Winterzauber

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„So. Ich werde nach Hause.“ „Wir sehen uns morgen.“ Fabi schüttelt mit dem Kopf. „Du bist krank geschrieben.“ Ich rolle mit den Augen. „Stimmt.“ Fabi stellt unsere Tassen in die Spüle und spült sie aus. Er gibt mir einen Kuss auf die Wange. „Ich hab dich auch lieb. Jetzt aber hopp zu Marie. Ihr wollt Babys machen!“ Fabi lacht und verlässt kopfschüttelnd die Küche. Ich höre leises rascheln, murmeln, dann die Haustür, wie sie zugeht. Ich stehe auf, wasche die Tassen ab, drehe mich um. Ich zucke heftig zusammen und quieke, haue mit meinem rechten Arm gegen die Arbeitsfläche. „Au!“ „Oh nein. Entschuldigung!“ Ich halte mir meinen Arm, schaue auf. „Wie kommen Sie hier rein?“ Frau Bombeck kommt auf mich zu. „Ihr Kollege hat mich rein gelassen.“ Sie mustert mich besorgt. „Geht es Ihrem Arm gut?“ „Jaja. Alles gut. Was wollen Sie?“ Ihre Wangen sind leicht rosa. „Ich wollte mich nach Ihrem Wohlbefinden erkundigen. Ich war erst im Krankenhaus, aber dort meinten sie, Sie seihen schon entlassen worden.“ „Heute Vormittag. Wollen Sie sich setzen? Möchten Sie einen Kaffee?“ Sie mustert mich. Wir setzen uns an den Küchentisch. „Woher wissen Sie, wo ich wohne?“ Frau Bombeck lächelt verlegen. „Ich habe Ihren Namen in die Gelbe Seiten gesucht.“ Ich schmunzle. „Mir geht es wieder gut. Ich bin kein Eiszapfen mehr und mein Arm ist geschient.“ Sie nickt erleichtert. „Und dem Lokführer?“ „Ihm geht es den Umständen entsprechend gut. Seine Nase ist gebrochen, er hat eine Platzwunde an der Stirn, seine Wange musste genäht werden und sein linkes Bein hat einen Trümmerbruch erlitten.“ „Und alles nur wegen einem Baum.“ Sie seufzt. „Wie geht es Ihnen?“ Die Anwältin schaut mich überrascht an. „Gut, gut. Mich haben sie schon gestern entlassen. Ich hatte nur einen leichten Schock und eine leichte Unterkühlung.“ „Und der Arzt? Wissen Sie da näheres?“ Sie nickt. „Er hat mit mir das Krankenhaus verlassen. Er hatte auch nur einen leichten Schock und er hat sich seinen linken Daumen verstaucht.“ Ich nicke. „Den Jahreswechsel hatte ich mir anders vorgestellt.“ „Ich mir auch. Aber bei mir geht es jetzt ja wieder normal weiter.“ Ich seufze.

Mein Magen knurrt. „Entschuldigung. Ich habe heute noch nicht wirklich was gegessen.“ Sie lächelt. „Ich muss gestehen, ich habe es bis her vor mir her geschoben.“ Ich halte meinen rechten Arm hoch. „Ich kann Ihnen helfen, wenn Sie möchten?“ „Das ist nett. Aber das schaffe ich schon alleine. Sandwiches sind ja nicht so schwer.“ Jetzt meldet auch ihr Bauch sich zu Wort. Ihre Wangen werden wieder rot. „Möchten Sie mitessen?“ „Nein, danke. Ich werde wieder nach Hause.“ Sie lächelt und steht auf. „Sind Sie sicher? Immerhin ist es schon dunkel.“ „Ich bin mit Auto da.“ Ich nicke. „Dann bringe ich Sie aber noch zur Tür!“ Ich stehe ebenfalls auf und gehen in den Flur, wo Frau Bombeck in ihre Winterstiefel schlüpft und sich ihren Mantel über wirft. Ich öffne ihr die Tür. „Oh!“, sage ich, „So einen Winter habe ich ja noch nie gesehen!“ Ich starre den Schnee an. Dieser ragt ungefähr einen Meter hoch. Die Anwältin streckt ihren Kopf raus, schaut sich um. „Alles zugeschneit!“, staunt sie. „Wollen Sie doch mitessen?“ Ihr Blick wandert zu mir. „Gerne.“

„Wie lange waren Sie mit Ihrem Ex zusammen?“ Ich schaue sie an. „Seit der Oberstufe. Da war er noch ein sehr netter und liebevoller Mann… Sogar mein Vater hat ihn akzeptiert!“ „Jaja, Väter…“, sie kichert. „Als ich ihm meine erste Freundin vorgestellt habe, war er nicht gerade begeistert.“ Verdutzt schaue ich sie an. Sie lächelt. Ihre Wangen nehmen wieder einen rötlichen Schleier an. „Sie sind… lesbisch?“ Frau Bombeck nickt. „Ich hoffe, es stört Sie nicht?“ „Nicht doch!“ Erleichtert lächelt sie mich an. „Immerhin können Sie ja nichts dafür, wie sich Ihr Körper entschieden hat.“ Ich lese Erstaunen und Anerkennung aus ihrer Haltung. „Es gibt, für die heutige Zeit, immer noch recht wenige, die Ihre Einstellung teilen! Die meisten davon sind selbst nicht hetero.“ Wärme steigt in mir auf. Ich stehe auf, schiebe den Stuhl an den Tisch. „Huch? Was haben Sie jetzt vor?“ „Ich werde das Gästezimmer herrichten.“ Ich lächle sie flüchtig an. „Und Ihr Arm? Lassen Sie mich das doch machen.“ „Ich schaff das schon!“

Ich liege in meinem Bett, wälze mich umher. Ich rolle mich auf den Rücken und starre an die Decke. Genervt stöhne ich. Warum sehe ich, wenn ich meine Augen schließe, immer sie? So kann ich nicht schlafen! Ich setze mich auf. Meine Decke rutscht an mir runter und entblößt meine Brüste. Ich beuge mich zur rechten Seite, greife nach meiner Flasche, trinke einen Schluck. Ich schaue auf die Uhr. Es ist punkt zwei Uhr. Ich lasse die Flasche wieder zu Boden gleiten. Ob Fabi recht hat? Mag ich sie wirklich? Aber ich kenne sie ja nicht mal. Außerdem ist sie Anwältin und ich bloß Zugbegleiterin. Ein schwacher Windzug umarmt mich. Ich schaudere, blicke mich um. Meine Tür ist ein Spalt weit offen. Ich streife mir die Decke vom Leib, gehe zur Tür, schließe sie. Schnell schleiche ich wieder zu meinem Bett. Ich lege mich hin. Starre die Decke an. Es ist echt öde. Ich seufze. Ich kann auch nicht nur wach rumliegen. Ich drehe mich auf den Bauch, lecke mir über die Lippen. Ich lasse meinen Kopf ins Kissen fallen. Warum kann ich denn jetzt nicht schlafen? Ich brumme. Ich hebe meinen Kopf und schaue auf die Uhr. Drei nach zwei. Ich rolle mich wieder auf den Rücken. Ich setze mich auf, gehe zum Fenster. Draußen ist es dunkel. Der Mond scheint hell. Er ist eine Sichel. Viertelmond. Es schneit. Die Staße und Gärten sind weiß. Die Autos sind kaum noch zu erkennen. Mit Sicherheit wird morgen keiner aus seinen Häusern rauskommen. Was heißt, dass Frau Bombeck auch nicht von hier weg kommtn wird.

Eisblumen schmücken die Scheibe. Gegenüber sehe ich, wie die Haustür aufgeht. Genauso wie in dem Haus links daneben. Beide Männer kämpfen sich durch den hohen Schnee. Tore und Jan schauen sich an. Sie reden. Anscheinend ist bei ihnen der Melder los gegangen. Beide sind bei der Feuerwehr. Jan holt sein Handy raus, hält es sich ans Ohr. Tore tastet die Schneedecke ab, robbt auf sie. Ich schmunzle. Jan schaut ihn an. Er fängt an zu lachen, steckt sein Handy wieder ein. Auch er legt sich auf den Schnee. Beide robben über das dicke Weiß. Ich wende mich vom Fenster ab, gehe wieder zu meinem Bett. Ich kuschel mich in meine Decke.

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