Kapitel 21: Überlegungen II

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»Jonathan, ist alles in Ordnung mit dir? Du siehst aus als ob du in eine Zitrone gebissen hättest?« Katie blickte ihn stirnrunzelnd an. Klar, sie hatte sich schon gedacht, dass er alles andere als begeistert sein würde, aber mit so einer Reaktion hatte sie dann doch nicht gerechnet.
  »Katie«, begann Jonathan, nachdem er noch einmal tief durch atmete. »Es tut mir leid, aber ich brauche einen Moment um das zu verarbeiten.«
  »Kein Problem.« Katie versuchte sich an einem Lächeln. »Ich verstehe das.«
  Jonathan schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke nicht«, widersprach er, nur um sich auf einen der Sessel im Zimmer fallen zu lassen.
  »Wie du meinst.« Katie zuckte mit den Schultern.
  »Zuerst einmal möchte ich erneut anmerken, wie unvernünftig die ganze Aktion war«, begann Jonathan dann. »Dich alleine ins East End gehen zu lassen... Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich dem zugestimmt habe.«
  »Aber?«, hakte Katie nach, die nicht wusste, was sie voon seiner Reaktion halten sollte.
  »Andererseits muss ich zugeben, dass es uns tatsächlich weiter gebracht hat«, sagte er. »Was nicht bedeutet, dass ich es gut heißen würde, wenn du es erneut machen willst.«
  »Was aber-«
  »Nein«, schnitt Jonathan ihr das Wort ab. »Wie du selbst gesagt hast, dieser Tommy scheint zu wissen, wer ich bin. Daher wird es bestimmt auch in Ordnung sein, wenn er mir berichtet und nicht dir. Denn immerhin sollen Arthur und ich dich beschützen. Dich alleine im East End herum laufen zu lassen, nur damit du dich mit diesem Straßenjungen treffen kannst war eine dumme Idee. Das ist auch der Grund, weswegen ich von Anfang an dagegen war.«
Katie starrte ihn mit ungläubig weit aufgerissenen Augen an. Sie wollte auch etwas sagen, doch es fehlten ihr die Worte.
  »Du musst aber zugeben, dass wir ansonsten erst später davon erfahren hätten. Du weißt, dass die meisten Menschen im East End nicht erpicht darauf sind mit der Polizei zusammen zu arbeiten«, mischte Arthur sich ein. »Auch wenn es natürlich richtig ist, was du sagst.«
  »Glaubt ihr beide denn wirklich, dass ich nicht alleine auf mich aufpassen kann?«, wollte Katie empört wissen.
  »Das habe ich nicht gesagt«, meinte Jonathan. »Was ich gesagt habe ist, dass ich es für unvernünftig halte und mir nicht gefällt. Was glaubst du wohl, was passiert wenn dein Vater von alle dem erfährt?«

Katie seufzte. Es gefiel ihr nicht, doch sie musste zugeben, dass Jonathan damit Recht hatte. Ihr Vater war zwar im Großen und Ganzen ein verständnisvoller und gerechter Mann, aber auch er hatte seine Grenzen. Bisher hatte sie diese nicht überschritten, doch ihre Ausflüge alleine ins East End könnten das ändern. Andererseits jedoch-
  »Dir ist aber bewusst, dass die anderen Mädchen eher Katie etwas erzählen als uns beiden, oder?«, erkundigte sich Arthur bei Jonathan. Dann blickte er sie an. »Ach ja, wolltest du das nicht auch heute machen? Davon hast du noch gar nichts erzählt.«
  »Weil es da nichts zu erzählen gibt«, sagte Katie. »Ich habe es natürlich auch bei den Mädchen versucht, wurde von ihnen jedoch sofort weggeschickt«, berichtete sie. »Auf eine Art und Weise, die irgendwie seltsam war, wenn ich jetzt genau darüber nachdenke.«
  »Seltsam?«, wiederholte Jonathan. »Was meinst du damit?«
  »Nun sie klang geradezu alarmiert«, erinnerte sich Katie. »Fast sogar panisch. Mir fällt nur leider ihr Name nicht ein.«

»Das ist wirklich ungewöhnlich«, stimmte Arthur ihr zu. »Nicht wahr, Jonathan?«
  Der nickte nachdenklich. »Ja, durchaus. Aber einfach noch einmal hingehen ist auch nicht die optimale Lösung. Es wird mit Sicherheit einen Grund für dieses Verhalten geben und es lohnt sich nicht auf schmerzhafte Weise heraus zu finden was es ist.«
  Arthur nickte. »Das stimmt allerdings.«
  »Na großartig.« Katie klang alles andere als begeistert. »Aber was machen wir stattdessen? Ich habe keine Lust einfach nur hier herum zu sitzen und nichts zu tun.«
  »Mehr als abwarten geht aber vorerst nicht«, meinte Jonathan. »Zumindest bis wir die Ergebnisse der Polizei aus Edinburgh haben.«
  »Was meinst du damit?« Katie kam sich auf einmal wie erschlagen vor. »Was hat Edinburgh mit allem zu tun?«
  Jonathan biss sich kurz auf die Lippe, wie er es oft tat, wenn er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Doch was brachte es jetzt noch, Katie zu verschweigen, was ihr Vater ihm und Inspektor Lansbury berichtet hatte? »Es könnte sein, dass wir durch deinen Vater auf eine Spur gestoßen sind.«
  »Ernsthaft?« Katie konnte es immer noch nicht glauben. »Aber wer-«
  »Das ist jetzt erst einmal nicht wichtig«, schnitt Jonathan ihr das Wort ab.
  »Aber wenn es zu der Zeit war, in der wir in Edinburgh gelebt haben, kann es doch auch sein, dass ich diese Person kenne«, gab Katie zu bedenken. »Oder nicht?«
  Jonathan schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass dein Vater dir von ihm erzählt hat. Vor allem nicht, wenn man bedenkt wie schlecht zu sprechen er auf diese eine Person war.«
  Katie zog eine Augenbraue in die Höhe. »Eine Person, auf die er schlecht zu sprechen war?«, wiederholte sie. »Nun das grenzt es zumindest etwas ein.«
  »Wie meinst du das?«, wollte Jonathan wissen.
Katie zuckte mit den Schultern. »Na ja, mein Vater hatte in Edinburgh eigentlich zu fast allen seiner Geschäftspartner eine gute Beziehung. Was natürlich auch heute noch so ist. Abgesehen von drei Personen.«
  »Woher willst du das wissen?«, fragte Arthur. »Dein Vater nimmt dich wohl auch zu seinen Geschäftsterminen mit.«
  Katie schnaubte. »Das mag sein. Aber hatten wir nicht vorhin schon gesagt, dass Kinder weit mehr mitbekommen als die Erwachsenen meinen?«
  »Dann hast du deinen Vater ausspioniert?«
  Katie schüttelte den Kopf. »Spionieren ist so ein hartes Wort. Ich würde eher sagen, dass ich unauffällig zugehört habe, wenn sich die Gelegenheit geboten hat.«
  »So nennt man das also heutzutage«, sagte Jonathan, doch er konnte nicht von sich behaupten, dass er Katie tadelte. »Wie alt warst du damals eigentlich?«
  »Elf aber das spielt keine Rolle, oder?« Katie sah Jonathan an. »Willst du nicht gerne wissen, von wem ich gesprochen habe? Oder du sagst mir einfach wen du meinst.«
  Jonathan zögerte kurz. War es klug, ihr zu sagen, was ihr Vater ihm und Inspektor Lansbury berichtet hatte? Immerhin musste er einen guten Grund haben, dass er Katie bisher nichts sagte.  Der wahrscheinlich war, dass er sie nicht in Gefahr bringen wollte. Trotzdem ... »Also gut«, stimmte er schließlich zu. »Der Mann um den es vor allem geht, heißt Landon Carter.«
  Katie sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Landon Carer?«, wiederholte sie ungläubig. »Du machst Witze!«
  »Soll das heißen du kennst ihn?«, wollte Jonathan sie.
  Katie schüttelte den Kopf. »Kennen ist übertrieben Aber ich weiß wer er ist – und zwar eine der furchtbarsten Personen, die ich jemals getroffen habe«, stellte sie klar.
  Jonathan und Arthur wechselten einen Blick.
  »Wie meinst du das genau?«, erkundigte sich Letzterer bei ihr.
  Katie zuckte mit den Schultern. »Genauso wie ich es sagte«, meinte sie. »Obwohl ich das nicht objektiv beurteilen kann, denn immerhin habe ich ihn nur zweimal gesehen. Doch das hat mir auch wirklich gereicht. Eine hohe Position zu haben, heißt eben noch lange nicht, dass man ein guter Mensch ist.«
  »Das allerdings richtig«, stimmte Arthur ihr zu.
  »Dann hoffen wir mal, dass er sich nicht an dich erinnert«, meinte Jonathan. »Sonst haben wir sehr wahrscheinlich ein noch größeres Problem als ohnehin schon.«
  »Wer war eigentlich der andere Mann? Du hattest von zweien erzählt, oder?«
  »Ja, William Goldstein«, sagte Jonathan.
  »Goldstein?«, fragte Katie und ihre Augen begannen zu funkeln. »Ihr versucht über ihn an Carter ran zu kommen?«
  Jonathan nickte. »Versuchen trifft es gut. Wir wissen aber im Moment nicht einmal ob er sich überhaupt in Edinburgh aufhält.«
  Katie nickte. »Das weiß ich auch nicht. Aber ich bin überzeugt davon, dass er euch helfen wird wenn ihr ihn findet.«
  »Das hört sich an als ob er vernünftig ist«, sagte Arthur.
  Katie nickte. »Oh ja, das ist er. Auch wenn er einen seltsamen Humor und manchmal echt komischen Akzent hat.« Sie grinste. »Aber er ist wirklich in Ordnung. Vater hat sich damals oft mit ihm getroffen und Geschäfte gemacht, als wir noch in Edinburgh gelebt haben.«
  »Nun, wenn er mit vielen Leuten Geschäfte gemacht hat, dann wird er uns wohl auch einiges zu erzählen haben«, meinte Jonathan. »Zumindest dann, wenn wir das Glück haben sollten, dass er noch immer in Edinburgh lebt.«
  Katie nickte erneut. »Davon bin ich überzeugt.«
»Von was genau? Dass er uns weiterhilft oder dass er noch in Edinburgh ist?«, wollte Arthur wissen, der alles bisher überwiegend schweigend verfolgt hatte.
»Beides«, antwortete Katie, ohne zu zögern. »Ganz davon abgesehen würde ich mich sehr freuen, wenn ich mich nochmal mit ihm unterhalten könnte. Mister Goldstein ist nämlich ein interessanter Mensch.«
  Arthur lachte auf. »Wenn du das schon sagst, dann muss das schon was heißen.«
  Jonathan sagte zwar nichts dazu, doch insgeheim konnte er nicht anders als ihm zuzustimmen. Darüber hinaus aber musste Goldstein ein anständiger Mann sein. Denn selbst wenn Katie dazu neigte, Dinge übereilt anzugehen, konnte er ihr eine gewisse Menschenkenntnis nicht absprechen. »Du glaubst also, dass er uns helfen wird?«, wollte er schließlich wissen.
  »Davon bin ich überzeugt.« Katie lächelte. Auch wenn es mich jetzt nervt, dass wir nicht mehr tun können, als zu warten.

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