19. Kapitel: "Deine schwarzen Augen glänzen."

178 10 11
                                    

Sag es ihr. Du musst es ihr sagen.

Als die Tür zu Alexas Wohnung aufschwingt und sie mir wieder gegenübersteht, schlucke ich, mein Hals fühlt sich schrecklich trocken an. Ich habe eben noch einen Joint auf meinem Balkon geraucht, aber das THC hat mich nicht runtergebracht. Nicht ausreichend zumindest. Meine Hände sind schwitzig.

Alexa lächelt mich verunsichert an.
„Ähm, hi", sagt sie leise. Ich realisiere erst viel zu spät, dass ich bisher noch gar nichts von mir gegeben habe. Sie räuspert sich und mein Blick gleitet von ihrem Körper wieder aufwärts, hoch zu ihren schönen dunklen Augen. Sie hat ihre Haare zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden und irgendwie sieht sie toll aus in dem gedimmten warmen Licht, das aus ihrem Schlafzimmer in den Flur dringt.
„Ich –", beginne ich. Verdammter Mist. Ich hatte mir ein ellenlanges Statement oben auf dem Balkon zusammengesponnen, die Worte perfekt so aneinandergereiht, dass ich Alexa auf keinen Fall damit verletzen würde und jetzt stehe ich hier und es fühlt sich an, als würde ich an der schieren Masse dessen, was ich ihr mitteilen muss, ersticken. Ein Flashback schleicht sich zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt in meinen Kopf.

Ich stehe auf einem betonierten Promenadenweg. Alexa läuft nur wenige Meter entfernt über einen schmalen Holzsteg. Sie geht geradewegs auf mich zu, hat die untergehende Sonne im Rücken und trägt kaum einen Fetzen Stoff am Körper, nur ihren olivgrünen Bikini. Ihre Haut ist gebräunt und glänzt nass, weil sie noch vor einer Minute im Meer mit ihren Freundinnen baden war.

Diese Klassenfahrt, auf der wir zusammenkamen, ging nach Spanien. So wie der Schüleraustausch, der schließlich das Aus für unsere Beziehung bedeutete. Ironisch, irgendwie. Trotzdem werde ich die Reise nach San Sebastián nie vergessen, denn auf dieser kilometerlangen, halb verlassenen Promenade standen wir am letzten Abend – genau dort haben wir uns zum ersten Mal geküsst. Der Sonnenbrand in meinem Nacken war mir scheißegal, und es hat mich kein bisschen gejuckt, dass mich von ihren Freunden damals kein einziger leiden konnte. Wir waren unzertrennlich, nur das zählte. Um uns herum wurde es kälter, alle anderen gingen, aber wir saßen bestimmt anderthalb Stunden auf der rauen Kaimauer an dem kleinen Hafen direkt neben dem Strand. Der Gedanke, sie nicht mehr küssen zu können, sobald ich mich von ihr lösen würde, hat mich eine gefühlte Ewigkeit davon abgehalten, sie freizugeben. Alexa loszulassen war keine Option.

Meine Ex-Freundin zupft mit einer Hand schüchtern an meinem Oberteil, bevor sie sich vorlehnt und mir einen Kuss auf die Lippen drückt, einen kurzen nur, aber es reicht, damit ich die Himbeerbrause schmecke, während ich für einen Moment die Augen schließe.

Ich blinzle und Alexa schenkt mir ein zweites Lächeln, das sie irre jung wirken lässt. Sie verzichtet darauf, große Reden zu schwingen, zieht mich bloß zu sich und tastet nach der Türklinke hinter mir, verschließt den einzigen Weg zurück. Mit beiden Händen streicht sie den Stoff meines Shirts über meiner Brust glatt, sieht auf ihre eigenen Finger und ich lege meine Hände auf ihre, stoppe sie.
Alexa schaut zu mir auf. Sie ist einen halben Kopf kleiner als ich, die bequemste Höhe für Küsse im Stehen. Aber ich will jetzt nichts Bequemes und ich sollte ihr erklären warum. Sie riecht nach Spülmittel. Es ist ein frischer Duft, zitronig und sauber, es ist nur nicht das, was ich tatsächlich will ... Ich will mich wieder zu Pari runterbeugen, brauche ihre Wärme, ihren Duft. Sie fehlt mir; und trotzdem stehe ich vor Alexa und bringe keinen einzigen Ton raus.
Ich komme mir fürchterlich schäbig vor.

Alexa streichelt mit dem Daumen meine Wange und ich versuche ihr mit meinem Blick all das zu sagen, was ich nicht vernünftig ausformuliert bekomme. Doch sie fasst es anders auf, küsst mich, statt mich von sich wegzuschieben und wieder einmal wird mir klar, dass zwischen uns nichts mehr ist, wie es mal war. Wir haben uns früher blind verstanden. Alles was davon übriggeblieben ist, sind synchrone, einstudierte Bewegungen, wie eine Choreographie. Ich gehe einen Schritt vor, sie einen zurück. Und dann noch einen ... und noch einen ... Sie verschwendet keine dreißig Sekunden daran, die Tür ihres Schlafzimmers zu schließen, drückt sie nur sanft zu, dann setzt sie sich auf ihr Bett, zieht mich mit sich – zieht mich aus, ich sie – und ich habe ein scheußliches Déjà-Vu. In der Nacht vor zwei oder drei Tagen ist exakt dasselbe passiert.

Escape the FriendzoneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt