Kapitel 4: Eine trauernde Prinzessin

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Auf seinem Weg zurück zu Gimli und Aragorn kam sie ihm entgegen. Sie hatte kaum noch etwas mit der verletzten, verzweifelt um Würde bemühten Frau gemeinsam, die er vor wenigen Stunden kennen gelernt hatte. Ihm entgegen kam eine Prinzessin – aufrecht und stolz. Ihr dunkles Haar war nass vom Regen und in ihrem langen schwarzen Kleid strahlte sie gleichzeitig Schönheit und Melancholie aus.

Kurz erwiderte sie seinen Blick, ehe sie an ihm vorbeiging. Sie hatte sich kaum die Mühe gemacht, die Trauer in ihren Augen zu verbergen.





„Das werde ich nicht tun", erklärte sie.

„Doch, das wirst du." Die Stimme ihrer Mutter war ruhig, aber bestimmt.

„Ich werde dich und das Königreich nicht allein lassen. Ich werde nicht fliehen wie ein aufgeschrecktes Kaninchen."

Sie war wütend. Wie konnte ihre Mutter es es nur wagen, sie wegschicken zu wollen? Sie hatte doch bereits nach der Hochzeit ihrer Schwester deutlich gemacht, dass sie den Hof nicht verlassen würde. Warum auch? Dies hier war ihr Zuhause. Hier lebte sie und hier war sie aufgewachsen. Die große, weite Welt bereisen konnte sie später immer noch.

„Ein aufgeschrecktes Kaninchen flieht, weil es weiß, dass es sterben würde, käme der Fuchs ihm zu nahe", entgegnete ihre Mutter.

„Und wenn schon. Ich bin kein Kaninchen. Ich kann mich verteidigen. Ich kann meine Familie beschützen, wenn ein Fuchs ihr Böses will."

„Das Böse wird zu stark, dagegen kannst du dich nicht wehren. War dir der heutige Tag nicht genug?" Sämtliche Ruhe war aus der Stimme ihrer Mutter verschwunden.

„Ich hätte dich fast verloren. Das darf nicht noch einmal geschehen", sagte sie und wandte sich ab.

„Wenn es so gefährlich ist wie du sagst, warum gehen wir dann nicht einfach alle?", fragte Ivriniel patzig.

„Weil wir dem Bösen Widerstand leisten werden bis zum Schluss." Da war sie wieder: die ruhige Bestimmtheit in der Stimme ihrer Mutter.

„Dann werde ich auch hierbleiben. Mein Platz ist an deiner Seite." Wütend verschränkte Ivriniel die Hände vor der Brust. Es war ihr bewusst,dass sie sich wie ein bockiges Kleinkind aufführte, aber das war ihr egal. Ihre Mutter hatte nicht das Recht, sie einfach wegzuschicken, nur weil sie den Kampf gegen die Uruk-hai heute verloren hatte. Das hier war auch ihr zu Hause und sie hatte durchaus vor, es zu verteidigen.

„Du wirst tun, was ich dir sage", entgegnete ihre Mutter scharf.

„Denkst du, es ist  für mich eine leichte Sache, meine Tochter auf eine Reise ins Ungewisse zu schicken?" Sie klang beinahe verzweifelt.

„Glaub mir, wenn ich könnte, würde ich dich hier bei mir behalten, aber wir wissen beide, dass du nicht zu deiner Sicherheit im Palast bleiben würdest. Du warst noch nie gut darin, still in einem Raum zu sitzen und abzuwarten. Bisher hast du doch immer einen Weg gefunden, der dich nach draußen brachte. Ich werde nicht zusehen, wie eine Kreatur des weißen Zauberers oder eine aus Mordor dich mir wegnimmt."

„Nein, lieber lässt du zu, dass ich irgendwo in der Wildnis sterbe, wo du es nicht sehen musst!" Sie war zu weit gegangen, das wusste sie. Sie sah es an dem Zorn, der sich wie ein Schatten über das Gesicht ihrer Mutter legte. Wie gern hätte sie diese Worte wieder zurückgenommen, doch sie waren bereits ausgesprochen.

Statt der erwarteten und durchaus verdienten Schimpftirade, die Ivriniel erwartet hatte, sackte ihre Mutter ein Stück weit in sich zusammen.

„Vielleicht hast du recht. Es ist nicht sicher dort, wo auch immer dein Weg dich hinführen wird. Und dennoch sagt mein Herz mir, dass du auf der Reise sicherer sein wirst als hier. Legolas' Pfeil verfehlt nie sein Ziel und auch Aragorn ist ein großer Krieger. Was den Zwerg angeht, kann ich nichts sagen, doch Elrond scheint ihn für fähig zu halten. Deshalb tue ich das auch. Alle drei wurden ausgewählt um Mittelerde zu retten und den Einen Ring zu vernichten. Wenn also ganz Mittelerde seine Hoffnung auf sie setzt, weshalb sollte ich es nicht auch tun?"

Eine Weile schwiegen sie und sahen einander nur an.

„Ihr brecht morgen bei Sonnenaufgang auf", durchbrach ihre Mutter schließlich die Stille.

Ivriniel nickte. Was sollte sie auch tun? Sie hatte ihrer Mutter versucht, klar zu machen, dass sie sie nicht verlassen wollte, doch sie hatte sich unterzuordnen. Letztendlich hatte sie keine Kraft, sich erneut aufzulehnen. Zu anstrengend war der Tag gewesen. Der Kampf gegen die Uruk-hai, Anions Tod und schließlich der Streit mit ihrer Mutter hatten sie ausgelaugt. Sie würde sich fügen.

Kraftlos schleppte sie sich zurück in ihre eigenen Räume. Was brauchte man denn überhaupt auf einer Reise mit ungewissem Ziel? Egal. Was sie selbst jetzt brauchte war klar: ein heißes Bad um die Glieder zu entspannen und den Tag abzuwaschen. Ihre Reisekleidung würde sie von einer Dienerin rauslegen lassen.

Das Wasser hinterließ einan genehmes Gefühl auf ihrer Haut. Genießerisch schloss sie die Augen. Ihre Gedanken streiften zu Anion. Er war ihr ein guter Lehrer und Freund gewesen. Er hatte ihr gezeigt, wie man kämpfte, wie man lachte und wie wunderschön die Stille sein konnte, wenn man sie gemeinsam oder auch allein genoss. Er hatte ihr beigebracht, wie man den Vögeln lauschte, wie man die innere Stimme zur Ruhe brachte und wie man anderen zuhörte. Bis zuletzt war er ein großer und bedeutender Teil ihres Lebens gewesen und er würde es auch bleiben. In ihren Erinnerungen würde er weiterleben, auch wenn die Uruk-hai ihn getötet hatten.

Eine Träne lief ihre Wange hinab und vermischte sich mit dem kälter werdenden Badewasser.

Wenn der Tag begann, würde sie wieder stark sein, doch jetzt durfte sie der Trauer nachgeben. Unzählige weitere Tränen folgten noch an diesem Abend. Jede einzelne war für Anion.

„Warum er?", schrie sie den bleichen Mond auf ihrem Bett sitzend an.

„Warum er?" Doch der Mond blieb stumm und hüllte sich in endloses Schweigen.

Es war still geworden im Palast. Die Dienerinnen waren gegangen und ihre eigenen Sachen in den Satteltaschen verstaut worden. Ihre Reitkleidung hing über einem Stuhl. Sie ging zu ihm hinüber und strich sacht über den grünen Stoff der Bluse. Morgen würde sie ihre Heimat verlassen müssen. Sie würde ihre Mutter und die ihr verbliebenen Freunde zurücklassen und konnte nur hoffen, dass der weiße Zauberer sie ihr nicht auch noch nahm. Wütend wischte sie mit einer Handbewegung die Kleidung vom Stuhl. Wirr lagen nun Hose, Bluse und Umhang neben ihren Stiefeln – genauso wirr wie ihre Gedanken es waren. Sie wusste nicht länger,was sie wollte, außer die Zeit zurückzudrehen. Langsam bückte sie sich und sammelte die Kleidungsstücke wieder vom Boden auf, ehe sie in ihr Arbeitszimmer und zu ihrem Schreibtisch hinüberging. Im Kerzenschein verfasste sie einen Brief:


„Liebe Mutter,

verzeih mir die Worte, die ich dir im Zorn entgegenschleuderte. So wie du mich nicht verlieren willst, so will auch ich dich nicht verlieren.

Nun, da unsere Wege sich auf unbestimmte Zeit trennen müssen, wünsche ich dir und dem Reich und allen, die darin leben, dass die Valar über euch wachen mögen.

Falls ich nicht zu dir zurückkehren sollte, wisse, dass ich dich und Lindis über alles liebe. Sag ihr das auch.

Ich bete zur Sonne und den Sternen, dass sie meinen Weg erhellen mögen und mich zu euch zurückführen.

Ivriniel"

Sternenlicht - Legolas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt