Kapitel VI: Dumpf

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Als ich am nächsten Abend müde bei mir zuhause ankam, vermisste ich ihn schon. Die Fahrt war furchtbar lang gewesen dank des warmen Wetters, wenn auch dieses Mal kein Stau meine Fahrzeit verlängert hatte. Dafür aber umso mehr die Tatsache, dass ich gegangen war. Wir hatten am Morgen gefrühstückt. Ganz entspannt mit Blick auf den See. Dann hatte ich mit ihm eine Runde zum Mietwagenverleih gemacht. Es hatte gedauert, bis ich alle Dinge geklärt hatte. So einfach wie wir uns das vorgestellt hatten, ging es dann leider doch nicht. Als wir schließlich bei ihm angekommen waren, war es schon fast 2 Uhr mittags gewesen – also Zeit sich auf den Weg zu machen.

Es war komisch gewesen die Sachen in das Auto zu verladen und noch viel komischer sich von ihm zu verabschieden. Ich hatte ihn fest gedrückt, hatte ihm einen Kuss auf die Wange geschmatzt und mich bei ihm bedankt. Fest in meiner Handtasche verschlossen das Kärtchen vom Empfang mit allen Telefonnummern.

Wir hatten uns darauf geeinigt, oder besser gesagt, er hatte darauf bestanden, dass wir keine Handynummern austauschten. Ich würde wissen, wo er war und wenn ich Bedarf hatte, würde ich mich melden. Er wollte mir nicht auf die Pelle rücken, was ich ihm hoch anrechnete. Dumm nur, dass es mir gar nicht passte, denn auf einmal war ich wieder allein in meiner hübschen kleinen Wohnung, die mir auf einmal viel zu eingeengt erschien.

Das Viertel, in dem ich wohnte, mein Kiez sozusagen, war weit südlich gelegen, worüber ich dankbar war. Weniger Hipster, mehr Familien. Das hatte natürlich auch einen entscheidenden Nachteil: Mehr glückliche Pärchen auf der Straße, als ich bei meinem Späti um die Ecke noch schnell Brötchen und eine Milch für den nächsten Tag besorgte.

Die Sonntagnacht war nicht besser als der vorherige Abend. Auch wenn ich keine Paare mehr beobachtete, sah ich ihn vor meinem Auge und konnte ich nicht mal auf mein aktuell liebstes Buch konzentrieren. Er hatte mir gehörig den Kopf gewaschen. Immer wieder geisterten Bilder vor meinem inneren Auge umher vom Club, dem nackten Sklaven, seinen Augen und manchmal konnte ich die Klemmen an meiner Brust noch fühlen.

Außerdem musste ich am Montag einiges mit meinem Chef klären, was mich und ihn wahrscheinlich nicht erfreuen würde. Der Mietwagen zum Beispiel. Als ich endlich gegen halb vier Uhr morgens in den Schlaf sank, wurde ich also von miesen Chefs, Gummimasken und Jan verfolgt, die mich alle nicht in Ruhe lassen wollten.

Der Montag sah ebenfalls nicht viel besser aus. Zum einen sah ich durch die Nacht furchtbar aus und zum anderen bekam ich den Anschiss meines Lebens. Der ließ mich ganz knapp vor Kündigung stehen, aber irgendwie schaffte ich es doch mich am Riemen zu reißen. Jobverlust war nicht das, was ich brauchte. Auch wenn ich mir bei meinen Rücklagen für die nächsten Monate keine große Panik fürs Überleben machen musste. Als ich an dem Tag abends nach Hause kam, versank ich also in einer Flasche Wein. Eigentlich trank ich sehr selten Alkohol und war auch nicht sonderlich gefährdet, aber in dem Moment war mir wirklich nach Besäufnis zu Mute.

Und so folgte ebenfalls die restliche Woche. Obwohl ich erwartet hatte, dass es besser wurde, war dies nicht der Fall. Jeden Tag schleppte ich mich übermüdet auf die Arbeit, bekam von meinem Chef noch mehr Scheiße reingedrückt und schleppte mich danach nach Hause um deprimiert in meinem Buch zu blättern, mich aber nicht konzentrieren zu können. Ich hatte scheinbar einen Fehler gemacht. Ich hatte mir ein Stück der verbotenen Frucht gegönnt und wollte jetzt mehr. Mehr Liebe. Mehr Nähe. Mehr Sex. Und mehr Ruhe. Und vielleicht auch mehr Jan?

Auch der Samstagabend mit meinen besten Freundinnen konnte daran nichts ändern. Die beiden Blondinen saßen mir gegenüber, aber nachdem ich vehement nicht erzählen wollte, was mich so mitnahm, ließen sie mich schlicht in Ruhe. War ich eine schlechte Freundin? Vielleicht. War es mir egal? Definitiv. In Mitleid ertrinken machte mehr Spaß. Im weiteren Sinne zumindest.

Nachdem ich den Sonntag deprimiert mit Kater unter der viel zu warmen Bettdecke verbracht hatte und kurz davor gewesen war im Club anzurufen, verbannte ich die kleine Visitenkarte unter mein Kopfkissen. Nah dran, aber nie mit dem Handy. So hatte ich tagsüber immerhin nicht das Verlangen anzurufen, dafür aber umso mehr, wenn ich mich abends ins Bett legte. Und das tat ich immer recht zeitig, denn die Tage wurden immer schlimmer. So schlimm, dass ich am Donnerstag meinem Chef richtig gegen das Bein pinkelte – im übertragenen Sinne.

Nachdem er mir mitgeteilt hatte, dass der Schnöselkunde, jetzt wo er angeworben war und eigentlich auch fast fertig bearbeitet, einem meiner Kollegen übergeben werden würde, damit dieser die Provision, die wir auf jeden zufriedenen Kunden bekamen, einheimste, reichte es mir endgültig. Nach einem hitzigen Wortgefecht, dass vielleicht nicht ganz professionell verlief, verkündete ich meine Kündigung und stand dann da: Vor meinem Schreibtisch, von dem ich die wenigen persönlichen Sachen herunter kramen konnte, ehe ich meinen Schlüssel für die Bürotür meinem Chef auf den Tisch donnerte, meinen Arschlochkollegen den Mittelfinger zeigte und hinauseilte. Was für eine Scheiße.

An diesem Abend war es besonders schlimm. Ich fing an zu zweifeln. An mir. An meinen Entscheidungen. An meinen Plänen für die Zukunft. Quasi kurz davor eine eigene kleine karibische Insel zu kaufen und für den Rest meines Lebens mit Kokosnüssen zu reden – hätte mir das Geld nicht gefehlt. Eine kleine Internetrecherche ergab zwar, dass es eine schottische Insel zu einem erschwinglichen Preis gab, aber ich war mir sicher, dass mir dort kein schottischer Jamie Fraser über den Weg laufen würde, also schob ich meine Gedanken zu Outlander zurück ins Bücherregal und starrte auf die kleine Visitenkarte vor mir auf dem Tisch. Auch wenn mir dadurch unweigerlich ein Jan im Kilt mit Schwert vor den Augen herumwaberte.

Ich hatte die die letzten Tage so häufig hin und her gebogen, angefasst, herumgeschleppt, dass sie fast ein wenig ausgeblichen war. Nach zwei Wochen! Ich benahm mich wie ein Teenager – aber immerhin fühlte ich mich auch so. Hilflos, verwirrt und offiziell in hormoneller Schieflage. Als ich mich schließlich durchgerungen hatte ihn anzurufen, war es fast schon 23 Uhr. Er schlief wahrscheinlich schon längst, aber der Gedanke war zu spät, als bereits abgenommen wurde.

„Hi hier ist Livy von den golden Roses. Wie kann ich helfen?", fragte die Empfangsdame, die mir am Sonntag vor zwei Wochen bereits positiv aufgefallen war.

„Oh, hi Livy. Hier ist Elena. Von vor zwei Wochen. Sag mal, ist Jan zufällig da?", fragte ich zaghaft. Sie würde mir wohl kaum die private Handynummer geben, oder? Bestimmt nicht. Sie würde einfach auflegen, würde über mich lachen! Die dumme kleine Elena.
Eine kurze Stille folgte, ehe sie sich räusperte.

„Hi Elena, es freut mich von dir zu hören. Geht es dir gut? Nein, Jan ist aktuell nicht auf dem Club-Gelände. Er hat schon Feierabend gemacht. Soll ich ihm etwas ausrichten?"

„Äh, mir geht es gut, denke ich. Ich weiß, das ist schwierig, aber wie du weißt, kennt Jan mich gut und ich habe ja sogar bei ihm im Bungalow übernachtet. Wärst du so lieb und könntest mir seine Handynummer geben?", fragte ich zögerlich.

Kurze Zeit herrschte wieder Stille, Livy schien zu überlegen, antwortete dann aber doch:
„Eigentlich darf ich das nicht. Aber ich denke, bei dir kann ich eine Ausnahme machen. Hast du Zettel und Stift bereit?", fragte sie, während ich hastig mitschrieb und mich dann bei ihr bedankte. Ein Schritt weiter, sozusagen.

Der nächste Anruf kostete mich dennoch nochmal eine halbe Stunde. Jan wusste nicht, dass ich mich bei ihm melden konnte. Vielleicht schlief er schon? Vielleicht wollte er von mir gar nicht hören? Was sollte ich ihm schon sagen? Hey Jan, ich bin emotional kaputt. Rettest du mich? Die Fremde, die nicht mal weiß, ob dein Fetisch auch für sie funktioniert.

Trotzdem machten meine Hände wieder etwas, was mit meinem Kopf nicht abgesprochen war: Sie riefen an. Wieder tutete es und ich hielt gespannt den Atem an, nur damit am Ende die Mailbox ranging. Kein Jan zu hören. Frustriert warf ich das Handy aufs Bett und vergrub mein Gesicht im Kopfkissen, fühlte mich nach einer Flasche Tequila oder Sambuca. Hauptsache dieses elendige Gefühl würde endlich verschwinden.

Gerade als ich so weit war und mich zum Kühlschrank aufraffen wollte, vibrierte es. Erst konnte ich es gar nicht zuordnen, sah dann aber mein Handy aufleuchten. Die Nummer, die dort angezeigt wurde, war identisch mit der, die ich zuvor angerufen hatte. Es war also Jan. Um Mitternacht auf einen Donnerstag. Wahrscheinlich dachte er es müsse sich um einen Notfall handeln.

Zögernd nahm ich mein kleines Gerät in die Hand und hielt inne. Was sollte ich denn nun sagen? Aber wenn ich nicht abnahm, dann würde er vielleicht nie wieder anrufen oder nicht mehr ran gehen. Konnte ich das ertragen? Die Frage beantwortete ich mir mit einem Tippen auf das grüne Zeichen.

„Hallo? Sie haben mich gerade angerufen?", fragte Jans Stimme leicht verwirrt. Er hörte sich müde an, vielleicht ein wenig zerknautscht. Ich bekam zunächst kein Wort heraus, räusperte mich dann aber. Das Adrenalin ging hoch – wie ein gottverdammter Teenager. Das war doch nicht wahr!

„Hi, äh, Jan. Hier ist Elena", erwiderte ich schließlich piepsend. Kurz entstand eine Stille am Telefon, in der ich beinahe auf Auflegen gedrückt hätte, aber Jan antwortete schließlich doch.

„Elena, geht es dir gut?", fragte er direkt. Er schien besorgt und irgendwie von einer auf die nächste Sekunde wacher. Ich räusperte mich ebenfalls. Konnte ihm ja schlecht erzählen, wie durch ich war.

„Ich äh, also es ist kein Notfall oder so. Habe ich dich geweckt?", fragte ich daher vorsichtig und wartete bereits auf die Absage, dass er gleich auflegen würde. Es war mitten in der Nacht. Er hatte gearbeitet, hatte nun frei. Da wollte er sich gewiss nicht mit mir rumschlagen - der arbeitslosen Anfängerin.

„Ja und Nein. Ich war eigentlich noch am Vorbereiten einer Präsentation für ein Meeting morgen, bin aber wohl darüber eingenickt. Ehrlich gesagt habe ich nicht erwartet, dass du mich anrufst. Bist du dir sicher, dass alles gut ist?", hakte er noch einmal nach.

„Ja, ich, ich - nein. Ich bin ein wenig durch, ehrlich gesagt. Und ich musste deine Stimme hören. Sorry, ich wollte nicht. Also ich wollte nicht aufdringlich sein. Es ist nur, dass ich – ich habe einfach an dich gedacht", murmelte ich leise und bekam ein schlechtes Gewissen. Vielleicht wollte er doch gar nicht mehr? Vielleicht lag es nicht mal an mir? Er brauchte doch in seinem Alter etwas ganz anderes. Eine starke Frau an seiner Seite. Keine arbeitslose BWL-Tante, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekam.

„Du wohnst doch aktuell in Berlin, nicht? Bist du in deiner Wohnung?", fragte er schließlich. Ich zögerte, nickte dann aber. Was er natürlich nicht sehen konnte. Idiotin.

„Ja, bin ich. Wieso?", fragte ich schließlich und hörte seine stockende Antwort am anderen Ende der Leitung:

„Ich habe morgen einen Termin mit einem Kunden meiner anderen Firma. Ebenfalls in Berlin, weswegen ich aktuell im Hotel bin. Wenn du möchtest, dann ziehe ich mir meine Schuhe an und komm vorbei."

Ich brauchte einige Sekunden, um sein Angebot zu verstehen – und dann nicht gleich überwältigt umzukippen. Er war hier. Das war gut. Aber er hatte mir nicht Bescheid gesagt – wie denn auch? Er hatte ja meine Nummer nicht. Aber wollte ich, dass er vorbei kam? Konnte ich ihm in die Augen sehen? Es war eigentlich alles egal. Auch wenn ich sofort 50 Gründe fand – ich hatte beispielsweise an dem Tag noch nicht gesaugt – warum er nicht kommen sollte, fand ich einen, warum er kommen sollte. Und der war einfach wichtiger als alle anderen: Ich wollte ihn bei mir haben. Wollte meine Nase wieder an seinem Arm vergraben und fühlen, wie er über meinen Nacken strich, mich beruhigte.

„Ich bin nicht vorbereitet. Wenn du das mit der Wohnung dir wirklich antun willst", wich die kleine doofe Stimme in mir doch aus, wofür ich mich innerlich selbst treten wollte. Jan seufzte leise auf.

„Schick mir deine Adresse als SMS an dieses Handy. Ich fahr gleich los. Und mach dir bitte keinen Aufwand. Deine Wohnung ist egal, ok?", damit hatte er aufgelegt und ich starrte zweifelnd auf mein Handy. Ob ich auch wirklich nicht geträumt hatte? Trotzdem tippte ich schnell eine SMS mit meiner Adresse und raste dann ins Badezimmer. Je nachdem, wo sein Hotel lag, konnte er Ewigkeiten her benötigen. Aber Steglitz lag eigentlich gut angebunden über die Autobahn. Vielleicht hatte ich Glück und er würde nur eine halbe Stunde benötigen.

In der Eile machte ich mich frisch. Kein Makeup, aber die Haare entwirren, die Tränenspuren des Nachmittags beseitigen, die meine Mascara auf meinen Wangen hinterlassen hatte und zumindest ein bisschen Deo. Das Wetter hatte sich zwar abgekühlt in den letzten Tagen, aber mit dem Haufen an persönlichen Sachen, die ich mitgeschleppt hatte, war ich trotzdem ins Schwitzen gekommen.
Dazu zog ich mir noch eine bequeme, kurze Jogginghose an und wartete dann quasi am Fenster. Bei mir in der Straße fuhren um diese Uhrzeit fast nie Autos vorbei, weswegen ich nur alle 5 Minuten einmal zweifelnd schauen musste, ob er es war. Hielt das Auto? Stieg er aus? Aber es dauerte, er ließ sich Zeit. Als ich mittlerweile selbst an mir zweifelte, ob er überhaupt kommen wollte, klingelte es dann doch an meiner Tür.

Zögerlich trat ich heran und öffnete durch die Freisprechanlage die Tür unten, zog meine dann zaghaft auf und blieb dort mit verschränkten Armen stehen. Ich hatte den scheiß BH unter meinem Top vergessen, aber nun war es sowieso zu spät, um mich elegant aussehen zu lassen. Ich hoffte, er würde nachsichtig sein.

Irgendwann hörte ich die schweren Schritte im Treppenflur und wenige Sekunden später kam Jan dann im vierten Stock an. Er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, schnaufte kurz, wenn auch nicht stark und musterte mich dann – so wie ich ihn. Er hatte eine dunkle Hose an, ein schwarzes T-Shirt dazu. Die Haare standen ein wenig wirr und er sah müde aus. Müde und irgendwie besorgt.

„Hi", zögerte ich, als er endlich vor mir stand, aber er erwiderte mein Lächeln nur sanft und zog mich in eine kurze Umarmung. Ich erwiderte schließlich und ließ ihn eintreten.

„Ich, ja. Komm einfach rein. Da ist das Bad, Wohnzimmer, Flur, Küche und Schlafzimmer. Fühl dich wie zuhause", plapperte ich leicht aufgeregt vor mich hin und verschwand in die Küche, um Wasser zu besorgen. In meiner Hektik merkte ich nicht einmal, dass er mir gefolgt war, sich neugierig, aber reserviert umsah und mir schließlich ins Wohnzimmer folgte, wo ich ihm einen Platz auf meiner kleinen Couch anbot.

Er besah das kleine Ding etwas misstrauisch und sah dann zu mir hinüber.
„Und du bist sicher, dass die uns beide hält?", fragte er skeptisch, während ich verwirrt dort stand. So sehr hatte ich das Ding noch nicht getestet, wenn ich ehrlich war. Immer nur allein Ich selbst war ja auch nicht sonderlich leicht und bei seiner Größe würde er auch nicht nur 70 Kilo auf die Waage bringen.

„Äh, ich weiß nicht?", fragte ich hektisch und überlegte schon, wie man es besser lösen könnte. Ein Stuhl aus der Küche? Das Bett im Schlafzimmer? In meinem Kopf drehten sich hektisch schleifen, die sich anfühlten als würden sie bald einen Kurzschluss verursachen. Bis sich zwei Arme um mich schlangen, und einfach nur hielten. Kurz atmete ich zittrig ein, vergrub dann aber mein Gesicht an seiner Brust. Jan schien sofort zu verstehen, denn er zog mich noch fester an sich heran, hielt mich einfach während ich schon wieder wie ein dummes Huhn anfing zu schniefen. Völlig überfordert mit der Situation.

Die ganze Zeit über sagte er kein Wort. Nicht ein einziges, während er mir über den Kopf strich, mich auf die Stirn küsste, meinen Rücken streichelte und mich mit einer Art Brummen sanft zur Ruhe brachte. Er war definitiv mein wunder Punkt, wenn er so viel Macht über mich hatte. Als ich mich schließlich wieder gefangen hatte und entschuldigen wollte, schüttelte er nur leicht den Kopf. Ein Gedankenleser war er damit also auch noch.

„Geht es wieder?"

„Ja, sorry. Irgendwie war es sehr viel", flüsterte ich und strich mir die Tränen aus dem Gesicht, ehe er nickte und mir ein Glas Wasser einschenkte. Leicht beschämt nahm ich es – es war immerhin meine Wohnung. Ich sollte ihn bedienen, nicht er mich. Aber das störte ihn wohl nicht. Er ließ sich auf meiner Couch nieder und fummelte dann so lang an den Sofakissen herum, bis er eines von der Rückwand gelöst hatte. Wortlos legte er es auf den Boden vor sich und sah mich an. Und ich? Ich überlegte nicht. Genauso stumm ließ ich mich darauf nieder, lehnte meinen Kopf an sein Bein und wartete auf die Hand, die sich in meinen Nacken legte. Als wäre er mein Anker.

„Möchtest du mir erzählen, was passiert ist?", fragte er schließlich leise. Wieder zögerte ich, wusste nicht recht, wie ich das ganze verpacken sollte. Immerhin konnte ich auch schnell wie eine Irre dastehen. Vielleicht war ich auch eine Irre. Und da war da noch der Scham. Niemand erzählte gern, dass er jetzt arbeitslos war.

„Ich habe meinen Job gekündigt, weil mich mein Chef schikaniert hat und war ein wenig allein", gab ich schließlich zu und sah vorsichtig zu ihm nach oben. Die nette Kurzfassung. Er hatte eine Augenbraue hochgezogen, nickte dann aber. Kein Wort zu uns. Kein Wort darüber, dass er mich vermisst hatte.

„Und das ist alles?", fragte er noch einmal nach. Wieder zögerte ich. Aber was brachte es schon? Die ganze Situation war skurril genug. Es vor ihm zu verstecken, war nicht die beste Idee. Insbesondere nicht, wenn ich mich so hilfesuchend an ihn klammerte wie in diesem Moment. Als hätte er das nicht mitbekommen.

„Nein", gab ich also zu und schloss kurz die Augen, um mich zu sammeln.

„Ich habe die letzten zwei Wochen viel nachgedacht. Über dich und mich. Über das, was du im Bett treibst. Über das, was ich gern im Bett treiben möchte. Ich habe dich vermisst. Und dann kam zu meiner Unzufriedenheit noch die Arbeit dazu. Mein Chef hat mir schon länger immer die Idioten-Position zugeschrieben, aber wir hatten Stress wegen des Mietwagens. Aus Gehässigkeit wollte er mir die Provision vom Kunden streichen und hat mir andere Mistaufgaben reingedrückt. Welche, für die ich absolut überqualifiziert bin und das nur weil er mit der scheiß Praktikantin bumst", redete ich mir meine Probleme von der Seele, während er weiterhin meinen Nacken kraulte und mir aufmerksam zuhörte.

Wieder sagte er eine Weile lang nichts. Aber das war ok. Es war spät. Er sah sehr erschöpft aus und so fühlte ich mich ebenfalls.

„Es ist besser, dass du dort weg bist, wenn er dich so mies behandelt hat. Du solltest etwas machen, dass dir Spaß macht. Und nichts, was dich unfair behandelt", fing er an und legte seinen Kopf leicht schief, als würde er abwägen, wie er weiterreden sollte.

„Ich habe dich ebenfalls vermisst, Elena. Ich hatte Angst, du würdest dich nicht bei mir melden wollen. Allerdings hätte ich dich ebenfalls nicht so früh vermutet. Auch wenn ich die letzten zwei Wochen meinen Bungalow im Club gemieden habe. Es hat alles nach dir gerochen", er verzog seine Lippen zu einem Ansatz eines Grinsens, ehe er sich nach unten beugte und mein Kinn in seine Richtung zog. Automatisch schloss ich die Augen nur um wenig später seinen Mund auf meinem zu spüren. Keine Leidenschaft, etwas viel Sanfteres umfing mich und nahm mir fast alle Last, die ich mir selbst aufgeladen hatte. All die Ängste, die ich mir zusammengesponnen hatte.

„Und wenn es nach mir riecht, ist es nicht gut?"

„Doch. Aber ich musste die ganze Zeit an dich denken. Das war nicht gut. Keine Konzentration mehr. Keine Aufmerksamkeit für meine beiden Geschäfte", er schüttelte leicht den Kopf und richtete sich dann wieder auf, warf einen Blick auf die digitale Uhr, die auf einem Sideboard stand. Kurz vor viertel vor Zwei. Ziemlich spät.

„Ich möchte dich nicht zu lang wachhalten, wenn du morgen früh den Termin hast", meinte ich schnell. Das schlechte Gewissen überkam mich, auch wenn ich ihn eigentlich nicht gehen lassen wollte.

„Nun, du hast die Wahl. Entweder ich fahre jetzt los, dann bin ich um halb vier hoffentlich im Bett und dann morgen früh fit genug für das Meeting um 10 Uhr morgen Vormittag. Oder-", schlug er mir vor, wurde dann aber rasch von mir unterbrochen.

„Ich habe sowieso zwei Bettzeug im Bett. Ich verspreche, ich lass dich schlafen", erklärte ich und bekam dafür ein sanftes Lächeln.

„Dann sollten wir uns fertig machen", schlug er vor, woraufhin ich ihn in Richtung Bad schickte und das Bett aufräumte. Es war nur 1,40 Meter breit, aber würde wohl für die Nacht ausreichen. Hoffte ich.

Als er schließlich neben mir stand, wieder nur in seiner Retro, deutete ich auf den Platz zur Tür hin, den ich normalerweise mit einer Wand aus Kissen und Bettdecken belegte. Er nickte nur, war offensichtlich kaputter als er zugeben wollte. Trotzdem war er noch wach, als ich aus dem Bad kam und alle Lichter hinter mir aus machte. Innerlich war ich aufgewühlt. Zum einen sehr nervös, zum anderen aber auch zutiefst zufrieden darüber, dass er bleiben würde. Ein wenig Ruhe für meine inneren Dämonen.

Etwas ungelenk krabbelte ich über ihn rüber, schaufelte mir dann etwas Platz, was er nur mit einer hochgezogenen Augenbraue quittierte. Einen kurzen Moment starrten wir uns nur so an, halb sitzen, halb liegend. Dann breitete er die Arme aus, in die ich dankbar sank. Eigentlich verstand ich mich nicht mehr. Ich hasste Nähe, aber wenn sie von ihm kam, war sie wie ein Geschenk.

„Schlaf gut, Kleines", nuschelte er leise an meinem Kopf, während die Lampe neben meinem Bett erlosch.

„Schlaf gut, alter Mann", erwiderte ich daraufhin und schloss genießerisch die Augen. Ich konnte es kaum erwarten am nächsten Morgen Zeit mit ihm zu verbringen.

Die Hand in meinem NackenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt