieder hinter sich geschlossen prasselten die Fragen von Jara auf ihn ein.
„Was war das denn gerade? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Wieso gibst du diese Chance auf normal zu werden? Ist es wegen Ayla?"

Kian ließ all dies stumm über sich ergehen, bis er genervt aufstöhnte und sich durch seine silbernen Haare fuhr. „Du hast es verdient. Nein. Ich bin normal. Nein."
Jara funkelte ihn wütend an und verschränkte die Arme vor der schmutzigen Brust.
„Ich befürchte, dass du wirklich langsam verrückt wirst."
„Was gibt dir das recht sowas zu behaupten?"
„Ich bin deine Schwester, Kinni. Ich mache mir nur Sorgen."

Jara war die Einzige, die Kian Kinni nennen durfte. Er hasste diesen Spitznamen, doch Jara konnte seinen Namen damals nicht aussprechen und hatte ihn kurzerhand einfach Kinni genannt. Jeder anderen Person hätte er längst den Kopf umgedreht, doch er und Jara waren schon immer ein eingespieltes Team gewesen. Er liebte seine ältere Schwester mehr als irgendjemand anderen auf dieser Welt. Es mochte seinen anderen Geschwistern und seinen Eltern gegenüber unfair und undankbar klingen aber sie waren es längst gewohnt.

Kian liebte seine drei jüngeren Geschwister auch aber mit ihnen konnte er manchmal nichts anfangen. Cailan war zu jung, Lyria war einfach Lyria und Sam...Nun mit ihm kam er ganz gut aus, da er nur drei Jahre jünger war, als er selbst, doch Sam hatte mit genug eigenem Mist zu kämpfen, da konnte er sich nicht auch noch Kians Mist aufladen.

„Ich habe die letzten siebzehn Jahre hervorragend ohne Magie gelebt, Jara. Wieso sollte ich das jetzt ändern wollen?"
„Damit du wie wir wirst." Schlug sie vor, doch beide Geschwister wussten, dass Kian mit diesem Gedanken schon vor einigen Jahren abgeschlossen hatte.
„Nachdem was mit Jamal geschehen ist, dachte ich nur..." Jara zuckte mit den Schultern und wich Kians Blick aus. „Ich weiß auch nicht...Das du gerne so eine Situation vermeiden möchtest."

Alles in Kian schrie danach seiner Schwester den Kopf abzureißen alleine dafür, dass sie es gewagt hatte den Namen seines einzigen Freundes in den Mund zu nehmen. Indem sie es wagte sein Andenken in eine solche Art und Weise zu beschmutzen. Doch Kian zwang sich selbst zur Ruhe. Er atmete ein paar Mal tief ein und aus und schloss kurz die Augen.
In Jaras Anwesenheit erlaubte er es sich manchmal Schwäche zu zeigen. Sie war vor so vielen Jahren dabei gewesen. Sie konnte es noch am besten nachvollziehen, was damals geschehen war und wieso Kian sich seitdem weigerte Terrassen zu verlassen.

„Kian...Versuche es wenigstens."
„Und was dann? Soll ich jetzt jeden Tag irgendein Gebräu zu mir nehmen, nur damit ich euch ebenbürtiger bin? Ich werde niemals König, Jara. Ich brauche nicht mächtig zu sein."

Kian hasste es. Er hasste es so sehr.
Auch seine Eltern verstanden nicht, wieso es Kian so egal sein konnte, dass er keine magischen Fähigkeiten besaß. Wie er nicht alles dafür tat, um diesen ‚Fehler' auszubessern.

Kian hatte als Kind viel trainiert und auch jetzt trainierte er regelmäßig, um nicht außer Form zu kommen, doch seine Interessen galten schon immer Strategien. Er war fasziniert davon jeden einzelnen Schritt seines Gegners zu sehen, bevor er diesen ausführen konnte.
Im Planen war er schon immer gut gewesen und er beherrschte auch das Kampftraining hervorragend. Was anderes war bei seiner Familie auch nicht zu erwarten gewesen.
Allerdings wollte Kian nicht wie seine Geschwister sein. Er wollte keine Medizin zu sich nehmen müssen, um seine Krankheit irgendwie zu heilen. Er hatte sich schon vor Jahren damit abgefunden.
Besser gesagt seit dem Tag an dem Jamal starb.

Diesen Tod würde er niemals vergessen können und er würde sich auch niemals mit den Schuldgefühlen abfinden aber an dem Tag hatte er gelernt, dass es egal ist, ob man magische Fähigkeiten besaß oder nicht. Man starb so oder so.

Diese Lektion hatte Kian in seinem Leben mehr als einmal lernen müssen.

„Was ist daran so schlimm mächtig sein zu wollen?" fragte Jara ihn. Diese Diskussion hatten sie schon so oft geführt. Jara war da wie Aelin. Wenn du clever und mächtig bist erreichst du alles, was du möchtest.
Aelin war durchgeknallt aber brillant und genauso erzog sie ihre Kinder.
Jara würde eines Tages genau wie ihre Mutter werden, während Kian schon immer der Außenseiter der Familie gewesen war.

Selbst Lyria, die sich lieber um sich selbst kümmerte und sich ein perfektes Leben mit einem perfekten Mann erträumte, kam ganz auf Aelin und Rowan in mancher Hinsicht.

Das Einzige, was Kian mit Aelin verband war der Wahnsinn. Äußerlich war er sein Vater. Aus diesem Grund trug Kian seine Haare immer etwas länger, als sein Vater und schneidet die sich kurz, wenn er sich diese lang wachsen lässt.

„Ich möchte nicht mehr mit dir darüber diskutieren, Jara." Sagte er schließlich.
Jara öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, doch Kian fuhr unbeirrt fort.
„Du solltest zurück zum Fest gehen und dem Volk seine zukünftige Königin zeigen."

Aelin würde noch viele Jahrhunderte leben und regieren, doch eines Tages würde auch sie sterben und dann würde Jara die neue Königin von Terrasen werden.

„Du weißt, dass ich dich liebe und nur das beste für dich möchte, oder?" Jara schloss ihren Bruder in die Arme, obwohl ihre Kleidung alles andere als sauber war aber so wie sie ihren Bruder kannte, wusste sie, dass er nicht mehr zurück auf das Fest gehen würde.
„Ich weiß." Kian drückte kurz seine Schwester an sich und atmete den vertrauten Duft ein.

Jara war sein Fels in der Brandung, seine beste Freundin und womöglich seine Seelenverwandte.
Die letzten Jahre hatten sie auseinandergetrieben und gleichzeitig enger zusammengeschweißt. Es hatte immer nur Kian und Jara gegeben. Jara und Kian.
Die beiden ältesten Kinder von Aelin Ashryver Galathynius.
Der Beginn einer neuen Zeit.

„Ich liebe dich auch." Flüsterte er und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
Überrascht hob Jara eine blonde Augenbaue, doch sie sagte nichts zu dieser ungewohnten Geste.

Kian verließ das Labor seiner Schwester und machte sich auf den Weg zu seinem Zimmer. Er hatte Ayla versprochen zu ihr zurück zu kehren, doch er hatte keine Kraft mehr.
Morgen früh würde er vielleicht zu ihr kommen, doch jetzt wollte er bloß in sein Bett und schlafen.

Throne of Glass- Dienerin des LichtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt