Märchen existieren nicht

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Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch die Fenster ins Zimmer, kitzelten mich im Gesicht, zwangen mich so dazu meine Augen zu öffnen. Der Himmel war strahlend blau und der Wind spielte mit den schneeweißen Vorhängen vor den Fenstern. Es würde ein schöner Tag in Tokyo werden, auch wenn mir heute etwas sehr trauriges bevor stand. Ich spürte, wie meine Taille fester umschlossen wurde. Hinter mir ertönte ein wohliger Seufzer und kurze Zeit später hörte ich wieder Han's regelmäßigen Atem. Er schlief also noch tief und fest. Mit einem Blick auf meine Uhr, stellte ich fest, dass es gerade einmal 7 Uhr war. Normalerweise schlief ich immer lange, doch es war einfach zu viel passiert. Ich spürte, wie ich innerlich immer unruhiger wurde. Zwei Monate waren seit dem Rennabend vergangen, zwei Monate, in denen sich mein Leben verändert hatte. Die Albträume waren kurz nach Han's Rückkehr wieder verschwunden. Der Sturm der in mir getobt hatte, legte sich zur Ruhe und ich fand einen inneren Frieden. Han hatte mich zwar danach gefragt, was in der Zeit seiner Abwesenheit passiert war, doch ich konnte es ihm nicht sagen. Ich selbst hatte nicht mit dem gerechnet, was Takashi mir angetan hatte und Han würden die Schuldgefühle innerlich zermürben. Irgendwann akzeptierte er, dass er nichts von mir erfahren würde. Suki und Neela hielten ebenfalls dicht. Mittlerweile konnte ich mir ein Leben ohne Neela, Sean und Twinkie nicht mehr vorstellen. Sie wurden zu einer Familie, einer Familie, auf die ich immer bauen konnte. Jeder von uns stand für den anderen ein. Seit Takashi's verschwinden hatte sich die ganze Situation in Tokyo merklich entspannt. Neela und Sean waren immer noch ein wunderschönes Paar und verliebt wie am ersten Tag. Auch die Liebe zwischen Han und mir war seit gestern Abend auf einer neuen Ebene angekommen.

Mein Blick wanderte zu dem kleinen silbernen Ring, den ich seit gestern Abend an meinem linken Ringfinger trug. Er war schlicht, jedoch wunderschön. Sofort überkamen mich wieder die Glücksgefühle. Ich lag in den Armen des Mannes den ich liebte und seit gestern war ich mit ihm verlobt. Han und ich wollten Heiraten. Ich hatte nicht mit einem Antrag gerechnet, als er mich gestern auf unseren Berg bestellt hatte. Oben angekommen, entdeckte ich ihn zwischen den Kirschblüten.

Flashback

Ich fuhr mit Mona über die Straßen Tokyo's. Jedes Mal aufs Neue, war es ein berauschendes Gefühl. Mona bedeutete mir mittlerweile sehr viel und ich konnte mir nicht vorstellen irgendwann einmal ein anderes Auto zu fahren. Sie hatte mir seit dem ersten Tag in Tokyo Glück gebracht. Es war ein schöner Abend und der Himmel wies strahlende orange und rot Töne auf. Schon von weitem konnte ich die Kirschbäume sehen. Ich hatte mich für einen kurzen dunkelblauen Jeansrock und ein enges rotes Top entschieden. Es hatte einen schönen spitzzulaufenden Ausschnitt, der mit Spitze abgesetzt war. Meine langen blonden Locken hatte ich leicht durchgewuschelt. Die Füße wurden von schwarzen Pumps geziert. Immerhin musste ich ja noch einen Berg erklimmen. Ich musste lächeln, ja ich liebte diesen Ort seit dem ersten Moment an dem Han ihn mir gezeigt hatte. Mona parkte ich am Fuße des Berges und machte mich auf den Weg. Han entdeckte ich zwischen den Kirschbäumen. Der Wind spielte mit seinen Haaren, die in der untergehenden Sonne wie schwarze Seide wirkten. Er trug eine kurze dunkle Jeans und ein weißes Hemd. Jedes Mal auf Neue warf mich sein Äußeres aus der Bahn. Mein Herz fing an schneller zu schlagen und meine Schritte beschleunigten sich wie von selbst. Ich konnte mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Zur Begrüßung gab er mir einen kurzen, leidenschaftlichen Kuss. Seine dunklen Augen glitzerten im Licht der untergehenden Sonne und auf seinen Lippen lag ein Lächeln. Ein wohliger Schauer erfasste meinen Körper, als seine Hände meine Taille berührten. „Schön das du hier bist Anata. Du weißt, dass wir Tokyo morgen auf unbestimmte Zeit verlassen wollen. Vorher möchte ich dir jedoch noch etwas geben." Ja, es stimmte. Han und ich würden unsere kleine Weltreise beginnen, auch wenn es mir wahrlich schwer fiel meine Familie zu verlassen. Doch ich wollte mit ihm gemeinsam die Welt erkunden und irgendwann, da war ich mir sicher, würden wir nach Tokyo zurückkehren. Was er mir jedoch geben wollte, war mir schleierhaft. Unmerklich nickte ich und Han fuhr fort. „Wir sind ja jetzt schon ein halbes Jahr zusammen. Vielleicht ist es noch etwas früh, doch ich denke die Erlebnisse in Tokyo haben uns zusammen geschweißt. Ich liebe dich und kann mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen. Deswegen möchte ich dich Serena Toretto fragen, ob du meine Frau werden möchtest?" Passierte das hier gerade wirklich? Wie in Trance nahm ich wahr, das Han sich hinkniete, eine kleine Schatulle aus seiner Hose zauberte, diese öffnete und ein silberner Ring zum Vorschein kam. Ich fing an zu schwitzen, die Glückshormone strömten in jede Faser meines Körpers. Ich konnte es nicht glauben, doch trotz alledem, gab es nur eine Antwort für mich. Die Tränen liefen mir an den Wangen hinab und ich sagte: „Ja, ich will dich heiraten. Ich will mein Leben mit dir verbringen". Han nahm den Ring, steckte ihn mir an den Finger. Seine Berührung entfachte eine erneute Hitze in meinen Körper und die Kühle des Rings empfand ich als angenehm. Han kam wieder hoch, schaute mich an. In seinen Augen spiegelte sich die Liebe und das Glück wieder. Jedoch, lag auch Erleichterung in seinem Blick. Noch lange standen wir an diesem Abend am See. Beobachteten die Kirschblüten bei ihrem Flug und genossen die Untergehende Sonne.

Flashback Ende

Ja und nun lag ich nackt in Han's starken Armen. Ich fühlte mich so wohl wie noch nie zuvor in meinem Leben. Zum ersten Mal verlief alles perfekt und es fühlte sich an wie in einem Märchen. Ein Märchen, aus dem ich nicht mehr aufwachen wollte.
Heute Abend veranstalteten die anderen eine kleine Abschiedsparty für uns und wir würden zur Überraschung aller unsere Verlobung bekannt geben. Ich freute mich wirklich sehr auf den Abend. Neela würde vor Freude über die tolle Neuigkeit platzen, da war ich mir sicher.

Han fing an kleine Küsse in meinem Nacken zu verteilen. Sie hinterließen ein Prickeln auf meiner Haut. „Ohayo Anata. Hast du gut geschlafen?" Vorsichtig drehte ich mich zu Han um. „Ja, ich habe sehr gut geschlafen. Du weißt doch wie wohl ich mich in deinen Armen fühle." Vorsichtig wischte er mir eine Strähne aus meinem Gesicht und gab mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich würde gerne noch etwas bei dir bleiben, aber ich muss noch ein paar Dinge regeln, bevor wir morgen fahren können. Ich freue mich schon sehr darauf. Wir sehen uns ja heute Abend." Ich nickte nur und gab ihm einen Kuss. Han entstieg dem Bett wie Gott ihn erschaffen hatte. Sofort kam meine Lust zurück. Han zog sich an, kam zu mir ans Bett und gab mir noch einen Kuss. „Bis später Anata. Ich wünsche dir viel Spaß beim Packen". Ich musste Schmunzeln. „Ja, bis später. Oh ja, den werde ich sicherlich nicht haben." Han wusste wie sehr ich es hasste meinen Koffer zu packen.

Nachdem er gefahren war, machte ich mich ebenfalls fertig. In der Küche fand ich einen Zettel von Suki, indem sie mir mitteilte, dass sie gegen Mittag wieder aus der Werkstatt zurück wäre. Ich beschloss später etwas für uns beide zu kochen und ihr beim Essen die freudige Nachricht zu erzählen. Ich wollte gerade wieder nach oben gehen, als es klingelte. Wer mochte das bloß um 10 Uhr morgens sein? Ich ging zur Tür und schaute durch den Spion. Vor der Tür stand ein Mann Mitte dreißig, der sich als der Postbote entpuppte. Ich öffnete ihm. „Sind sie Miss Serena Toretto?" „Ja, die bin ich." „Ich habe hier ein Einschreiben für sie. Unterschreiben sie bitte hier unten." Ich bekam sehr selten Post und ein Einschreiben schon gar nicht. Wer weiß, vielleicht hatte es etwas mit der Party heute Abend zu tun. Also unterschrieb ich und verabschiedete mich von dem Mann. Ich schloss die Tür, ging in Suki's Büro und nahm den Brieföffner. Der Brief enthielt keinen Absender, wie ich mit einem zweiten Blick feststellte. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit, doch die Neugierde siegte. Was ich dann jedoch laß, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Von einer Sekunde auf die andere zerbrach meine heile Märchenwelt.

Tokyo, where the world turns into light 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt