Kapitel 31: Der Berg spuckt Feuer

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Der Tag war klar und dennoch gelangte die Wärme der Sonne nicht bis zu ihr hinunter. Die Dunkelheit, die von dem Tor vor ihnen und den dahinterliegenden Landen ausging, drang ihr bis in die Knochen. Von hier aus hatten sie freien Blick auf dem Turm, von dem aus das Auge Saurons über Mordor wachte. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinab, wenn sie daran dachte, was sie vorhatten. Sie sah zu Legolas neben sich, doch auch in seinen Augen erkannte sie Bedenken ob ihres Vorhabens. Und dennoch: Es gab keinen anderen Weg, um den Feind zu vernichten. Sie würden diese Schlacht schlagen müssen oder es würden noch hundert weitere folgen, sobald Saurons Armeen sich wieder vollständig erholt hatten.

Aragorn gab das Zeichen und sie ließen die Pferde sich in Bewegung setzen. Wirkte das Tor schon aus der Entfernung gewaltig, schien es Ivriniel nun als Monstrosität und sie fröstelte, als sie in den langen Schatten, den das Tor warf, gelangten. Die Macht des Feindes war hier noch deutlicher zu spüren als dort, wo seine Armeen auftauchten. Nur ein einziges Mal hatte sie sie stärker wahrgenommen: Als sie in den Palantír geblickt hatte.

"Lasst den Herrn des schwarzen Landes herauskommen! Er soll seine gerechte Strafe erhalten!", schallte Aragorns Stimme über die Ebene.

Nichts geschah. Lediglich einige der schwarzen Vögel am Himmel gaben unheilvolle Laute von sich. Ivriniel wurde unruhig. Ihr Plan würde misslingen, wenn sie die Aufmerksamkeit und die Truppen Saurons nicht würden ablenken können.

Mit einem Ruck gerieten die riesigen Torflügel langsam in Bewegung. Durch einen Spalt, der immer größer wurde, konnte sie hinter das Tor sehen und sie erkannte Orks. Unfassbar viele Orks. Immer mehr von ihnen wurden sichtbar, je weiter das Tor sich öffnete. Sie hatten die Aufmerksamkeit des Feindes.

"Zieht euch zurück! Zieht euch zurück", wies Aragorn sie alle an und kam Ivriniels plötzlichem Drang zur Flucht damit sehr entgegen. Dennoch: Sie würden kämpfen müssen, um den Feind lange genug beschäftigt zu halten.

Die Männer, auf die sie zuritten wurden unruhig, sahen sich verstohlen nach links und rechts um. Sie sahen aus, als wollten sie am liebsten davonlaufen.

"Haltet eure Stellung!", rief Aragorn ihnen zu. "Haltet eure Stellung."

Damit alle etwas von seiner Ansprache mitbekamen, ritt er die Reihen entlang: "Söhne Gondors und Rohans, meine Brüder! In euren Augen sehe ich die selbe Furcht, die auch mich verzagen ließe. Der Tag mag kommen, da der Mut der Menschen erlischt, da wir unsere Gefährten im Stich lassen und aller Freundschaft Bande bricht. Doch dieser Tag ist noch fern. Die Stunde der Wölfe und zerschmetterter Schilde, da das Zeitalter der Menschen tosend untergeht, doch dieser Tag ist noch fern! Denn heute kämpfen wir! Bei allem, was euch teuer ist auf dieser Erde, sage ich: Haltet stand, Menschen des Westens!"

Ivriniel spürte mehr die Kraft, die die Ansprache den Männern verlieh, als dass sie den Worten lauschte. Ihre Augen folgten wie gebannt der Armee, die aus dem geöffneten Tor hervorquoll und auf sie zustürmte. Dennoch spürte sie keine Angst. Der Mut und die Entschlossenheit, die die Menschen hinter ihr erfassten, begannen auch in ihr aufzusteigen. Grimmig umfasste sie den Bogen in ihrer Hand fester. Sie würden vielleicht in dieser Schlacht nicht siegen können, doch den Krieg würden sie gewinnen, wenn sie standhielten.

Der Feind umzingelte sie. Ein kluger Schachzug, wie Ivriniel zugeben musste. So würden sie zermalmt werden, wenn die Schlacht nicht anders würde beendet werden. Wer versuchte zu fliehen, würde das Feld nicht lebend verlassen. So aussichtslos die Lage dadurch für sie alle wurde, sie würde dadurch besser kämpfen, das wusste sie. Sie hatte im Angesicht des Todes bereits unvorbereitet gegen Urukhai gekämpft und viele von ihnen in den Tod geschickt. Und auch wenn sie diesen Kampf damals verloren hätte, wenn ihr Aragorn, Gimli und Legolas nicht zu Hilfe gekommen wären, hatte sie nun ihre Waffen zur Hand, mit denen sie vertraut war, sie konnte auf die vielen Spieße und Schwerter der Menschen als Rückendeckung zählen und an ihrer Seite kämpften einige der wohl besten Krieger Mittelerdes.

"Ich hätte nie gedacht, dass ich mal Seite an Seite mit einem Elb sterbe", hörte sie Gimli etwas weiter rechts von sich sagen.

"Wie wäre es Seite an Seite mit einem Freund?" Das war Legolas.

"Ja, da hätte ich nichts dagegen."

Niemand von ihnen würde am heutigen Tag sterben, beschloss Ivriniel und richtete sich etwas gerader auf. Sie erwartete das Zeichen zum Angriff. Inzwischen hatte der Feind sie gänzlich umzingelt. Aragorn trat nach vorn, ehe er sich noch einmal zu ihnen umdrehte.

"Für Frodo", sagte er und es war kaum mehr als ein Flüstern. Dann stürzte er dem Feind entgegen.

Noch im Laufen zog Ivriniel einen Pfeil aus ihrem Köcher. Das Geschoss fand sein Ziel in einem der Gegner vor ihr. Auch Legolas' Pfeile surrten bereits durch die Luft. Hinter ihr hörte sie die Kampfschreie der Männer.

Als sie den Reihen der Feinde näher kam, griff sie nach ihren Langdolchen. Metall klirrte auf Metall, als sie auf die Gegner traf. Die Waffen schnitten durch Fleisch und Blut spritzte ihr ins Gesicht. Sie spürte Energie durch ihren Körper rauschen, fühlte die Kraft in jeden Winkel vordringen. Wieder ging ein Ork zu Boden. Und wieder. Und wieder.

Es war ein furchtbares Kreischen, das sie innehalten und einen Blick in den Himmel hinauf riskieren ließ. Was sie dort erblickte, hätte sie sicher mehr besorgt, wenn die Nazgûl tatsächlich auf die Kämpfenden hinabgeschossen wären. Doch riesige Adler hielten die Angreifer von ihrem Vorhaben ab, indem sie die Kreaturen attackierten. Etwas blitzte vor ihr auf und sie fing die Klinge unweit ihres Gesichtes ab, ehe sie zum Gegenangriff überging und den Gegner zu Boden schickte. Ein Feind war tot. Und noch einer, und noch einer. Doch die Kreaturen schienen nicht weniger zu werden. Nur knapp verfehlte ein Schwerthieb eines der Ungeheuer ihren Körper. Stattdessen riss das Metall ihren Köcher kaputt. Sie fluchte. Die elende Kreatur hatte sie einer ihrer Waffen entledigt, denn die Pfeile fielen aus der zerstörten Halterung, gingen zwischen den Toten verloren oder zerbrachen unter den Füßen der Lebenden. Ihr Bogen war damit funktionslos. Ivriniel verteilte Hiebe nach allen Seiten und schon bald hatte sie Probleme damit, einen sicheren Stand zu finden und ihren Fuß nicht auf einem der am Boden liegenden Körper ausrutschen zu lassen. Ewig würde sie diesen Kampf nicht führen können.

Dann spürte sie es. Etwas war anders. Die Nazgûl zogen ab.

Doch das verbesserte die Situation der Menschen kaum. In ihren Gesichtern sah sie Erschöpfung. Die Augen wurden müde und verloren ihren Glanz und ihre Entschlossenheit mit jedem Feind, den sie erledigten. Während sie weiter umherblickte, sah sie zu ihrem Entsetzen, wie Aragorn etwas weiter entfernt von ihr vor einem gewaltigen Gegner zu Boden ging. Sie versuchte, durch die Menge der Kreaturen hindurch zu ihm zu gelangen, doch niemals würde sie rechtzeitig bei ihm sein. Vor sich erkannte sie Legoals, der sich ebenfalls durch die Feinde schlug Angst erfasste sie, als sie feststellte, dass er die Gegner um sich herum ignorierte und sie zu besiegen den Menschen überließ. Doch diese Männer kämpften ihre eigenen Kämpfe. Ein Ungeheuer hinter ihm holte mit dem Schwert aus und Ivriniel griff in ihren rechten Stiefel, erwischte den Griff des dort versteckten Messers und warf die Waffe. Die Kreatur ging zu Boden, unbemerkt von den Kämpfenden um es herum.

In diesem Augenblick begannen die ersten Gegner zu fliehen. Sie spürten es und Ivriniel spürte es auch. Das Blatt hatte sich gewendet. Sie sah zu Saurons dunklen Turm hinüber, um dessen Spitze die Wolken enge Kreise zogen. Dann brach das Gebäude in sich zusammen. Das Auge erlosch und setzte eine gewaltige Druckwelle frei. Weitere Gebäude stürzten ein und die Erde riss auf und verschlang auf ihrem Weg flüchtende Orks, die dem Untergang zu entgehen versuchten. Als sie ihren Blick wieder auf den Horizont richtete, spuckte der Schicksalsberg Feuer. Sie konnte sich nicht rühren und nicht die Augen davon abwenden. Es war schön und schrecklich zugleich. Vor allem aber wurde ihr klar, dass sie gewonnen hatten. Sie hatten gesiegt. Der Feind war vernichtet.




Sie wusste nicht, wie lange sie dort gestanden hatte, reglos, bis er kam und sie umarmte. Sie schmiegte sich an seinen Körper, spürte, wie sein Herz in seiner Brust schlug, hörte seinen Atem ruhig ein und aus gehen, vernahm das Rauschen von Wasser, das Wispern des Windes in den Baukronen und das Zwitschern der Vögel. Sie war zu Hause.

Sternenlicht - Legolas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt