Prolog

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Jeder hat ein Geheimnis.
Wie die Austern ihre Perlen verbergen wir es tief in unserem Innern, hüllen es in Schichten aus Kristall. Manche von uns verbringen ihr ganzes Leben damit, ihr Geheimnis in seinem Versteck zu bewahren, es vor jedem zu schützen, der es uns entreißen könnte. So werden wir zur Auster und verschließen unsere Perle nur um zu entdecken, dass sie uns in einem Moment entschwindet, da wir am wenigsten damit rechnen-enthüllt durch das Aufblitzen von Angst in unseren Augen, wenn wir unversehens ertappt werden.

Es war eine stürmische und regnerische Nacht. Der Regen prasselte unaufhörlich an das Fenster meiner New Yorker Wohnung. Stumm rannen die Tropfen wie Tränen hinab, verloren sich in der Unendlichkeit der Welt. Wie so oft in den letzten zwei Jahren konnte ich nicht schlafen. Die Gedanken an meine Vergangenheit ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Ich erhob mich aus meinem Stuhl und legte die Akte die ich gerade las beiseite. Der Himmel war von dunklen Regenwolken bedeckt. Hier und da durchzuckte ein Blitz die Dunkelheit der Nacht. Jedes Mal aufs Neue versuchte ich die Vergangenheit zu verdrängen, sobald sie mich wieder zu übermannen drohte. Heute schaffte ich es jedoch nicht. Ich wendete mich von dem Fenster ab und ging auf meine Kommode zu. Auf ihr befand sich eine kleine goldene Schatulle, die mit Kirschblüten verziert war. Vorsichtig öffnete ich den Deckel und nahm den kleinen silbernen Ring behutsam in meine Hände. Mein Körper fing an zu zittern. Die Tränen liefen mir wie stumme Zeugen an den Wangen hinab. Was war nur aus mir geworden?

Die Serena die ich einmal gewesen war, gab es nicht mehr. Ich hatte mich äußerlich und innerlich verändert. Meine Platin blonden Haare hatte ich mir kurz Schneiden lassen, und Platin blond waren sie auch nicht mehr da ich sie nicht mehr färbte. Mir war es nicht leichtgefallen sie so rapide zu kürzen, doch ich hatte keine Wahl gehabt. Das Klopfen an meiner Tür riss mich aus meinen Gedanken. Vorsichtig legte ich den Ring zurück und schaute auf meine Uhr. Es war bereits nach 2 Uhr Nachts, doch in meinem neuen Job war so später Besuch nichts Ungewöhnliches. Ich nahm meine Waffe, spannte diese und ging langsam zur Tür. Durch den Spion konnte ich einen komplett in schwarz gekleideten Mann erkennen. Er trug keine Abzeichen und die Kappe war tief in sein Gesicht gezogen. Ich öffnete die Tür. „Miss Parker?" „Ja, das bin ich." Er richtete seinen Blick auf mich und ich konnte in seine braunen Augen sehen. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln. „Ich habe hier einen Brief für sie. Der Boss erwartet sie in einer halben Stunde im Büro". Bevor ich mich bedanken konnte, war er bereits verschwunden. Ich schloss leise die Tür und setzte mich wieder an meinen Schreibtisch. Der Brief lag schwer in meinen Händen. Ich wusste, dass es ein neuer Auftrag war. Angst vor dem Tod hatte ich nicht, doch ich wollte von keinem Auftrag mit meiner Vergangenheit konfrontiert werden. Bei meiner Familie war dies jedoch nicht so unwahrscheinlich. Mit klopfendem Herzen öffnete ich den Brief. Außer einem Bild enthielt er nichts.
Langsam drehte ich das Bild herum und was ich dann sah, ließ mir den Atem stocken.

Mein Herz fing an zu rasen, meine Augen wollten dem was sie sahen keinen Glauben schenken. Auf dem Bild sah man Letty und Diego, wie sie zusammen vor einer Lagerhalle standen. In ihren Händen befanden sich Waffen. Ich hatte Letty schon seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Damals war sie Dom's Freundin gewesen. Ja, man konnte sie sogar als seine Seelenverwandte bezeichnen, doch eigentlich war sie Tod. Was also machte sie ausgerechnet neben Diego? Und was hatte sie mit meinem neuen Auftrag zu tun? Ich ahnte Schlimmes.

Das Versteckspiel und die neue Identität hatten mich also nicht vor meiner Vergangenheit schützen können. Sie hatte mich nach zwei Jahren wieder eingeholt. Mein Boss wusste nichts von alledem. Für ihn war ich von Anfang an Emilia Parker gewesen und so sollte es auch bleiben. Ich musste stark sein, meine Gefühle verbergen, den Job durchziehen. Langsam stand ich auf, ging zu meinem Koffer herüber. Er war immer gepackt, man konnte nie wissen, wann wieder ein neuer Auftrag hineinkam. Langsam entspannten sich meine Nerven. Ich würde auch diesen Auftrag schaffen. Vom Garderobenständer nahm ich meine Jacke und meine Handtasche. Meine Pistole legte ich in sie hinein. Den kleinen silbernen Ring nahm ich aus seiner Schatulle und befestigte ihn an meiner langen silbernen Kette, die ich immer trug. In den letzten zwei Jahren war er so etwas wie mein Glücksbringer geworden. Unwillkürlich musste ich an den Mann denken, der ihn mir geschenkt hatte und ein Schmerz durchzog mein Herz, nahm von meinem Körper besitzt. Würde ich ihn jemals wiedersehen? Damals hatte ich jedoch keine andere Wahl gehabt als zu fliehen. Zu fliehen vor mir selbst und vor den Schatten der Vergangenheit. Mittlerweile war es bereits viertel nach zwei, wie ich mit einem Blick auf meine Uhr feststellte. Ich musste mich beeilen. Der Boss sah es nicht gerne, wenn man zu spät kam. Bevor ich gehen konnte, musste ich jedoch noch eine Sache erledigen. Ich nahm das Foto und die Akte die ich bis eben gelesen hatte wieder in die Hand, ging zum Kamin herüber. Die Flammen züngelten sich in ihm, warteten auf neue Nahrung. Ich schmiss beides hinein. Sofort fing das Papier Feuer und verbrannte in kleine Ascheteile.

Eine Spionin hinterließ niemals Spuren.

Tokyo, where the world turns into light 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt