Kapitel 23: Fern ab von Edoras

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Etwa ein halber Tagesritt trennte sie von Edoras und Gimli und Aragorn, die dort zurückgeblieben waren. Trotz der mehrfachen Versicherung, dass Gandalf und Pippin mindestens drei Tage brauchen würden, ehe sie Minas Tirith erreichten, hatte Aragorn sich nicht davon abhalten lassen, in der Stadt zu bleiben. Er wollte dort sein, wenn Gondor Hilfe erbeten würde. Er wollte nicht riskieren, nicht anwesend zu sein, falls doch das Wunder geschehen und Denethor, Truchsess von Gondor, auch ohne die Hilfe des Zauberers auf das Bündnis mit Rohan zurückgreifen wollen würde. Man konnte es ihm nicht übel nehmen. Im Gegensatz zu den meisten Menschen schien er zu begreifen, worum es tatsächlich ging. Die Schlacht um Minas Tirith würde keine beliebige Schlacht sein. Sie würde über das Schicksal der Menschen entscheiden. Gimli hatte sich entschieden, Aragorn Gesellschaft zu leisten und so waren Legolas und sie zu zweit losgezogen, was sie irgendwie ein bisschen zu wenig störte.

"Dort hinten." Sie deutete auf eine kleine Baumgruppe, die ihr ein geeigneter Platz zu sein schien.

Die Baumgruppe bestand eigentlich eher aus etwas größerem Buschwerk, aber sie war weit und breit die einzige größere Ansammlung von Gehölzen, die sie vor neugierigen Blicken verbergen konnten. Nicht, dass sie jemanden in der Nähe gesehen hätte, aber sie hatte kein Interesse daran, dass falls sich das änderte, ein Mensch sie beobachten könnte.

Legolas nickte und sie ritten auf die Gehölze zu. Dort angekommen stiegen sie von den Pferden ab.

Es war tatsächlich kein schlechter Platz. Die Büsche standen nicht zu eng um sich gut bewegen zu können. Sie hatte vorgeschlagen, gemeinsam für die anstehende Schlacht zu trainieren, aber in Edoras wären sie nicht ungestört gewesen. Menschen waren neugierige Wesen, wie sie festgestellt hatte und sie hatte kein Interesse daran, dass sie sahen, wie sie verlor – und das würde sie mit Sicherheit tun.

Sie zog die Waffe und sah zu Legolas hinüber. Sein blondes Haar glänzte in der Sonne, die noch nicht ganz ihre volle Stärke erreicht hatte.

Dann parierte sie seinen Hieb. Sie hatte den Angriff kaum kommen sehen, war aber doch recht stolz auf sich, dass sie trotzdem so schnell reagiert hatte.

„Nicht schlecht", lobte er.

Es glich einem bizarren Tanz, wie sie sich umeinander bewegten, immer wieder die Nähe oder die Distanz suchten, immer wieder die Verteidigung des anderen auf Schwachstellen überprüfend.

Schließlich steckte Ivriniel die Waffe weg.

„Genug", sagte sie etwas atemlos und ließ sich in das schon etwas platt gedrückte Gras unter einem herunterhängendem Ast eines etwas größeren Busches mit orangefarbenen Blüten sinken. Sie ließ die frische, klare Luft in ihre Lungen strömen und schloss genießerisch die Augen. Kurz darauf fühlte sie kaltes Metall an ihrem Hals.

„Ein Ork wird ganz sicher keine Pause machen", hörte sie Legolas' amüsierte Stimme.

Sie zuckte mit den Schultern.

„Du bist aber kein Ork und ich auch nicht. Also können wir eine Pause einlegen", entschied sie und lächelte, als sie spürte, dass er die Klinge von ihrer Kehle nahm.

Sie war tatsächlich ziemlich ausgelaugt. Es kostete sie ein großes Maß an Konzentration, seinen präzisen Angriffen zu entkommen. Er war schneller, stärker und erfahrener als sie. Selten hatte sie gegen jemanden wie ihn gekämpft und sie war sich sicher, dass sie ihm niemals in einer Schlacht gegenüberstehen wollte. Ihre eigenen Fähigkeiten verbesserten sich zwar in einem Kampf, wenn das Adrenalin durch ihre Adern schoss und wenn ein Fehler ihren Tod bedeuten konnte, kämpfte sie selbstverständlich auch verbissener, als sie es in ihrem Trainingskampf getan hatte, aber sie war ihm trotzdem bei Weitem unterlegen.

Sie spürte eine Luftverwirbelung neben sich und öffnete langsam ihr linkes Auge, um sehen zu können, was das bewirkt hatte. Es war Legolas gewesen, der sich neben ihr ins Gras gesetzt hatte. Ihre Blicke begegneten sich und sie schloss rasch das Auge wieder, musste aber schmunzeln.

„Wie schön wäre es, wenn es Sauron nicht geben würde. Dann könnte man jeden Tag im frischen Gras liegen und die Sonne und die Sterne genießen, während sie über einem hinweggehen", seufzte sie verträumt.

„Wenn es Sauron nicht geben würde, würdest du jetzt wahrscheinlich nicht hier in der Sonne liegen", gab Legolas zu bedenken.

Sie verzog den Mund.

„Dann wünschte ich eben, dass er schon besiegt wäre."

Dagegen sagte er nichts. Sie genoss die Stille, durch die das Zwitschern der Vögel drang. Es war eine ganz andere Stille, als sie sie noch vor wenigen Tagen nach der Schlacht von Helms Klamm gespürt hatte. Die Stille dort war von Tod durchzogen, diese jedoch war voller Hoffnung und Leben.

Sie öffnete die Augen und sah ihn an, betrachtete seine Gestalt gegen den ständig bewegten Hintergrund des Blätterwerks.

„Denkst du wirklich, wir können gewinnen?", fragte sie.

Er sah sie ernst an.

„Ja", sagte er. „Wir müssen."

Sie nickte.

„Mittelerde würde einen Sieg Saurons nicht überstehen."

Dann schwieg sie wieder eine Weile und schloss die Augen. Sie dachte an ihre Mutter und ihre Schwester und was sie wohl gerade taten. Sie dachte an ihr Zuhause, an den Wald, die Lichtungen, den Fluss, den See, die Vögel, die dort irgendwie anders zwitscherten als hier.

„Warum bist du nicht mit dem Schiff in die ewigen Lande gefahren?", fragte sie.

Als sie die Augen öffnete und zu ihm aufblickte, sah sie, dass sein Blick auf ihr ruhte. Irgendetwas in ihr wurde angerührt.

„Alles, was ich suche, ist hier", sagte er. „Meine Zeit in Mittelerde ist noch nicht vorüber. Aber was ist mit dir? Warum bist du noch hier? Wenn du nicht sicher warst, weshalb bist du nicht hinüber gesegelt?"

Plötzlich störte sie ein Steinchen, das in diesem Moment in ihren Rücken stach und sie veränderte ihre Position, um dem Quälgeist zu entkommen.

„Meine Mutter hat versucht, mich auf verschiedene Weisen wegzuschicken, aber als ich alleine noch unbehelligt hätte reisen können, habe ich mich zu stark dagegen gewehrt und sie war nicht willensstark genug. Wahrscheinlich hat sie wie wir alle gehofft, dass es nicht so schlimm werden würde. Später brauchte sie jede Klinge, um das Reich zu verteidigen. Dann kamt ihr und sie hat die erstbeste Gelegenheit genutzt, euch als Aufpasser für mich anzuwerben."

„Ich glaube kaum, dass jemand auf dich aufpassen muss", sagte er.

„Nun ja, ich werde anscheinend schlecht mit ein paar Uruk-hai fertig." Sie zuckte mit den Schultern.

„Mit zwei Dutzend. Du warst allein und nur bewaffnet mit einem kurzen Dolch", relativierte er ihre Aussage.

„Und trotzdem müsst ihr auf mich aufpassen." Resignation mischte sich in ihre Stimme.

„In einer Gemeinschaft passt man immer auf einander auf."

„Bin ich denn Teil der Gemeinschaft?"

„Sag du es mir."

Sie verlor sich in seinen Augen, versuchte sie zu ergründen. Den letzten Teil ihres Gespräches hatte sie eigentlich nur noch motorisch geführt. Sie sagte etwas, um etwas zu sagen. Aber was sollte sie denn sagen? Sie war ihm so nah. Dann lagen ihre Lippen auf seinen.

Ein Gedanke blitzte durch ihren Kopf: War sie eigentlich verrückt geworden? Sie konnte ihn doch nicht einfach so küssen! Aber er duftete so gut nach Wald und Sonnenschein, der durch die Blätter fällt und ein Schattenspiel auf dem erdigen Boden erschafft und er schmeckte nach Abenteuer und Freiheit und er erwiderte den Kuss; beugte sich tiefer zu ihr hinunter.

Sternenlicht - Legolas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt