Kapitel 5

32 3 0
                                    

Mir gegenüber saß der Priester und hörte mir schon vollstens zu. War die Tür gut geschlossen? Konnte das meine Mutter wirklich nicht hören? Wenn sie davon erfuhr... Ich hatte einen Nervenkollabs. Bevor ich überhaupt ein Wort sagen konnte, tropften mir schon die Schweißperlen von der Stirn. Der Druck auf meinen Knien machte das nicht besser. Ich faltete meine Hände zusammen und fing an, nervös zu sprechen: "Ich beichte, einen Jungen aus meiner Klasse geküsst zu haben... Als Entschuldigung dafür, dass ich ihn für seine Homosexualität beleidigt habe... Ich... bitte darum, dass meine Sünde gereinigt wird...". Ich wurde immer leiser. Das war doch nicht richtig. Das konnte nicht richtig sein, oder...? Mich bei Aurelian zu entschuldigen und dann für eine angebliche Sünde zu beten...? Ich verstand es nicht mehr...

"Du musst darum flehen und darum schwören, dass es dir wirklich leid tut", wies mich der Priester ruhig an. Ich verweigerte mich erst und hielt die Klappe. Wofür hatte ich es dann bitte getan, wenn ich jetzt vor Gott niederknien sollte? Ich glaubte nicht mal an ihn. Nur für meine Eltern... Damit sie mich erzwungen firmen konnten... Das war nicht fair. "Sprich, mein Junge", forderte er mich erneut auf. "Nein", gab ich kalt und stur von mir, "Das muss reichen!". Er ließ mich nicht los: "Du stehst im Sündenregister noch nicht niedergeschrieben. Es kann ein einmaliger Fehler sein, den Gott dir verzeihen kann. Sprich es nur einmal richtig aus und die Sünde sei dir verziehen". Bevor ich verweigernd daraus trat und ich Schläge von meinem Vater bekam, zischte ich: "Ich flehe dafür, dass mir diese Sünde verziehen wird. Ich schwöre, dass es mir leid tut...!". Er reinigte meine Sünde und ließ mich gehen. Seitdem sprach ich kein einziges Wort mehr.

So lange nicht, bis Damian mich nochmal anrief. Dafür blieb ich extra länger wach. Durch den Hörer drängte seine heitere Stimme: "Und? Gibt es Neuigkeiten?". "Ich will hier nicht mehr wohnen... Überzeug deinen Vater, dass er mich adoptiert oder so...", murrte ich direkt. Er war gespannt: "Ok, was ist passiert? Hat Joel wieder Twix auf dich gehetzt?". Ich sah zu meiner Bettkante, wo Twix am Fußende schlief. Seit dem Vorfall im Park wich er nicht von meiner Seite, außer bei der Kirche natürlich. Also verneinte ich seine Frage: "Im Gegenteil, der Hund scheint jetzt mir zu gehören...". "Erzähl, was ist passiert. Hast du nochmal mit Aurelian geredet?", fragte er nach. "Mehr oder weniger...", zögerte ich nervöser werdend. Er war mein bester Freunde und nicht religiös. Wie konnte es so schwer sein, das selbst ihm zu beichten? Ich umschrieb es anfangs noch: "Du hast mich überredet... und viele andere Kinder im Park... Ich wollte mich bei ihm entschuldigen...". Er sprach nicht weiter, sondern ließ mich schön reden. Ich wollte aber nicht.

Ich lenkte vom Thema ab: "Was hast du heute so in der Schule erlebt?". "Shiro", lachte er etwas los, "Was hast du gemacht?". "Ich kann es wirklich nicht sagen... Deswegen saß ich heute das erste Mal in meinem Leben im Beichtstuhl...", nuschelte ich. "Shiro. Wir mögen uns zwar nicht unser Leben lang kennen, aber wir kennen uns sehr, sehr gut. Du kannst mir doch wohl alles anvertrauen. Ich bin der Letzte, der ernsthaft über dich urteilt", erinnerte und ermutigte er mich. Also nuschelte ich: "Hab ihn geküsst...". "Du musst schon deutlicher sprechen, ich sitze nicht direkt neben dir", lachte er. "Ich wünschte, du würdest es tun...", seufzte ich, "Ja, ok. Ich habe ihn geküsst. Also, auf die Wange und auch nur ganz kurz. Aber danach... Ich bin weg gerannt und er ist mir gefolgt...". Da unterbrach er mich: "Du lässt jetzt kein einziges Detail aus, ich warne dich!". Also erzählte ich ihm alles nochmal detailliert, jede Sekunde.

Als ich fertig war, fragte er mich: "Schämst du dich denn dafür?". "Ich... Also... Schwer zu sagen... Ich verstehe die Welt nicht mehr...", war ich ratlos. -"Du wurdest dein Leben lang anders erzogen, natürlich wirft dich das jetzt aus der Bahn. Du solltest dir mal einen klaren Kopf darüber verschaffen, ob du es für dich selbst akzeptieren möchtest oder ob du weiterhin der Meinung deiner Eltern bist. Bist du homophob oder sind Leute wie Aurelian auch Menschen für dich?". -"Ich sehe das nicht so krass... Natürlich ist er ein Mensch! Er atmet, hat ein schlagendes Herz und Emotionen, läuft auf zwei Beinen, hat zwei Hände und spricht normal". -"Das ist alles rein biologisch. Keiner kann das bestreiten, das ist ein Fakt. Es geht aber um das, was du denkst und dabei fühlst. Wenn du Aurelian vor das Gesicht trittst, was denkst du dir dann dabei?". -"Alles. Es ist ein reinstes Chaos". -"Lass dir das einfach nochmal durch den Kopf gehen. Ich sollte dich jetzt schlafen lassen. Was ich erlebt habe, schreibe ich einfach auf einen Brief und schicke ihn dir dann. Das ist nicht so wichtig, wie du im Moment. Denn ich denke, du machst gerade eine lebensverändernde Entwicklung durch".

Bevor er auflegen konnte, musste ich das noch loswerden: "Warte! Kann ich dir noch etwas beichten...? Das habe ich nicht mal dem Priester gesagt...". "Na klar! Ich bin dein bester Freund!", war er wie immer offen. Leise, sodass meine Eltern das auch ganz sicher nicht hörten, gestand ich: "Ich mochte es...". Es herrschte zwar Stille, aber irgendwie hatte ich im Gefühl, dass Damian in dem Moment breit grinste. Nach der Stille wiederlegte sich das auch in seiner Stimme: "Aber natürlich. Und du meinst sicherlich auch nur das Küssen und nicht, dass es dieser Junge war. Schon verstanden, zu küssen ist ja auch eine schöne Sache. Sonst würden es nicht so viele tun. Ganz einfach nur zu küssen ist ja keine Sünde, nicht wahr?". Ich knurrte: "Gute Nacht...!". Sofort legte ich auf. Er ärgerte mich!

~~~

Unmotiviert klatschte ich meine Schulbücher in den Spind. Als ich ihn schloss und den Gang runter sah, war da Aurelian. Er entdeckte mich ebenfalls und lächelte leicht. Es war ein Reflex, den ich nicht unterdrücken konnte - Ich lächelte ebenfalls. Aber ich wollte alles andere, als mit ihm reden! Also wand ich ihm den Rücken zu und ging meinen Weg weiter. Dennoch holte er zu mir auf und sprach zum Glück ein anderes Thema an: "Hey, du trägst ja das gleiche Shirt wie gestern. Bist du ein Fan von Football?". Ich achtete da nicht wirklich drauf, dass das Shirt von Damian ein Trikot von seiner Lieblingsfootballmannschaft war. Also schüttelte ich mit dem Kopf: "Nein, das ist nicht mal meins. Es wurde bei mir vergessen und ich dachte mir, warum nicht?". "Klar, warum nicht?", stimmte er überein. "Und du? Du trägst täglich diese Kappe", fragte ich nach. "Du musst wissen, dass ich eigentlich aus Deutschland komme. Als ich noch ganz klein war, hatten wir hier in Amerika Urlaub gemacht. Seitdem habe ich diese Kappe. Jetzt trage ich sie umso lieber, da ich ja jetzt hier Zuhause bin", erzählte er locker.

"Wie alt warst du eigentlich, als du mit deiner Familie hierhin gezogen bist? Immerhin sprichst du fließend Englisch und das kaum ohne Akzent", fragte ich nach. Hauptsache wir umgingen unser aktuelles Thema vom Vortag. Er lächelte: "Oh, ich bin nicht mit meiner Familie hierhin gezogen. Meine Eltern haben mich aus der Familie ausgestoßen, als ich mich geoutet habe". Und da waren wir wieder. Aber darüber machte ich mir in der Situation eher weniger Sorgen. Ich blieb stehen und sah ihn großäugig an. Fassungslos sprach ich: "Das tut mir unglaublich leid für dich...". Wie schrecklich musste es sein, wegen etwas aus der Familie gestoßen zu werden, für das man nichts konnte? Er winkte es ab: "Ach was! Meine Adoptiveltern sind viel netter, offener und liebevoller. Klar ist es schade und anfangs war ich echt traurig. Aber ganz ehrlich? Mittlerweile habe ich vergessen, was der Name meines echten Vaters ist. Ich bin hier echt viel glücklicher. Also, um zu deiner Frage zurückzukommen - 12. In Deutschland schon beherrschte ich die Sprache ziemlich gut. Mit der Zeit gewöhnt man sich einfach an den Akzent". Ich versuchte die positiven Dinge zu behalten: "Kannst du denn noch Deutsch sprechen?". "Natürlich. Aber ich bin eingerostet", nickte er.

Ich fühlte mich unwohl und schlecht... Aurelian war eine so lockere Persönlichkeit und ich verurteilte ihn wegen etwas, wo er auch noch eine schlechte Vergangenheit mit hatte. So drehte ich letztendlich doch selbst zum Thema zurück: "Tut mir leid... Für meine Vorurteile und meine Religion... Du verdienst das nicht... Keiner tut das...". Zufrieden lächelte er: "Es freut mich, dass du die ganzen Vorwürfe nicht mehr so strikt nimmst. Aber lass es dir nicht allzu stark über den Kopf gehen. Du kannst ja nichts dafür und du bist der, der seine Meinung am schnellsten geändert hat. Da spreche ich dir meinen Respekt für aus". "Ich kann da sehr wohle etwas für. Ich bin Teil dieses Glaubens. Je mehr Mitglieder, desto stärker die Gemeinschaft", meinte ich aufgewühlt, während ich daran zurückdachte, wie ich im Beichtstuhl saß. Ich bereute es jede Sekunde mehr. Sollten sie doch mein Sündenregister voll schreiben, das war nicht human! Man kann nicht alle Menschen leiden, aber sie wenigstens für das akzeptieren, was sie sind - Ist das so schwer?

Ich sah in einen Spiegel, welcher mich die letzten 17 Jahre meines Lebens nochmal ansehen ließ. Mit welchen Traditionen ich lebte und in welches Leben ich gezwungen wurde. Ich wollte selber leben.

Oh Lord I'm GayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt