Miau

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Ich zeige meiner Mutter, was ich alles zum Geburtstag bekommen habe – abgesehen von dem speziellem Geschenk von Fabi und Marie. „Und was hat dir mein Engel geschenkt?“ Ich lache. „Etwas sehr engelhaftes!“, erwidere ich ironisch. „Jetzt zeig schon!“ Ungeduldig reibt sie sich die Hände. Augenrollend stehe ich auf und hole den Karton. Widerwillig gebe ich ihr den. Freudig öffnet sie ihn, beginnt zu lachen. Nicht verstehen schaue ich sie an. „Sie denken nur an dein Wohlbefinden!“ „Ach ehrlich?“, grummele ich. „Du bist seit fast einem Jahr single.“ „Und was willst du mir jetzt damit sagen?“ Skeptisch mustere ich sie. „Ein bisschen Spaß schadet nie. Papa und ich…“ „Mama, STOPP! Ich will nichts darüber hören!“ Wieder lacht sie. Kichernd inspiziert sie das Ding, wackelt damit rum, drückt es. „Es hat eine schöne Form. Und die Eichel ist schön groß.“ „Du kannst ihn gerne haben, wenn er dir so gut gefällt!“ „Es ist deiner. Außerdem reicht mir der von eurem Vater.“ Sie grinst mich schelmisch an, drückt mir das Gummiding in die Hand. Schnell lasse ich es in dem Karton verschwinden und den Karton in einer Schublade. „Das ist aber ein großer Pullermann gewesen. Wofür brauchst du den?“, höre ich die Stimme von Maxi. Erschrocken schaue ich sie an. „Äh…“ „Wenn deiner Schwester langweilig ist, kann sie damit spielen.“ „Mit einem Pullermann?“ Irritiert und skeptisch schaut sie zwischen mir und unserer Mutter her. „Ja. Damit kann man Erwachsenenkuscheln.“ „Alleine?“ „Genau.“ Maxi schaut mich wieder an. „Mein Buch?“ Sie grinst mich breit an. Ich gehe zu meinem Schreibtisch und hole es aus einer Schublade. Freudig reißt sie es mir aus der Hand. Sie verschwindet, poltert die Treppe hoch. „Apropos Buch, wie weit bist du mit deinem Projekt?“ Ich gehe zu meiner Mutter und setze mich wieder neben sie. „Es dauert noch ein wenig. Ist aber schon fast im letzten Abschnitt.“ „Oh. Das ist doch super! Darf ich es dann auch lesen?“ „Vielleicht…“, antworte ich ihr wage.

Wir sind zu dritt auf einen Spielplatz gegangen. Maxi hat mich ja tatsächlich dazu überreden können, mit ihr zu wippen. Grinsend bleibe ich sitzen als mich vom Boden abzustoßen. „Na, wie lange willst du da oben bleiben?“, frage ich sie. „Gar nicht! Lass mich runter!“ „Wie ist das Zauberwort?“ Sie grummelt. „Lass mich bitte auf der Stelle runter.“ Lachend stehe ich auf. „Du kannst gerne noch weiter spielen, aber mir friert mein Po ein.“ Grinsend läuft sie zur Schaukel. Ich gehe zu unserer Mutter. Auf halben Wege bleibe ich stehen und schaue zu den Gleisen, gehe auf sie zu. „Nicki?“ „Psst!“ Ich horche nochmal genauer hin. Ein klägliches Schreien erfüllt die Luft. Ich gehe schneller. An den Gleisen schaue ich auf und ab. Ein kleines schwarzbraun gold geflecktes Fellbündel zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Es schreit. Ich gehe auf das Wesen zu und hocke mich vor ihm hin. Es schaut zu mir rauf. Es miauzt kläglich. Ich höre das Gleis vor mir zischen. Ich schaue auf. Ich sehe den Zug. Schnell greife ich nach der verletzten Katze und drehe mich von den Gleisen weg. Der Zug haupt und rauscht an mir vorbei. Die Katze schreit und faucht. „Nicki?“ Mein Blick wandert von der Katze zu meiner Mutter. Sie läuft auf mich zu. „Mama, schau mal. Eine Katze. Sie ist verletzt!“ Sie hockt sich zu mir runter. Ich ziehe mir meinen Schal vom Hals und wickel das verletzte Tier darin ein. „Ich…ich muss zum Tierarzt!“

„Frau Günther?“ Ich stehe auf und gehe zum Tresen. „Gunther, nicht Günther.“ „Entschuldigen Sie. Der Arzt möchte mit Ihnen sprechen. Einmal hier in den Raum.“ Sie zeigt auf eine Tür neben dem Tresen. Nickend betrete ich den Raum, nachdem ich leise geklopft habe. „Frau Gunther. Ich habe eine nicht so schöne Frage“, beginnt er. Zaghaft nicke ich. „Sie haben den Kater gefunden, das war richtig?“ „Ja.“ „Jetzt müssen Sie entscheiden: Soll er eingeschläfert werden oder kommen Sie für die Kosten auf?“ „Ich bezahle! Irgendwie…“ Verstehend nickt er. „Dann habe ich noch etwas. Ich muss das linke vordere Bein ein Stück abnehmen.“ „Amputieren?!“ Er nickt. „Geht es denn nicht anders?“ „Leider nein. Der Knochen ist nicht mehr rekonstruierbar.“ Ich seufze. „Machen Sie das, was nötig ist. Ich muss jetzt gucken, dass ich das Geld irgendwo herbekomme.“ Ich hole mein Handy aus meiner Tasche. „Jochen? Der Kater schläft.“ „Ich komme.“ Er dreht sich um. „Eins noch. Er scheint ein Mischling zu sein. Könnten Sie die Rassen herausfinden?“ Er lächelt. „Natürlich. Das mache ich.“ Der Arzt verschwindet. Ich gehe wieder zurück in den Wartebereich und rufe bei meiner Mutter an.

„Hey Schnecke, soll ich dich mitnehmen?“ Ich schaue zur Straße. Neben mir fährt mein Vater im Schritttempo. Augenblicklich lächle ich und nicke. Er hält und lässt mich einsteigen. „Wo kommst du her?“ „Vom Tierarzt.“ „Huch? Seit wann hast du denn ein Haustier?“ „Seit heute. Ich habe auf dem Spielplatz auf den Gleisen einen Kater gefunden.“ Ich schaue ihn an. „Papa, könntest du mir Geld leihen? Du bekommst es auch wieder!“ „Die Arztkosten?“ Ich nicke. „Wieviel?“ „Das weiß ich noch nicht. Du, sag mal, weißt du, ob es für Tiere auch Prothesen gibt?“ „Da fragst du was. Ich könnte es mir aber durchaus vorstellen.“ „Fährst du mit mir zum Futterhaus? Ich brauche noch einige Sachen für den Kater.“ „Wenn du bei Mama anrufst. Hat er denn schon einen Namen?“ Ich überlege kurz. „Komet.“ Mein Vater lächelt. Ich schaue auf mein Handy. Es geht nicht mehr an. „Mein Akku ist leer. Kann ich deins nutzen?“ „Aber natürlich.“ Ich schaue ins Handschufach, hole sein Handy raus. „Immer noch Bergschwalbenschwanz?“ „Klar.“ Ich lächle. Mein Vater und seine Schmetterlinge. Ich kenne keinen Mann, der so fasziniert ist von Schmetterlingen, wie er. Ich rufe meine Mutter an. „Bärchen, wann kommst du?“, meldet sie sich. „Nein, Mama. Hier ist dein großes Kind. Papa und ich fahren nach Schwentinental zum Futterhaus.“ „Ach so. Gut, dann weiß ich bescheid. Dann sehen wir uns später. Soll ich und was kochen?“ „Au ja!“ „Bis später mein Schatz.“ Ich lege das Handy wieder ins Handschuhfach. Ich finde sein Ladekabel. Ich hole es raus, stöpsel mein Handy an dieses und das andere Ende am Auto. Es läd. Ich schalte mein Handy wieder ein. Wäre nämlich schön doof, wenn der Tierarzt anrufen sollte und mein Akku leer ist.

„Hast du alles, was du brauchst?“ Ich schaue in den Einkaufskorb. „Katzenklo, Streu, Näpfe, Futter, ein Korb, Kratzbaum. Brauche ich denn noch was?“ „Eine Transportbox?“ „Klar! Ich Dummdödel.“ Ich stapfe durch die Gänge. Mein Vater im Schlepptau. „Und Spielzeug und eine Bürste vielleicht. Ich weiß ja nicht, was das für eine Katze.“ „Genau. Er hat langes Haar. Vielleicht auch Shampoo und Flohmittel. Obwohl, das Flohmittel wird er vom Arzt bekommen. Denke ich.“ „Warum hast du eigentlich wegen einer Prothese für Tiere gefragt?“ Ich bleibe stehen und durchstöbere das Katzenspielzeug. „Weil ihm das linke Vorderbein amputiert werden muss. So wie der Arzt meinte, nicht komplett, aber doch so, dass es ihn beeinträchtigen wird.“ „Du holst dir eine behinderte Katze?“ Er klingt leicht konsterniert. „Viel einfacher ist es mit dir auch nicht!“, grinse ich frech. „Was?!“, ruft er fassungslos. Grinsend umarme ich ihn und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich hab‘ dich lieb.“ „Das merke ich!“ Er geht weiter. Ich jedoch bleibe bei dem Spielzeug und suche noch ein paar nette Sachen heraus. Nachdem ich zufrieden mit meiner Auswahl bin, gehe ich ein Stück weiter, suche mir eine Bürste aus. Dann gehe ich meinen Vater suchen. Fündig werde ich bei den Transportboxen. „Wie groß ist er?“ Ich überlege. „Uff. Das weiß ich jetzt gar nicht wirklich.“ Mein Vater zückt sein Handy. „Was ist das für eine Katze?“ Ich seufze. „Er ist ein Mischling. Langes Haar, goldenes Fell mit schwarzbraunen Flecken, lange schlanke Beine.“ Er tippt auf dem Handy rum. „Ein Perser?“ Er zeigt mir ein Bild. „Nein.“ „Ein Maine Coon?“ Er hält mir wieder sein Handy hin. „Ja. Das Gesicht und das Fell könnte passen.“ Er tippt wieder auf seinem Handy rum. „Ein Bengal?“ Mein Vater hält mir sein Handy hin. „Oh ja!“ Wissend nickt er. „Dann lass uns mal schauen.“ „Kann ich Ihnen helfen?“, erklingt eine fremde Männerstimme. Hinter meinem Vater taucht ein Mann auf. Ich schätze ihn auf ungefähr Mitte dreißig. Er hat braune Haare und grüne Augen. Er sieht etwas trainiert aus, hat aber trotzdem ein kleines Bäuchlein. Außerdem schätze ich ihn ungefähr auf 1,80m bis 1,85m. Von seinem Namensschild kann ich entnehmen, dass er Enrico Haselhorst heißt. „Äh, ja. Welche Transportbox würden Sie mir für einen Main Coon-Bengal-Mischling empfehlen?“ Herr Haselhorst schaut erstaunt.

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