In meinem blauen Anzug stand ich, während ich in den Spiegel sah und meine Mutter mir die Haare auch ja perfekt richtete. Derweil sorgte Vater dafür, dass auch Joel 1A frisiert war. Dabei meckerte er die ganze Zeit: "Ich will das nicht tragen! Ich mag Haargel nicht! Die Schuhe drücken!" und was sonst nicht noch was. Es war Freitag und oh Mann, ich wäre viel lieber in die Schule als in die Kirche gegangen. Zischend riss ich mir das Verband ab, meine Hand tat sowieso nicht mehr so weh. Meine Mutter belächelte das: "Sehr gute Entscheidung, somit sind die Bilder gleich viel ästhetischer". Ästhetik leck meinen Fuß. Der Anzug war unglaublich langweilig und die Fliege schnürte meine Atemluft ab. Atemnot war nicht so ä s t h e t i s c h.
Stilvoller war dann Delia in ihrem Kleid, welche nur noch diesen Tag für mich schauspielerte. Sie meinte am Montag, dass sie froh gewesen sei, als ich nach Aurelian rannte. Daher machte sie noch das für mich. Was ich danach tun sollte? Keinen Plan. Erst mal setzten wir uns alle ins Auto, auch Twix. Doch dieser hockte nur auf Joels Schoß und würdigte mir keine Blicke mehr. Wenn dir sogar dein Hund was predigen wollte... Vor der Kirche warteten wir mit vielen anderen Familien und deren Kindern. Wenige gingen sogar mit mir auf die gleiche Schule. Meine Eltern unterhielten und verstanden sich prächtig mit Delia, was kein gutes Zeichen war. Joel murmelte für sich: "Ich mag das hier nicht...". Ich meinte zu ihm: "Das wirst du selbst in wenigen Jahren durchstehen müssen". Leidend sah er mich an: "Bitte nicht... Da würde ich lieber ebenfalls mit Jungs ausgehen...". Erschrocken sah ich unsere Eltern an - Oh gut, die haben es nicht gehört!
Nachdenklich sah ich mir die bunte Mosaik-Malerei von Gott an der Kirche an. Da haute mir Delia auf einmal mehrmals auf den Arm: "Shiro! Shiro! Shiro!". Aufdringlich zeigte sie die Einfahrt runter, wo Aurelian gerade auf seinem Skateboard mit Schulranzen auf dem Rücken angefahren kam. Er trug ein T-Shirt, auf dem ganz groß stand, dass schwul sein ok war... Gar nicht gut... Meine Eltern sahen ihn direkt feindselig an und alle anderen fingen an zu murmeln, was sich immer weiter ausbreitete. Kurz vor mir schob er das Skateboard in seine Hand und hob friedlich seine Hand: "Beruhigt euch, ich bin gleich wieder weg. Ich wollte Shiro nur Glück wünschen". Das ließ das T-Shirt aber nicht glaubwürdig machen! Er sprach mich eher kalt an: "Du wirkst sehr nervös. Willst du eine Sekunde weg von der Menge?". "J- ja...", schluckte ich leicht. Hinter mir hörte ich Delia meine Eltern beruhigen: "Es ist alles in Ordnung. Beim Homecoming hatte Aurelian auch mit einem anderen Jungen getanzt". NICHT BESSER!
Um die Ecke etwas abseits sank seine Stimme: "Ich hätte die gesamte Woche dafür beten können, dass du das heute nicht tust. Doch was hätte es gebracht? Schließlich habe ich Gott hintergangen, er würde meine Gebete nicht mehr erhören. Da könnte ich Stunden auf dem Beichtstuhl sitzen. Aber sicherlich lohnt es sich für dich noch, nicht wahr? Wo du dir immer noch meinen Kuss wünschst, still und heimlich". Kurz war es still, bis ich schwer atmend auf meine Knie ging und meine Hände zusammen faltete, um ihn betend anzusehen: "Ich bin ein Sünder". Schonungslos packte Aurelian meine Hand, zerrte mich wieder hoch und küsste mich. Ohne Widerworte machte ich mit. Bis die Kirchglocken für den Einlass ertönten. Leise flüsterte er gegen meine Gesicht, bevor er ging: "Ein Sünder mit Engelsaugen...".
Alleine ging ich zu meiner Familie zurück und wir betraten gemeinsam die Kirche. Das Prozedere mit den Gebeten und dem Gesang... Es waren zu meinem Glück genug Leute da, sodass es ausreichte, nur die Lippen zu formen und nicht mitzusprechen. Ich wollte nicht. Ich glaubte an keinen Gott, für wen sollte ich also dort singen? Mein einziger Gott schlitterte auf seinem Skateboard traurig durch die Innenstadt und schwänzte Schule, nur für einen letzten Kuss, den ich wollte. Wenigstens konnte ich die Gebete auswendig, sodass ich nicht nachdenken musste und aus Versehen etwas Falsches nachahmte. Während ich da stand, mit gefalteten Händen, dachte ich nur an Aurelian. Weshalb stand ich hier? Weshalb sollte ich mich aufopfern? Was würde es mir bringen? Sollten die anderen doch glauben, aber was brachte mir ein nicht vorhandener Glauben? Sie bekamen Mut und Hoffnung, doch ich bekam das Gefühl von Erdrückung.
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Oh Lord I'm Gay
Romance~BoyxBoy~ Ein neues Jahr, aber die letzte Chance. Der 17 jährige und streng katholisch erzogene Shiro besucht die 10. Klasse der Highschool und muss sich nun in Chemie richtig rein hängen, um Wissenschaften am College studieren zu können. Dazwischen...