28. Kapitel: "Das ist ein Raubüberfall, du raubst meinen Verstand."

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An der Tür zu Alexas Wohnung überfallen mich Schwindel, Kopfschmerzen und Magenkrämpfe zugleich. Ich bin sicherlich blass um die Nase geworden, aber Pari, die vor mir die Treppen erklimmt und mir daher den Rücken zugedreht hat, bemerkt davon nichts. Sie hat ihren Schal abgenommen und hält ihn achtlos in der Hand. Damit er nicht über die Stufen schleift, hebe ich das untere Ende an. Vor meiner eigenen Wohnungstür hält sie an und dreht sich, sodass sie mir seitlich zugewandt davorsteht. Ich sehe ihr in die Augen, bin unfähig mich zu bewegen. Es ist irreal, dass ich sie wieder so unmittelbar vor mir habe. Ich müsste nur einen einzigen Schritt gehen und könnte sie küssen. Pari setzt ein schiefes Grinsen auf.
„Schließt du auf, oder hast du deinen Schlüssel verloren?", fragt sie mich und nickt in Richtung Türknauf. Ich befreie mich aus meiner Trance, hole den Schlüsselbund aus meiner Hosentasche und öffne die Tür; stoße sie auf, damit sie eintreten kann und ziehe sie hinter uns zu. Pari schaut sich im Flur um, sieht die gerahmten Fotos an der Wand, streicht über die glatte Oberfläche der Kommode rechts von ihr. Nichts ist anders, alles ist noch haargenau so wie bei ihrem letzten Besuch. Ihre Augen treffen ihr eigenes Spiegelbild und ich trete neben sie. Sie betrachtet uns beide in der Reflektion. Ich wiederum sehe nur sie an, vermeide es, mir selbst in die Augen zu schauen. Pari lehnt sich mit dem Rücken gegen meinen Oberkörper und hebt eine Hand, legt sie an meinen Hals, streichelt mich dort, indem sie mit ihrem Daumen Kreise auf meine Haut malt. Ich küsse sie liebevoll auf den Hinterkopf, platziere meine Hände auf ihren Schultern und umfasse den Kragen ihrer Jacke. Sie versteht und lässt sich von mir raushelfen. Mit ihrer Fliegerjacke in der Hand steuere ich auf die Garderobe zu, hänge das modische Teil an einen Haken zu meiner eigenen Winterjacke, bevor ich zu Pari zurückkehre, die am Saum ihres Kleids zupft, ehe sie aufschaut. Erst erstaunt, als könnte sie selbst nicht glauben, dass wir wieder hier sind, zu zweit – dann lächelt sie. Eine Haarsträhne fällt ihr ins Gesicht, die sie selbst rasch zurückstreicht.
„Was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Abend?", fragt sie mich und ich spüre, wie sofort die Hitze in mir aufsteigt. Alles zieht mich zu ihr, ihre Stimme, die Art, wie sie mich anschaut, wie ihre Haut von innen heraus zu leuchten scheint ... Ich atme ein und aus, dreimal, bevor ich bemerke, dass dieses stumme Warten meine Geduld in der Luft zu zerfetzen droht.

„Möchtest du eine Tasse Kaffee? Ich hab 'ne neue Maschine", purzeln die Worte aus mir heraus und Pari starrt mich überrascht aus großen Augen an.
„Was ist mit der alten passiert?", fragt sie und in der nächsten Sekunde sehe ich ihr an, dass auch sie schneller gesprochen hat, als sie es ursprünglich wollte.
„Kaputt", antworte ich knapp. Pari blinzelt erstaunt.
„Ähm, ja ... Also ja, ich nehme gern eine Tasse Kaffee, wieso nicht?", sagt sie und ich stelle unwillkürlich fest, dass mein Flur zu schmal ist. Sie steht noch immer neben der Kommode, also lege ich meine Hände an ihre Taille und dirigiere sie sanft so, dass ich an ihr vorbei in die verbliebenen paar Quadratmeter meiner Einzimmerwohnung komme. Einen Augenblick lang ist sie mir so nah, dass mir ihr Duft in die Nase steigt, ihr blumiges Parfüm; aber ich sehne mich nach dem, was darunter liegt, nach dem Geruch von Sonnencreme und frisch geernteten Erdbeeren. Ich weiß wie sie schmeckt, wie sie riecht, wie sie sich anfühlt ... Auf den höchsten Punkten ihres Gesichts bricht sich das Licht. Ich nehme meine Hände nicht ganz von ihr runter, streiche mit den Fingerspitzen ein Stück ihre Seiten hinunter, über ihre Hüfte, bis ich mich an ihr vorbeigeschoben habe. Mein Herz rast förmlich. Ohne mich nach ihr umzusehen, laufe ich in die Küchenecke, befülle die Kaffeemaschine mit Wasser und lausche auf Paris Schritte. Sie tapst hinter mir über den gefliesten Küchenfußboden und als ich mich nun doch zu ihr umdrehe, weil das Geräusch ein anderes ist, als ich erwartet habe, stocke ich kurz. Sie hat ihre Strumpfhose ausgezogen. Ihre nackten Beine verraten erst jetzt, dass ihr Kleid wirklich kurz ist.
„Mir ist warm", erklärt sie und knetet nervös ihre Finger.
Ich muss grinsen, wende mich kopfschüttelnd von ihr ab und hole die angebrochene Tüte mit gerösteten Bohnen aus dem Schrank.
„Mir jetzt auch", sage ich, werfe einen vielsagenden Blick über die Schulter und wende mich dann wieder der Zubereitung unserer zwei Tassen Kaffee zu.
„Ist das ein Vollautomat?" Pari ist neben mir aufgetaucht und stützt sich mit den Händen auf die Anrichte, drückt sich mit den Armen ein Stück hoch. Sie hat ihr Kinn vorgereckt, steht auf Zehenspitzen und ihre Augen funkeln aufgeregt. Genauso wie in Paris, als ich sie auf den Balkon unserer Suite geführt habe und sie den Eiffelturm von dort aus sehen konnte. Ich kenne niemanden sonst, den guter, frisch gemahlener Kaffee so glücklich macht.
„Jap", bestätige ich und Pari quietscht leise. Das Kribbeln, das der Laut in mir auslöst, wird nur verstärkt, als ich sie anstupse und sie beiseite rückt. Unsere Arme berühren sich, während ich die Kaffeebohnen einfülle. „Milch?", frage ich sie und Pari legt den Kopf schräg.
„Latte?", stellt sie mir eine Gegenfrage, die so wunderschön subtil ist, dass ich schon wieder grinsen muss.
„Wenn du willst", antworte ich und sie lächelt kokett.
„Ich nehme gern einen Latte Macchiato."

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