Kapitel 8: Von Königen und Ratten

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Die zweiflüglige Eingangstür zur goldenen Halle schwang auf, als sie die Stufen dort hinauf erklommen. Ein Mann mit rötlich blondem, schulterlangen Haar trat, flankiert von einigen Kriegern in voller Rüstung, aus dem Inneren des Gebäudes hinaus und in ihren Weg.

„So bewaffnet kann ich euch nicht zu König Théoden vorlassen, Gandalf Graurock. Auf Geheiß von Gríma Schlangenzunge." Ivriniel konnte in seiner Stimme hören, wie ungern er den Befehl überbrachte und wie wenig er den Mann schätzte, der ihn diese Worte sagen ließ.

Sie sah zu ihren Reisegefährten hinüber. Sollten sie wirklich ihre Waffen ablegen? Es war ihr nicht wohl bei dem Gedanken daran. Insbesondere nicht, da sie keine Ahnung hatten, was sich im Inneren des Gebäudes verbarg. Das Böse war hier noch deutlicher zu spüren als weiter unten in der Stadt. Auch wenn sie sah, dass sich ihre eigene Besorgnis in den Gesichtern der anderen widerspiegelte, gab Gandalf mit einem Kopfnicken das Zeichen, dem Befehl nachzukommen. Sie beobachtete, wie Legolas seinen Bogen einer der Wachen aushändigte. Die zwei Schwerter auf seinem Rücken folgten. Auch Aragorn und Gimli gaben ihre Waffen in die Hände der Soldaten.

Zögernd übergab sie ihren Köcher und ihren Bogen dem vor ihr stehenden Mann, der seine Hand fordernd danach ausstreckte. Es waren gute Waffen aus gutem Holz – präzise und tödlich, wenn man sie beherrschte. Schon jetzt waren sie gefährlich in ihren Händen. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie vernichtend sie sein mochten, wenn sie erst einmal vollständig ausgebildet war. Auch ihre beiden Langdolche, die bisher in ihren Scheiden, befestigt an einem Ledergurt auf ihrem Rücken, geruht hatten, gab sie ab. Die gebogenen Klingen blitzten auf.

„Alle Waffen", verlangte die  Wache vor ihr mit Blick auf ihre Füße.

Unwillig bückte sie sich und zog das Messer aus ihrem rechten Stiefel. Die Schuhe waren damit nicht ganz so bequem, wie sie es ohne diese Vorkehrung gewesen wären, aber die handwerklich durchaus begabten Näherinnen am Hof hatten eine Möglichkeit gefunden, wie der Gegenstand sie nicht allzu sehr behinderte. Auch das war eine Idee ihrer Mutter gewesen. Wenn sie schon kein Kleid mit langen Ärmeln mit auf die Reise nahm, dann musste die Waffe eben an anderer Stelle versteckt werden. Scheinbar nicht gut genug. Der etwas herausstehende Griff musste sie verraten haben. Unwillig gab sie das Messer der Wache. Der Mann schien zufrieden, Ivriniel hingegen war es weniger. Sie fühlte sich nackt ohne ihre Waffen.

„Euren Stab", verlangte der Sprecher der Soldaten von Gandalf.

Ivriniel beobachtete, wie der Gesichtsausdruck der anderen angespannter wurde. Sie wussten alle, dass der Zauberer den Stab benötigte. Dies war seine Waffe.

„Ihr wollt einem alten Mann doch nicht etwa seine Stütze nehmen?", fragte Gandalf und klang dabei so hilfsbedürftig, wie er sich darzustellen versuchte.

Gandalf und hilfsbedürftig? Dass sie nicht lachte! Niemand, der den Zauberer auch nur annähernd gut kannte, würde niemals auf einen solchen Gedanken kommen. Der Mann ihnen gegenüber anscheinend schon. Nachdem er eine kurze Weile unschlüssig mit sich rang, gab er ihnen schließlich den Weg frei.

Der „alte Mann" wurde von Legolas gestützt, als er durch die Pforte trat. Aragorn lief an seiner rechten Seite und Gimli und Ivriniel bildeten den Schluss. Noch ehe ihre Augen sich an die Dunkelheit, die in der Halle herrschte, vollständig gewöhnt hatten, fiel hinter ihnen die Tür ins Schloss. Angespannt sah sie sich um. Links und rechts des Ganges standen Gruppen von Menschen, die sie feindselig musterten. Als sie den Blick nach vorn richtete, sah sie König Théoden auf seinem Thron sitzen. Sein Haupt- und Barthaar war ausgeblichen und verfilzt, die Haut faltig und die Augen lagen tief in ihren Höhlen. Er glich mehr einem Toten als einem lebendigem Menschen. Ein Mann mit schmierigem, dunklen Haar und blasser Haut, der neben dem Thron stand, lehnte sich zum König hinüber, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern.

Sternenlicht - Legolas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt