26. Kapitel: "Immer wenn du mir gegenübersitzt ..."

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Ich habe einen Tisch reserviert, so wie damals, als wir das erste Mal miteinander ausgegangen sind und Pari das Papaya, ein authentisch thailändisches Restaurant in der Nähe vom Boxhagener Platz, dafür vorgeschlagen hat. An die Qualität des Essens erinnere ich mich kaum, mich hat vielmehr ihre Gesellschaft an diesem Abend gereizt. Nun aber, als ich wieder davorstehe, wartend, Kopfhörer in den Ohren, steigt mir der köstliche Duft von Jasminreis und den unterschiedlichsten Gewürzen in die Nase. Paris Geschmack ist exquisit, sie weiß, in welchen Restaurants das Essen schmeckt. Sie weiß überhaupt besser als die meisten Menschen, die ich kenne, was Genuss bedeutet. Bis eben hatte ich noch gar keinen Hunger. Ich bin aufgeregt, das schränkt meinen Appetit normalerweise ein. Doch jetzt spüre ich, wie mein Magen ungeduldig grummelt. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.

Zum Glück entdecke ich Pari bald darauf, als sie in nur wenigen Metern Entfernung um die Häuserecke biegt. Ihre Haare fallen in großen, eleganten Locken über ihre Schultern. Sie hat sich einen kuschligen, rosafarbenen Schal um den Hals geschlungen und trägt eine gefütterte Fliegerjacke über ihrem braunen Kleid. Ihr Gesicht wirkt jugendlich frisch, sie hat nur wenig Make Up aufgelegt. Ihre Sommersprossen scheinen sogar noch hindurch. Genau vor mir bleibt sie stehen und ich lächle automatisch. Wie könnte ich nicht, bei diesem Anblick. Pari erwidert es. Das Flackern ihrer Kaminfeueraugen verrät mir, dass sie sich aufrichtig freut, mich zu sehen.
„Hey", begrüßt sie mich, dann rollt sie in ihren weißen Sneakers auf die Zehenspitzen und umarmt mich herzlich. Schon durch ihre bloße Nähe fühle ich mich um hundert Kilo leichter. Wir holen beide gleichzeitig Luft. Sie nimmt mir das Kompliment jedoch vorweg, das ich ihr eigentlich gerade machen wollte. „Du riechst gut." Ich grinse.
„Ebenfalls. Wie geht's dir?", frage ich sie. Pari sieht mir unverwandt in die Augen, während sie spricht, sodass ich Mühe habe, ihr zuzuhören. Ihr Blick ist nahezu hypnotisch.
„So weit, so gut. Die Therapiesitzung war anstrengend. Wir haben über meine Eltern gesprochen und den Druck, den ich manchmal verspüre, obwohl sie ihn mir nicht absichtlich machen", erzählt sie.
„Wie haben deine Eltern eigentlich auf deine Entscheidung reagiert, vollständig auf die Ausbildung umzusatteln?", frage ich interessiert. Für Pari ist das immer ein schwieriges Thema gewesen. Sie hat dauernd betont, sie würde einem Akademiker-Haushalt entstammen und müsste dementsprechend auch auf akademischer Laufbahn Karriere machen.
Mein kleines, zierliches Gegenüber seufzt.
„Sie wissen nicht so recht, was sie seitdem mit mir anfangen sollen und ich kann es ihnen nicht verübeln", sinniert sie nachdenklich und vergräbt ihre Finger mit den pastell-lackierten Nägeln in den Taschen ihrer Jacke. „Bis vor ein paar Monaten hatten sie eine Vorstellung davon, wer ich bin; und nun stelle ich all das infrage. Mein Interesse an Geschichte und Kultur hat sich nicht verflüchtigt, nur mein Umgang damit ist ein ganz anderer, seit ich mein Studium abgebrochen habe. Ich lese mehr historische Mangas, keine Fachtexte. Mir macht das Spaß, aber Mangas arbeiten natürlich mit einem anderen Vokabular als wissenschaftliche Essays. Meine Eltern greifen in unseren intellektuelleren Gesprächen darüber trotzdem oft auf Fachtermini zurück, die mich nerven. Sie verkomplizieren bestimmte Sachverhalte unnötig und können mit meiner Kritik daran nicht angemessen umgehen."
„Wissenschaftssprache ist eine Kategorie für sich. Es geht darum, scheinbar simple Sachverhalte auf einer Meta-Ebene zu betrachten", verteidige ich das hochtrabende Gelaber, von dem ich mir ziemlich sicher bin, dass ihre Eltern es immer wieder an den Tag legen. Pari lächelt entschuldigend.
„Mir ist das nicht praktisch genug. Wenn andere ihren Spaß dran haben, freut mich das natürlich. So wie du, du Sprachgenie." Sie schubst mich leicht.
„Sprachgenie", lasse ich mir das Wort auf der Zunge zergehen. „Du schmeichelst mir."

Sie sieht mich an, als wollte sie mir sagen, dass sie ewig damit weitermachen könnte und jede Faser meines Körpers steht schlagartig unter Strom. Dann aber räuspert sie sich leise und deutet auf den Eingang.

„Wollen wir?" Wohlerzogen wie ich bin, halte ich ihr die Tür auf. Die Spannung, die sich zwischen uns aufgebaut hat, ist noch da. Pari streift mich kurz an der Hüfte, als sie eintritt. Ihre magnetische Energie wirkt in diesem Bruchteil einer Sekunde sogar doppelt so stark. Der Abend hat noch nicht mal begonnen, ermahne ich mich in Gedanken.
„Hi, ich hatte reserviert", informiere ich die herbeieilende Kellnerin. Es handelt sich um ein junges Mädchen mit Brille und Pferdeschwanz, das etwas verschüchtert, aber keineswegs unfreundlich wirkt. „Auf Kopplin", füge ich noch hinzu.
Pari sieht zu Boden, aber ich weiß, dass sie lächelt.

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