Mama rührt in ihrer Kaffeetasse. Sie hätte mich fast nicht reingelassen vorhin, weil sie schrecklich nachtragend ist. Eine lästige Eigenschaft, die ich möglicherweise von ihr geerbt habe. Aber wir haben quasi nur noch einander, seit mein Vater damals gegangen ist. Als eine der wichtigsten Bezugspersonen in meinem Leben bedeutet sie mir die Welt. Selbst wenn wir uns streiten. Denn es ist genau, wie Alexa es Linus erklärt hat: Auch wenn Mama unglaublich sauer auf mich ist, hat sie mich trotzdem lieb.
„Du machst gerade eine schwere Phase durch, Dag", räuspert sie sich. „Ich weiß, es ist nicht einfach für dich im Moment. Aber du kannst mich nicht grundlos anschreien, erst recht nicht vor deiner Oma. Das verletzt meine Gefühle."
„Ja, das verstehe ich. Mir ist klar, dass ich überreagiert habe."
Mama seufzt leise und nimmt meine Hand in ihre.
„Manchmal wünschte ich, du hättest ein bisschen weniger von mir und ein bisschen mehr von deinem Vater geerbt." Unschlüssig verziehe ich das Gesicht.
„Was denn zum Beispiel? Seine Tendenz dazu, vor Beziehungsproblemen davonzurennen und sein Kind im Stich zu lassen?"
„Er hat dich nicht im Stich gelassen", widerspricht Mama mir müde. „Ich hätte nie vor dir über ihn herziehen dürfen damals, dadurch gehst du bis heute noch immer viel zu streng ins Gericht mit ihm. Dein Vater hat jede Woche angerufen, um mit dir zu sprechen, er wollte weiter an deinem Leben teilhaben."
„Mama, er hat dir das Minimum an Unterhalt für mich gezahlt, sein Geld hat nur die allernötigsten Kosten gedeckt", erinnere ich sie.
„Und ohne sein Geld hätte ich uns gar nicht durchbringen können", ergänzt sie. Ich starre auf unsere verschränkten Finger. Mama drückt meine Hand. „Mit dir hat man's nicht leicht", murmelt sie.
„Tut mir leid", gebe ich reumütig zurück. „Machen wir einen Spaziergang?"Draußen ist es kühl, aber die Sonne scheint und meine Mutter hat sich bei mir untergehakt. Sie beobachtet mit Argusaugen, wie ich eine Zigarette aus der Packung ziehe und sie im Gehen anzünde.
„Fürchterliche Angewohnheit", kommentiert sie es. Ich reagiere nicht darauf, diese Diskussion führe ich schon lange nicht mehr mit ihr. Das ist aussichtslos. Mama drückt meinen Arm gegen ihren Körper, sie gibt auf. „Wie hat sich dein Liebeskummer entwickelt?", fragt sie mich und ich lege die Stirn in Falten.
„Können wir bitte über was anderes reden?", frage ich sie.
„Redest du wenigstens mit Vincent darüber?"
„Vincent versteht das nicht", erkläre ich ihr zum wiederholten Mal und Mama presst die Lippen aufeinander.
„Dag-Alexis, mit irgendwem musst du darüber reden. Jetzt schluck deine Männlichkeit mal für einen Moment runter, ja?"
Tja, eigentlich hat das gar nichts mit Männlichkeit zu tun, sondern eher damit, dass ich meiner Mutter nur ungern die Wahrheit über mich und Alexa erzählen möchte. Von Pari habe ich nichts mehr gehört, seit dem Desaster im Oktober. Ich muss noch immer an sie denken, trotzdem habe ich mit meiner Ex-Freundin geschlafen. Vincent habe ich damit schon zur Weißglut getrieben, was mir Mama diesbezüglich um die Ohren knallen würde, will ich mir darum lieber gar nicht erst ausmalen.„Dag", reißt meine Mutter mich aus meinen Gedanken und ich schaue ihr in die Augen. „Ist zwischen dir und Alexa noch irgendwas passiert, nachdem ihr euch geküsst habt?", fragt sie mich und ich schlucke, wäge innerlich ab. Einerseits will ich sie nicht anlügen, andererseits ertrage ich keine neue Standpauke. Ich riskiere so oder so einen zweiten üblen Streit mit ihr vom Zaun zu brechen.
„Ich versuche, meine Gefühle zu ordnen", weiche ich ihrer Frage aus.
„Also ja", konstatiert Mama trocken. „Wirklich, das ist nicht gut für dich", belehrt sie mich, nimmt mir die Zigarette aus der Hand und drückt sie im Aschenbecher des nächsten Mülleimers aus. Sie redet natürlich nicht übers Rauchen.
„Ich versteh euch alle nicht, du mochtest Alexa mal, genauso wie Vincent", sage ich.
„Ich denke, wir mochten sie beide solange, bis sie dir wehgetan hat."
„Ihr wisst doch beide überhaupt nicht, was damals bei ihr los war", verteidige ich Alexa.
„Sie hat dir ihren Freund verschwiegen und sich von ihm schwängern lassen, als ihr dabei wart, es nochmal miteinander zu versuchen, dafür gibt es keine Entschuldigung", erwidert Mama.
„Sie hat sich nicht freiwillig von ihm schwängern lassen, er hat sie sexuell missbraucht", rutscht es mir unvermittelt raus. Mama sieht mich aus großen Augen an, ihr Mund steht offen und ich atme tief durch, konzentriere mich auf die Ulme, auf die wir geradewegs zuhalten. Großartig. Alexa vertraut sich mir an und ich posaune diese sensible Information einfach so vor meiner Mutter raus, die das absolut nichts angeht.
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Escape the Friendzone
Fanfic~ Auf der Suche nach uns selbst, kann uns niemand begleiten. ~ Pari hat Dag in die Friendzone abgeschoben. Oder zumindest hat sie es versucht. Denn er hat sie einfach stehenlassen und nun herrscht Funkstille zwischen den beiden. Dag hat genug von Pa...