Kapitel 28: Vor den Toren Gondors

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Die Reise über den Fluss war nicht wirklich das, was sie als angenehm bezeichnet hätte. Zunächst hatten sie die Körper der toten Korsaren unter Deck der Schiffe bringen müssen, da sie sonst womöglich den Feind vorgewarnt hätten, dass sich an Bord nicht die gewünschte Verstärkung für die eigenen Truppen sondern welche für die des Gegners befand. Es war keine erfreuliche Arbeit gewesen, all diese leblosen Körper über das Deck zu schleifen bis zu der Stelle, an der man sie hinab ins Innere des Schiffes stoßen konnte, und Zeit hatte es außerdem gekostet. Dennoch hatten sie es sich nicht nehmen lassen, eines der Boote komplett von den Leichen zu befreien. Weder Ivriniel, noch Legolas, Gimli oder Aragorn hatten ein Interesse daran geäußert, sich zwischen den Körpern der Toten zu verstecken. Erst als dies alles getan war, setzte sich die Flotte wieder in Bewegung.

Es war Ivriniel beinahe etwas unheimlich, wie sie lautlos auf dem Fluss dahinglitten. Niemand von ihnen wusste wirklich, wie so ein Schiff zu steuern war, keiner stand am Ruder und dennoch folgte die Flotte dem Strom, bis sie den Hafen erreicht hatten, der Gondor am nächsten war und wo sie bereits erwartet wurden. Während sie auf dem Schiff waren, hatte Ivriniel sich den Kopf darüber zerbrochen, wie es möglich war, dass sie nicht vom Kurs abkamen. Die einzige Antwort, die sie finden konnte, war, dass es wohl etwas mit der ungewöhnlichen Besatzung, den Toten an Bord, zu tun haben musste. Vielleicht waren unter ihnen welche, die im Leben Schiffsführer gewesen waren?

Sie hörte den Schlachtlärm aus der Ferne: Schreie und das Klirren von Metall auf Metall. Inzwischen waren sie in den Hafen eingelaufen. Sobald die Mauern in Sicht gekommen waren, hatten sie ihr Versteck unter Deck aufgegeben und sich dicht an die Reling gedrängt, um rasch handeln zu können. Durch einen Spalt zwischen den Brettern konnte sie erkennen, dass die Flotte bereits bemerkt worden war. Auf dem Kai hatte sich ein Trupp Orks versammelt. Sie öffneten ihre Formation, damit einer von ihnen, dessen Gesicht von einer Schwertwunde verunstaltet wurde, nach vorn gelangen konnte.

"Zu spät, wie immer, das Piratenpack!", schimpfte der Ork. "Hier gibt es Messerarbeit zu erledigen. Kommt schon, ihr Seeratten! Runter von euren Schiffen!"

"Unser Stichwort", murmelte Ivriniel und sprang mit den anderen von Bord, hinunter auf den festen Boden.

Langsam gingen sie den Feinden entgegen, auf deren Gesichtern die Verwunderung langsam von Wut abgelöst wurde, als sie feststellten, dass das, was da vor ihnen stand, keine Korsaren waren.

Beide Seiten machten ihre Waffen bereit - jede in dem festen Glauben, die Gegner mühelos zu besiegen, wobei die Orks sich dabei irren sollten.

"Es sind genug für uns beide da. Möge der beste Zwerg gewinnen!", rief Gimli Legolas zu und Ivriniel war beinahe ein bisschen beleidigt, dass sie nicht in das Spiel involviert war, stellte aber fest, dass es sich wesentlich einfacher kämpfte, wenn man sich nicht die Mühe machen musste, mitzuzählen, wie viele Gegner man bereits erledigt hatte.

Auch wurde der Kampf deutlich erleichtert durch die Armee der Toten, die in diesem Moment den Trupp der Orks unter sich begruben. Nachdem diese erste Hürde gemeistert war, stand ihnen der Weg zum Schlachtfeld offen. Den Bogen in der einen Hand, den ersten Pfeil bereits in der anderen haltend, stürmte Ivriniel neben Legolas, Gimli und Aragorn dem Getümmel entgegen.

Noch im Laufen spürte sie eine unfassbare Macht, die ihr vom Schlachtfeld entgegenkam. Wie eine Welle überrollte sie sie mit all ihrem Grauen, dann war sie fort. So irritiert wie sie davon war, sie durfte sich nicht ablenken lassen.

"Fünf", erinnerte Legolas sie daran, dass die Feine sich bereits in Reichweite ihres Bogens befanden. Sie legte den Pfeil auf die Sehne und schoss ihn einem Gegner zwischen die Augen. Der Ork ging zu Boden und stand nicht mehr auf.

Doch die Orks waren in dieser Schlacht wohl kaum das größte Problem, auch wenn sie durch ihre schiere Masse nicht ganz ungefährlich waren. Viel mehr besorgten Ivriniel die riesigen Olifanten, die sie bereits aus der Ferne gesehen hatte und denen sie nun immer näher kam. Auch Aragorn waren die riesigen Ungetüme als Gefahr aufgefallen.

"Legolas", rief er und deutete mit dem Kopf zu einem der Riesen hinüber.

Der blonde Elb wusste, was von ihm verlangt wurde. Er sollte das Monstrum töten. Auch Ivriniel war klar, dass ein solches Ungetüm am besten tot am Boden lag, wenn es der Feind war und dennoch keimte die Angst in ihr. Sie hatte keine Zweifel daran, dass Legolas wahrscheinlich der beste Krieger war, den sie je kennengelernt hatte, allerdings hatte sie keine Ahnung, wie er es bewerkstelligen wollte, dem Tier tatsächlichen Schaden zuzufügen. Hunderte Pfeile steckten bereits in der dicken Haut und dennoch war das Ungetüm noch immer auf den Beinen.

Während sie den Hieben der Orks auswich, sie parierte oder selbst welche gegen ihre Feinde austeilte, sah sie immer wieder zu Legolas hinüber. Sie konnte ihren Augen kaum trauen, als sie beobachtete, wie er an den Pfeilen, die sich in das Tier gebohrt hatten, empor kletterte, auf dessen Rücken gelangte, und sich dort einiger Krieger entledigte. Vier Orks, die sie umzingelt hatten, verlangten für eine kurze Zeit nach ihrer Aufmerksamkeit, sodass sie nur noch sah, wie der Turm, der sich auf dem Rücken des Ungetüms befunden hatte, zu Boden stürzte, während Legolas auf dem Rücken des Monstrums entlang zu dessen Kopf balancierte und dem Tier in den Kopf schoss. Noch im Fallen des Riesens glitt Legolas auf dessen langen Rüssel zum Erdboden zurück.

Unglaube, Stolz und Bewunderung machten sich in Ivriniel breit. Ihr Gefährte hatte das Ungetüm tatsächlich allein innerhalb weniger Augenblicke zu Boden gebracht. Dass Gimli nicht ganz so erfreut darüber war wie sie, konnte sie auch aus dieser Entfernung vom Gesicht des Zwerges ablesen.

Sie sah sich um und erkannte, dass die Schlacht beinahe vorbei war. Es waren noch einige Orks, die mit blutunterlaufenen Augen auf sie zukamen, doch viel häufiger hinderte sie ihre Feinde am Fliehen. In einiger Entfernung sah sie einen Olifanten unter einer Vielzahl an grünlichen Gestalten verschwinden und zu Boden gehen. Scheinbar ziellos liefen die übrigen Ungetüme durch die Gegend. Ihre Führer wussten nicht, was sie tun sollten. Mit Sicherheit hatten sie keinen Plan für eine Niederlage entwickelt. Zu Füßen eines der Riesen hieb ein berittener Krieger Rohans einem fliehenden Gegner den Kopf von den Schultern.

Die Schlacht war bereits gewonnen und eine grünliche Flut strömte durch das geborstene Tor hindurch, um die Stadt von den letzten Feinden zu befreien.

Durch einige Orks hindurch kämpfte sie sich ihren Weg zu Legolas hinüber frei.

"Wir haben gesiegt", sagte sie, weil ihr sonst nichts besseres einfiel. Zwar hätte sie ihm auch zu seinen hervorragenden kämpferischen Leistungen gratulieren oder ihm sagen können, wie gern sie ihn hatte, aber es kam ihr nicht vor wie der richtige Moment dafür.

Noch bevor sie sich darüber ärgern konnte, dass sie nichts anderes gewusst hatte, als das Offensichtliche auszusprechen, küsste Legolas sie. Allerdings dauerte es nicht lange, da ein fliehender Ork auf sie zulief und förmlich darum bettelte, erschlagen zu werden.

"Lass uns erst das hier erledigen, bevor wir unseren Sieg feiern", sagte Legolas.

Ivriniel nickte und nahm die Verfolgung der Orks auf. Pfeil um Pfeil verschoss sie, bis sich auf der Ebene kein Feind mehr rührte. Als sie zu Legolas zurückkehrte, wurde sie gewahr, dass die Toten wieder aus dem geborstenen Stadttor hinausströmten. Vor Aragorn nahmen sie Aufstellung.

"Lasst uns frei", verlangte ihr Anführer.

"Lieber nicht", warf Gimli ein, bevor Aragorn etwas antworten konnte. "Wenn's drauf ankommt, sind sie nicht übel, die Kerle. Auch wenn sie eigentlich schon tot sind."

Der Tote sah erst den Zwerg und dann Aragorn finster an.

"Ihr habt uns Euer Wort gegeben!", warf er ihm vor.

Ivriniel beobachtete, wie Aragorn zögerte, doch dann sagte er: "Ich sehe euren Eid als erfüllt an. Geht. Findet Ruhe."

Ein leichtes Lächeln schlich sich auf die Lippen des Toten und er verzog genießerisch die Augen, als ein Wind aufkam und die grünlichen Gestalten sich auflösten und verschwanden.

Sternenlicht - Legolas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt