„Man merkt dir an, dass du besser mit dir zurechtkommst, seit du aus dem Iran zurückbist." Meine Augen sind auf den Gehweg gerichtet, der vom Schneeregen nass im Licht der Straßenlaternen glitzert. Die Geräusche um uns herum verschwimmen zu dem freudigen, leisen Brummen, das so typisch für das Nachtvolk in Berlin ist. Gläserklirren, Stimmengewirr, Lachen, Musik ... Vor uns läuft ein junges Pärchen bei Rot über die Ampel, sie werden fast von einem Auto erwischt, lachen aber nur, als der Fahrer sich aus dem Fenster lehnt und sie lauthals beschimpft. Pari und ich stehen an der Kante des Bürgersteigs, direkt neben der rot-weiß gestreiften Absperrung einer Baugrube. Der Motor des Honda Civics auf der Straße stottert, springt wieder an und der Wagen braust um die Kurve und in die Richtung davon, aus der wir gekommen sind. Pari lächelt sanft. Sie hat die Hände in den Taschen ihrer Fliegerjacke vergraben. Bis ich das Eis gebrochen habe, sind wir eine Weile schweigend nebeneinander hergelaufen, hundert Meter vielleicht.
„Weißt du, was mir immer mit am besten an dir gefallen hat?", fragt sie mich. Die Härchen auf meinen Armen stellen sich auf, ich kann es spüren. Schon allein die Frage reicht aus, damit ich innerlich ekstatisch werde. Implizite Komplimente hat sie drauf.
„Hm?", mache ich bloß. Mit Worten würde ich mich gerade nur verhaspeln. Pari setzt einen Fuß vor den anderen und grinst, ohne mich dabei anzusehen. Ihre Augen schimmern.
„Dein Optimismus", antwortet sie. „Du hast mir immer wieder gesagt, dass dieses Leben uns weit mehr bietet, als wir uns vorstellen können. Das hat mir im Iran unschätzbar geholfen. Vincent und du, ihr teilt diese Positivität."
„Kann sein", höre ich mich sagen. Vielleicht hat sie recht. Vincent ist auf jeden Fall Optimist durch und durch. „Er lebt diese Positivität, von der du da sprichst, aber anders aus als ich", werfe ich dennoch ein. „Für ihn ist es absolut selbstverständlich, dass wir alle einen gesunden Optimismus in uns kultivieren sollten. Manchmal übersieht er dabei, wie hart das sein kann."
„Ja, es war sehr hart", murmelt Pari und ich sehe sie aufmerksam an. Sie vergewissert sich mit einem kurzen Seitenblick, ob ich ihr noch zuhöre und fährt fort. „Ich habe viel geweint und mir danach jedes Mal verziehen, obwohl das der schwierigste Teil war. Also, mich nicht für meine Gefühle fertigzumachen. Man kann nichts loslassen, womit man sich nie konfrontiert hat. Bei mir hat sich eine Menge angestaut. Ein paar oberflächliche Sachen, über die ich mir früher tausend Gedanken gemacht habe, sind unbedeutender für mich geworden. Mein Aussehen vor allem. Ich habe in kleinen Schritten rausgefunden, dass ich nichts an mir verändern möchte, ich würde mich nie operieren lassen oder sowas. Bloß an meiner Einstellung wollte ich etwas ändern. Das ging irgendwann wie von selbst. Als ich realisiert habe, dass sich in seinem eigenen Körper wohlzufühlen nicht zwingend heißt, dass man sich jeden Tag für Miss Universe halten muss, war es ein bisschen, als würde ich mich durch die Augen anderer sehen. Du hast mal zu mir gesagt, du siehst, dass ich auf mich achte und mir Mühe gebe, die beste Version von mir zu verkörpern, die ich sein kann. Daran habe ich mich erinnert, während ich meinem Spiegelbild in die Augen gesehen habe. Und dann habe ich mich gefragt, warum ich mir äußerlich so viel mehr Mühe gebe als innerlich."
„Das habe ich mich bei dir auch immer gefragt", gebe ich leise zu.„Die Angst hat mich gelähmt. Ich dachte: Wer weiß, worauf ich am Ende stoße, wenn ich nach etwas suche, was Bestand hat? Mir ist dann klargeworden, dass ich es mir ziemlich einfach gemacht habe." Pari macht eine kurze Pause und atmet zittrig ein. Sie bleibt stehen und dreht sich mir zu. Auch ich halte an. „Gibst du mir deine Hände?", fragt sie mich schüchtern. Ich versuche abzuschätzen, ob ihr eine Panikattacke droht. Doch ich werde nicht schlau aus Pari. Vielleicht will sie nur meine Hand halten. Ich verschränke meine Finger mit ihren und sie sieht mich an, nachdem sie nochmal tief durchgeatmet hat. „Ich wollte alles abkürzen", sagt sie. „Ich habe meine schlechtesten Eigenschaften, von denen ich immer gewusst habe, dass sie tief in mir angelegt sind, vollständig ausgereizt. Bloß um zu gucken, wo die Grenze verläuft. Aber inzwischen glaube ich, wenn ich nicht selbst die Grenze ziehe, werde ich nur schlechter und immer schlechter, bis ich zu genau dem Menschen werde, der ich nie sein wollte." Sie schaut mich an und es liegt so viel Reue in ihrem Blick, dass ich völlig überfordert bin. Pari versteht tatsächlich, warum es falsch war, sich so brutal von mir abzuwenden, als es dafür längst zu spät war. „Ich will –", setzt sie erneut an und unterbricht sich, schluckt, räuspert sich. „Ich will, dass die Art, wie ich das zwischen uns beendet habe, immer das bleibt, wofür ich mich am meisten schäme – und das für den gesamten Rest meines Lebens. Sowas soll nie wieder passieren."
Sie drückt meine Hand, hält den Blick gesenkt auf unsere verschränkten Finger. Als ich ausatme, taucht ein Wölkchen vor meinem Mund auf. Vorsichtig beuge ich mich ein Stück vor und lehne meine Stirn gegen Paris. Sie schließt die Augen und ihre Nasenflügel zucken nervös. Ihre Lippen, die nach dem Essen im Restaurant in einem weniger intensiven Rosaton glänzen, öffnen sich leicht. „Natürlich kann ich dir nicht versprechen, dass ich mich in Zukunft nicht trotzdem ab und an ekelhaft benehmen werde", haucht sie atemlos. „Aber ich werde mich nie wieder so unfair gegen dich wenden wie nach Paris." Die Worte sind kaum ein Flüstern.
„Ich vertraue dir nicht", erwidere ich.
Pari schlägt die Augen auf.
„Was für einen Grund hast du jetzt noch, mir nicht zu vertrauen? Wir haben doch schon alles verloren, Dag."
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Escape the Friendzone
Fanfiction~ Auf der Suche nach uns selbst, kann uns niemand begleiten. ~ Pari hat Dag in die Friendzone abgeschoben. Oder zumindest hat sie es versucht. Denn er hat sie einfach stehenlassen und nun herrscht Funkstille zwischen den beiden. Dag hat genug von Pa...