Caleb Harris
Eine unfassbar fette Gänsehaut überfiel den Körper des jungen Mannes. Alistair. So hatte man ihn seit einem Jahrhundert nicht mehr genannt. Es fühlte sich an, als
würde eine uralte Kreatur aus dem tiefsten Loch der Erde widerauferstehen und nun seine mit Schorf bedeckten Wunden aufkratzen. Ihm würde speiübel. Aus den Augenwinkeln bemerkte er wie das fremde Pärchen, welches ebenfalls an dem Tisch gesessen hatte, das Weite suchte. Besser war es. Niemand konnte dafür garantieren, was gleich geschah. Sein Magen rumorte und wollte dessen Inhalt loswerden. Ein scharfes Stechen, welches einem Dolch glich, kämpfte sich rauf zu seinem Herzen, wo es unerbittlich auf jenes versuchte einzuprügeln. Ein lautloser Schrei hing in seiner Kehle fest. Seine Augen waren stets an die männliche Gestalt direkt vor seiner Nase gefesselt. Alistair. Der Name hallte überall in seinem Gedächtnis. Alistair, den Mann gab es nicht mehr. Auch wenn er unmittelbar nach seiner Verwandlung eine andere Identität angenommen hatte, war sein Schöpfer der Einzige gewesen, der ihn immer noch heimlich damit ansprach. Und er war auch der Letzte gewesen, der ihn unter dieser Bezeichnung gekannt hatte. Denn nach der Schlacht bei Colluden starb auch der letzte Teil Calebs menschlicher Vergangenheit. Immerhin war dort nichts mehr gewesen, was ihn hätte daran erinnern können, ironischerweise. Vielleicht war es auch einer der Gründe, weshalb Caleb in jenem Augenblick nichts als Hass für Scott übrig hatte. Sein Scott, den er über die Zeiten nie aufgegeben hatte und der wie selbstverständlich ihn nun mit diesem schelmischen Grinsen betrachtete. Seine Knie wollten weich werden, aber Caleb war stärker. Wegen dem Rothaarigen hatte er stets in der Vergangenheit gelebt. Ob er noch an seiner Seite war oder nicht. Er ließ ihn seine Geschichte nicht vergessen, was Fluch und Segen zugleich war. Aber einem Geist nachzujagen, wie Leo es gern bezeichnete, machte jeden früher oder später kaputt. Dies erkannte er nun. Er musste wie ein Wrack ausgesehen haben, während sein Rotschopf aufblühte mit seiner Liebsten an seiner Seite. Der abgestorbene Mensch in ihm wollte flüchten und sich heulend unter einer Decke verkriechen, aber der wilde Vampir in seinen Knochen wollte nach vorn sprinten und Scott die Pulsadern aufschlitzen. Er sollte bluten. So wie Caleb es bei seiner vergeblichen Suche getan hatte.Seine Atmung wurde schwer und er knirschte mit den Zähnen. Es herrschte angespanntes Schweigen und Scott befand sich stets vor ihm mit ausgestreckten Armen, als würde er ihn freudig empfangen. Nach einer Weile der Stille erhob sich dieser aus seinem Sitz und ging langsamen Schrittes auf seine Schöpfung zu.
„Endlich sind die Waffenbrüder wieder vereint, Alistair", machte er und klopfte mit einer geballten Faust demonstrativ an seine breite, durchtrainierte Brust. Er sollte die Klappe halten. Er sollte sein verdammtes Mundwerk zügeln. Mit der linken, freien Hand wollte er dem Braunhaarigen an die Schulter fassen, doch da war Caleb bereits eine Sicherung durchgebrannt. Heißer Zorn ergriff ihn, den er früher einzig und allein einem Feind gewidmet hatte. Blitzschnell packte er die ausgefahrene Linke. Sein Griff war dermaßen fest, dass er sogar merkte wie die Knochen unter seinen Fingerkuppen zersprangen. Eine finstere Stimme bahnte sich gleichzeitig einen Weg in sein Gedächtnis.
Ein guter Handgriff.Er wollte nichts mehr davon hören. Es ging alles so schnell. Mit einem animalischen Knurren holte er aus und drehte sich um 180°, sodass er Scotts Körper einmal quer durch das gesamte Gasthaus schleuderte. Der Rotschopf prallte gegen unzähliges Holz und gab daraufhin ein schmerzhaftes Ächzen von sich. Rasant wanderte Calebs Blick auf seine Schlampe Moira, die beinah aus Wut eine ihrer schwarzen Strähnen aß. Im Schlucken war sie ja aber schon immer gut gewesen. Sie fletschte die Zähne, gab ihre spitzen Fänge preis und fauchte ihn an.
Er hingegen zertrümmerte mit Sicherheit seinen Kiefer, so fest wie dieser in diesem Augenblick aufeinander gepresst wurde. Moira setzte zu einem Angriff an und ein Anflug von einem schadenfrohen Grinsen machte sich auf Calebs Mundwinkeln breit. Wie lange hatte er darauf gewartet? Wie lange war es her gewesen, dass er sich in einem Kampf verausgabt hatte?
Die Schwarzhaarige langte in Windeseile einen Satz nach vorne, doch ehe Caleb sie in seine Krallen bekam, stürmte ein blonder Schopf aus dem Nichts an seine Seite. Leos boshaftes Grollen war nichts im Vergleich zu seinem, als er die Frau an ihrer Kehle zu fassen bekam. Seine Augen glühten in einem dunklen Rot und er holte mit einem Gebrüll aus, sodass Moira gegen die nächstbeste Wand geschmettert wurde. Ihre Gestalt krachte in sich zusammen und sie gab anschließend keinen Mucks mehr von sich.
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Geschöpfe der Nacht
VampireBellatores benedicti sunt - Gesegnet sind die Krieger. Unter diesem Motto wandeln die Vampire Ezekiel, Bradley, Richard und Jocelyn gemeinsam durch die Jahrhunderte. Zeiten, die durch einen alles verzehrenden Hunger, ständiger Selbstbeherrschung und...