32. Kapitel: "Dich zu vergessen, dauert Jahre."

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Ich habe Pari drei Tage Zeit gelassen, um Abstand zu gewinnen. Seitdem habe ich nichts von ihr gehört, sie nicht gesehen ... Sie ist auch nie online, sodass ich ihr schreiben könnte. Ich wüsste eh nicht was.

Trotz der hohen Wahrscheinlichkeit, dass sie mich wegdrücken wird, wähle ich ihre Nummer am Abend. Vor anderthalb Stunden hatte sie Feierabend, vermutlich ist sie zu Hause. Das Freizeichen ertönt und ich tigere im Zimmer vom Bett zum Schrank zur Couch und wieder ... Bett, Schrank, Couch, Bett, Schrank, Couch –
„Dag."
Beim plötzlichen Ertönen ihrer Stimme erschrecke ich mich ein wenig. Sie klingt so normal, ganz anders als meine eigene, während ich ihren Namen ausspreche: „Pari." In meinem Hals kratzt es unangenehm. Ich schlucke, was nichts bringt, befeuchte meine Kehle stattdessen mit einem Schluck Wasser aus der großen Flasche, die auf meinem Nachttisch steht.
„Du bist früh dran mit deinem Anruf", sagt sie und ich betrachte mein eigenes Gesicht im Ganzkörperspiegel, der Teil meines Kleiderschranks ist. Meine Stirn liegt in tiefen Falten. Zweifel kommen in mir auf, vielleicht war es falsch, schon jetzt auf sie zuzugehen.
„Wir können das mit dem Reden auch verschieben", rudere ich zurück und Pari seufzt.
„Und was soll ich dann stattdessen heute Abend machen? Was machst du dann?"
„Keine Ahnung", gebe ich zu. „Auf dich warten, bis du so weit bist, würde ich sagen." Sie schnaubt.
„Das hat ja beim letzten Mal schon super geklappt, als ich im Iran war." Aber obwohl sie so mit Worten um sich beißt, bröckelt ihre Fassade diesmal. Ich höre, wie sie am Ende des Satzes schluchzt und den Laut sofort erstickt.
„Es tut mir leid", entschuldige ich mich bei mir. Pari holt Luft und ihre Erwiderung verwackelt unbeabsichtigt, ihr Tonfall hebt und senkt sich unregelmäßig.
„Wenn es irgendeine Fremde gewesen wäre: okay. Aber ausgerechnet deine Ex, die nur neben mir stehen musste, ohne irgendwas zu tun; allein das hat ausgereicht, damit ich mich wertlos fühle. Ich war so dumm und naiv. Als du mir gesagt hast, dass du was mit einer anderen hattest, während ich weg war, da habe ich längst geahnt, dass ich sie vielleicht sogar kenne, weil ich weiß, dass Onenightstands noch nie dein Ding waren. Mich hat der Gedanke in dem Moment gestreift, in dem du mir dieses beschissene Geständnis gemacht hast, und ich hab ihn einfach von mir weggeschoben, ihn irgendwo in mein Unterbewusstsein verbannt, genau wie früher, verstehst du? Als hätte ich die Wahrheit nicht schon gekannt; als wäre mir nicht von der Sekunde an, in der du mir davon erzählt hast, klar gewesen, dass du von Alexa sprichst."
„Pari, ich hab nicht mit ihr geschlafen, um dir wehzutun, das war nie die Intention dahinter", versuche ich mich an einer kläglichen Erklärung.
„Wieso sagst du das? Glaubst du, das macht es besser, oder erträglicher für mich? Wenn du nicht mit ihr geschlafen hast, um mir wehzutun, dann weil du es wolltest. Weil du sie wolltest, zweimal."
„So war das nicht, kannst du mir bitte zuhören?" Eine Pause entsteht, ich höre nur Paris schweren Atem.
„Ich brauche einen Kaffee", zieht sie die Notbremse. „Ruf mich in zehn Minuten per Facetime an."

Nachdem wir uns knapp voneinander verabschiedet und aufgelegt haben, falle ich auf mein Bett. Ich könnte aufstehen und mir einen Kaffee machen, so wie das Paris Plan ist, den sie vermutlich gerade in die Tat umsetzt. Aber wenn ich so drüber nachdenke, übersteigt ihre Immunität gegen die aufputschende Wirkung von Koffein meine doch um Längen. Ich will dieses Videotelefonat nicht mit zitternden Händen führen. Für eine Zigarette auf dem Balkon würde die Zeit natürlich reichen, aber Nikotin bringt mich seit Jahren nicht mehr runter, genauso wie Koffein Pari seit Jahren nicht mehr aufputscht wozu also?

Ihr Bild erscheint im Display, ziemlich direkt, nachdem ich sie wie vereinbart nochmal angerufen habe. Pari sitzt in einem rosa-weiß gestreiften, knappen Pyjama auf ihrem Bett. Ihre Haare sind ordentlich gelockt und sie trägt noch ihr Alltags-Make-Up, das nur ihre Augen und Lippen betont. Ihre Wangen leuchten rosarot vom Rouge, ein wenig zu kräftig für meinen Geschmack, aber wer weiß, welchen gräulichen Teint sie ausgleichen wollte. Wenn es ihr schlecht geht, ist sie oft leichenblass. Die Schatten unter ihren Augen sind jedoch so dunkel, dass sie sie zurzeit nicht vollständig abdecken kann.
„Elhamdurellah, siehst du scheiße aus", entwischt es ihr. Aus Scham schlägt sie die Hand vor den Mund, doch ich muss unwillkürlich lachen.
„Danke", gebe ich trocken zurück. „Du bist genauso wunderschön wie immer."
„Das täuscht. Lass dir von Kamera und Make Up nichts vorgaukeln."
„Glaube ich dir nicht, dass das täuscht. Apropos Make Up, du hast deine Schminke schon wieder hier liegenlassen. Soll ich mir was von dem Zeug unter die Augen schmieren oder sonst wohin? Außerdem wolltest du doch facetimen, das war nicht meine Idee. Mit den Konsequenzen musst du leben." Paris Miene verfinstert sich.
„Wehe du gehst an meinen Concealer von Giorgio Armani", knurrt sie. „Der war teuer und ich verschwende kein Gramm davon an einen Typen, der damit ohnehin nichts anzufangen weiß. Du würdest dein Gesicht nur noch schlimmer entstellen."
„Armani? Die stellen auch Schminke her? Ich hab 'nen Anzug von Armani", schießt es mir durch den Kopf.
„Du besitzt einen Anzug?", fragt Pari in einer Mischung aus Skepsis und Erstaunen.
„Ich wurde von 'ner Freundin und 'nem Kumpel auf deren Hochzeit eingeladen, da war formeller Dress-Code angesagt. Vincent hat mich gezwungen, er meinte, er wird so tun, als würde er mich nicht kennen, wenn ich das durchziehe und im Hawaii-Hemd bei der Feier aufkreuze."
„Du siehst bestimmt gut aus im Anzug", macht sie mir ein schüchternes Kompliment.
„Sollen wir nochmal auflegen und ich zieh mich rasch um", scherze ich, „oder erträgst du meinen Anblick auch so?" Pari wird ernst.
„Hast du überhaupt mal geschlafen in letzter Zeit?", fragt sie mich. Ich sehe keinen Sinn mehr darin, es zu leugnen.
„Nicht so richtig ... Pari ...", beginne ich zögerlich. „Das mit Alexa tut mir leid. Und dass ich dir nicht davon erzählt habe, das sowieso. Ich wollte den Frieden wahren, aber ich hätte dir das nie verschweigen dürfen."
„Du bist ein Idiot", sagt sie und ich nicke.
„Erinnerst du dich, wie ich zu dir gesagt habe, dass du vielleicht gar nicht mit mir zusammen sein willst, auch wenn du dir das so sehr wünschst?"
„Ich erinnere mich. Dass war kurz bevor ich dir gesagt habe, dass ich dich liebe, du Arsch." Sie zieht weinerlich die Nase hoch.
„Pari, bitte", flehe ich. „Ich fand das wunderschön, und du doch auch. Ich vermisse dich. Und ich würde wirklich alles tun, damit du zu mir zurückkommst. Du weißt genau, dass ich praktisch von Tag Eins an mit dir zusammen sein wollte." Pari nickt, presst die Lippen aufeinander und sieht runter. Als sich ihr Blick hebt, reflektiert das Licht in ihren Augen stärker, Tränen haben sich darin gesammelt. „Was passiert denn jetzt mit uns, hm?" Als sie schweigt, werde ich konkreter. „War's das? Ist es vorbei?" Sie sieht zur Seite. Der Kamerawinkel verändert sich; sie lässt die Hand, in der sie ihr Handy hält, langsam sinken.
„Es ist vorbei, wenn ich dich nicht mehr vermisse und du mich auch nicht mehr." Ich räuspere mich.
„Vermisst du mich?", frage ich sie vorsichtig. Pari nickt erneut und ein Knoten scheint sich in meiner Brust zu lösen.
„Ich denke jeden Tag an dich, seit ich dich kenne", haucht sie. „Ich frage mich, ob das je aufhören wird. Zumindest fühlt es sich im Moment nicht danach an."
„Kann ich nur bestätigen", murmle ich.

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