Kapitel 19: Die Sonne geht auf

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Der Rammbock donnerte von außen gegen das Tor, während die Männer im Inneren verzweifelt versuchten, es mit schweren Balken zu stabilisieren.

"Die Festung ist eingenommen. Es ist vorbei", sagte Théoden und das machte sie wütend.

Wie konnte der König nur derartig ignorant sein, die Bemühungen seines Volkes, die eigene Familie oder das, was davon übrig war, noch zu retten, zu übersehen? Sie hatten gekämpft und sie kämpften immer noch. Das Tor hielt, wenn auch nicht mehr lange, aber dann würden die Männer ihre Liebsten mit Schwert, Schild, Axt und allem, was sich auch sonst als Waffe würde finden lassen, verteidigen. Auch Aragorn schien ihrer Meinung zu sein.

"Ihr sagtet mir, die Festung würde niemals fallen, solange Eure Leute sie verteidigten. Sie verteidigen sie immer noch. Sie gaben ihr Leben dafür." Die Dringlichkeit, mit der er versuchte, den König wachzurütteln, war unüberhörbar.

Sie beobachtete, wie Legolas den Männern am Tor half.

"Nicht nur die Menschen Rohans haben in dieser Schlacht gekämpft und sind gestorben", dachte sie. Auch eine Vielzahl der Elben aus Lothlórien hatten ihr Leben bei der Verteidigung der Festung gelassen.

Wieder schlug der Rammbock gegen das Tor.

"Sie brechen durch!", drang die panische Stimme eines jungen Mädchens an ihr Ohr.

Es musste mutig hinaufgegangen sein, um die Lage zu beobachten und seinen Leidensgenossinnen Bericht zu erstatten. Ivriniel wollte sich gar nicht vorstellen, was für ein furchtbares Gefühl es für all diese Frauen und Kinder sein musste, nicht zu wissen, ob ihre Väter, Ehemänner und Brüder je wieder zu ihnen zurückkehren würden.

"Sie sind vor dem Tor", rief das Mädchen.

Aragorn schien die Kleine in all dem Durcheinander und dem Lärm in der Halle auch bemerkt zu haben.

"Gibt es keinen anderen Weg für die Frauen und Kinder aus den Höhlen hinaus?", fragte er den König.

Der Angesprochene sagte nichts, allerdings sah der Befehlshaber Rohans ihn unsicher an.

"Gibt es keinen anderen Weg?", hakte Aragorn ungeduldig nach.

Der Befehlshaber antwortete zögernd, mit einem unsicheren Blick auf seinen immer noch schweigenden König: "Es gibt einen Pfad. Er führt ins Gebirge. Doch weit kommen sie nicht. Die Uruk-hai sind zu zahlreich."

Donnernd traf der Rammbock das Tor.

Da der König nicht reagierte, sprach Aragorn nun nur noch zu dem Befehlshaber.

"Alle Frauen und Kinder sollen sich auf den Gebirgspfad begeben. Und verbarrikadiert den Eingang!", wies er den Mann an, der bereit war, sich auf den Weg zu machen.

Die lethargischen Worte Théodens, die der König von Rohan mehr zu sich selbst sprach als zu jemand anderem, hielten ihn jedoch auf: "So viel Tod. Was kann der Mensch gegen solch tollkühnen Hass ausrichten?"

Ivriniel wurde noch wütender. Wer dieser Mann bitte, dass er sich herausnahm, sein Volk zu demotivieren und es damit dem Untergang noch näher zu bringen? Er war derjenige gewesen, der die Menschen in diese Falle geführt hatte. Er hatte ihnen einen Teil ihrer Familie genommen und nun wollte er ihnen auch noch den letzten Funken Kampfgeist entreißen, der in ihnen steckte?

"Reitet raus mit mir. Reitet raus und kämpft!" Aragorns Worte klangen stolz, ein extremer Gegensatz zu dem entmutigten König.

Théodens Antwort war beinahe spöttisch: "Für Tod und Glorie."

Doch Aragorn gab nicht auf: "Für Rohan. Für Euer Volk."

"Die Sonne geht auf."

Gimli war zu ihnen getreten und er hatte recht: Tatsächlich schlüpften durch ein kleines, hohes, schmales Fenster in der massiven Mauer ein Strahl des ersten Morgenlichtes. Die Worte, die Gandalf ihnen beim Abschied gesagt hatte, kamen ihr wieder in den Kopf: "Erwartet mein Kommen beim ersten Licht des fünften Tages, wenn die Sonne aufgeht. Schaut nach Osten."

Hoffnung durchströmte sie. Sie vertraute in den Zauberer. Er würde eine Möglichkeit gefunden haben, ihnen zu Hilfe zu eilen.

Théoden schien aus seinem Schlaf zu erwachen.

"Ja", sagte er, erst leise für sich selbst und dann lauter.

"Ja. Das Horn Helm Hammerhands soll erschallen in der Klamm. Ein allerletztes Mal."

Gimli neben ihr stimmte ihm kampfeslustig zu.

Der Rammbock traf erneut das Tor. Die Verteidiger im Inneren wurden von der enormen Stoßkraft zurückgeworfen.

"Dieses möge die Stunde sein, in der wir gemeinsam Schwerter ziehen. Grimmetaten erwachet", hörte sie den König sagen, als sie auf ihr Pferd stieg.

Sie wechselte einen kurzen Blick mit Legolas, der sich neben ihr ebenfalls in den Sattel geschwungen hatte. Sie nickten sich zu. Dieses Mal würden sie siegen.

Der Rammbock traf das Tor.

"Auf zu Zorn, auf zu Verderben und blutig Morden!", rief Théoden.

Die Reiter zogen die Schwerter, das Horn erschallte, dann brach der Rammbock durch.

"Auf Eorlingas!" Mit diesem Schlachtruf ritten sie den hereinstürmenden Feinden entgegen.

Mit dem Langdolch in ihrer linken Hand schlitzte sie einem Ungetüm die hässliche Kehle auf und hieb wahllos auf die Kreaturen ein, die an ihr vorbeigelangen wollten.

Sie ritten die Feinde auf dem Weg nieder. Auf der Brücke fielen Uruk-hai zu beiden Seiten in die Tiefe. Adrenalin rauschte in ihren Adern, während sie sich durch das Meer an Spießen und Schwertern kämpfte. Sie hatte einen Vorteil, da sie von ihrem Pferd aus die höhere Position ausnutzen konnte, doch die Feinde waren noch immer in einer unfassbaren Überzahl.

"Lange darf Gandalf nicht mehr auf sich warten lassen", dachte sie, als sie den Zauberer bereits auf einer Anhöhe erblickte. Er saß auf seinem strahlend weißen Pferd und hinter ihm ging die Sonne auf. Ein Reiter gesellte sich zu ihm.

"Rohirrim!" Der Ruf schallte weit über das Schlachtfeld und weitere Reiter erschienen auf der Anhöhe.

Die Uruk-hai wurden unruhig.

Dann kam Bewegung in die Masse der Reiter und Menschen und Pferde bedeckten mit einem Mal den gesamten Hang und flossen ins Tal hinab. Die Speere der Ungeheuer stellten sich ihnen entgegen, um die Tiere aufzuspießen, doch ein plötzliches gleißendes Licht ließ sie ihre Augen mit den Händen bedecken und die Welle der Reiter brach sich mit enormer Kraft und Brutalität an der Front der Feinde.

Eine Kreatur nach der anderen fiel ihren Hieben zum Opfer. Es war, als kämpften Sarumans Truppen nur noch mit halber Kraft. Es wurden immer weniger. Inzwischen sah sie deutlich mehr Reiter um sich als lebende Uruk-hai. Wieder traf ihr Langdolch ein Ungeheuer. Der Boden war übersät mit ihren Körpern. Die ersten Vögel hatten sich darauf niedergelassen. Es war das Zeichen, dass die Schlacht beendet war. Die Kämpfer konnten gehen und den Tieren das Schlachtfeld überlassen.

Es war furchtbar für Ivriniel, in die Halle zurückzukehren. Ja, sie hatten gewonnen, aber die Tränen der Menschen trockneten an diesem Tag nicht. Jeder von ihnen hatte jemanden verloren, den er geliebt hatte.

Sie stand in einer Ecke und beobachtete all dieses Leid, bis es ihr mit einem Mal zu viel wurde. Sie musst hinaus. Erst, als der Wind ihr durch die Haare fuhr, wurde sie den Druck los, den sie auf ihrem Herzen gespürt hatte. So mussten sich also ihre Mutter und ihre Schwester gefühlt haben, als ihr Vater und ihr Bruder von der Schlacht nicht heim gekommen waren. Und genau so hatte sie sich gefühlt, als sie Anion verloren hatte.

Legolas trat neben sie, sah sie an und blickte dann hinaus auf die Ebene. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Es hätte nur die Totenstille zerstört, die von dem Kreischen der Vögel und dem Weinen der Menschen untermalt wurde.

Erst später kam wieder Bewegung in sie, als sie mit Gandalf, Gimli, Aragorn, Théoden und Eomer hinausritten auf eine Anhöhe. Sie sahen gegen den Schicksalsberg. Blitze umzuckten seinen Kegel und schwarze Wolken hingen über ihm.

"Saurons Zorn wird schrecklich sein und eine Vergeltung rasch folgen", sagte Gandalf und wie zur Bestätigung seiner Worte spuckte der Berg Feuer in die Luft.

"Die Schlacht um Helms Klamm ist vorüber", sagte der Zauberer, "aber die Schlacht um Mittelerde hat erst begonnen. Unsere Hoffnung ruht jetzt bei zwei kleinen Hobbits - irgendwo in der Wildnis."


Sternenlicht - Legolas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt