Ezekiel Clearwater
Der Pater sah auf den kleinen Teil seiner Familie als er gerade das Speisezimmer verließ und musste schmunzeln. Brad war in äußerst guter Stimmung an dem heutigen Tage und er war froh, dass Jocelyn es gelassen nahm. Er wusste, dass sie gerade eine äußerst schwierige Zeit durchmachte und mehr Unterstützung denn je benötigte. Ezekiel war sich sicher, dass Richard ihr eine Stütze war und er war dankbar, dass er zu der Vampirin hielt, obwohl er ihre nächtlichen Streifzüge durchaus missbilligte. Ezekiels langjährigem Freund gefiel das Abschlachten und Morden genauso wenig, wie den Engländern die Boston Tea Party.
Umso mehr bewunderte der Pater, wie ihr Ehemann damit umzugehen wusste. Wahrscheinlich lag es daran, dass Richard Jocelyns Verbitterung am ehesten nachvollziehen konnte. All die Jahrhunderte, die Ezekiel alleine mit Richard verbracht hatte, erlaubten dem Pater einen tiefen Einblick in die Seele des Vampirs, der im täglichen Konflikt mit seinem unsterblichen Dasein stand. Aus diesem Grund hatte er ihm angeboten es mit seiner Tierblut-Diät zu versuchen. Seine Schöpfung hatte ein beeindruckendes, eisernes Durchhaltevermögen, was Ezekiel an ihm bewunderte. Er wusste, wie sehr es den Zweitältesten unter ihnen quälte auf Menschenblut zu verzichten. Wie kräftezehrend diese Art von Ernährung war und auch dass es ihn selbst zunächst viel Kraft gekostet hatte. Doch es zahlte sich aus, wenn man es nur lange genug versuchte.
Bradley und Jocelyn hatten kein Interesse an der Ernährung durch Tierblut. Und das war auch in Ordnung so. Ezekiel liebte seine Familie und wollte um jeden Preis, dass es ihr gut ging. Er verurteilte niemanden für seine Verfehlungen, oder ihre persönlichen Entscheidungen. Dem Pfarrer war durchaus bewusst, wie hart die ersten Jahre als Jungvampir waren - Er hatte sie schließlich selbst durchlebt. Und wenn einer seiner Familienmitglieder litt, so litt auch er mit ihnen. Vermutlich lag es wohl an seinem Alter, dass Ezekiel fast schon automatisiert die Verantwortung für den Clan übernommen hatte. Offiziell besieglt wurde seine Verantwortungspflicht dann schließlich durch ein uraltes Ritual und mit der Hilfe der Hexe Morgana La Fey.
All das würden die anderen Kirchenmänner wahrscheinlich als Ketzerei ausrufen, aber Ezekiel wusste es besser. Magie war keine Glaubensfrage und selbst wenn Vampire die gefürchteten Monster der Unterwelt waren, so fühlte er sich dennoch stark zu Gott verbunden. Daher hatte Ezekiel seine Überzeugung auch zu seinem Beruf gemacht und war nun Pfarrer in der Gemeinde der Bonifatiuskirche.
Die Tür des Speisezimmers hinter ihm fiel ins Schloss und er schaute auf, als er Richard bemerkte, der gerade die Treppe hinunter kam. Der Geistliche setzte eine besorgte Miene auf. Ihm entging nicht der leichte rötliche Schimmer in den Augen seines Gegenübers. Welchen Kampf Richard gerade mit sich ausfochte, wusste der Clanälteste. Das andauernde Gefecht zwischen dem quälenden Hunger und der eigenen Vernunft, der eigenen Moral, war ein Durcheinander der Gefühle. Natürlich zeichnete sich dieser innere Kampf auch auf Richards Äußeres ab. Er sah abgeschlagen aus, seine Haut war blasser als sonst und auch entgingen Ezekiel die fast verblassten Bissspuren an dem Hals seines Freundes nicht. Zugegben, diese Art von Liebesspiel war nicht unüblich zwischen zwei Unsterblichen, vielmehr beunruhigte ihn die Tatsache, dass Jocelyns Bisse so langsam verheilten. Dies deutete auf keinen guten Gesamtzustand des Vampirs hin und Ezekiel machte sich ernsthafte Sorgen.
"Guten Morgen Richard", begrüßte er den Ehemann Joces dennoch und versuchte sich an einem leisen Lächeln. Der Angesprochene sah zu dem Pfarrer auf, bemühte sich jedoch nicht einmal ein Lächeln aufzusetzen, oder mit seinen Mundwinkeln auch nur zu zucken.
"Ezekiel", brummte Rich und nickte kaum wahrnehmbar in seine Richtung. Seine Hosenbeine schliffen über den Boden, während er die letzten Stufen hinabtrat und dann den Blickkontakt zu ihm suchte."Ich weiß wie ich aussehe und bevor du fragst: Genauso fühle ich mich auch", seufzte der Braunhaarige und fuhr sich durch die Haare. Ezekiel machte ein paar Schritte auf ihn zu und legte eine Hand auf seine Schulter.
"Du schaffst das, Richard. Ich weiß, wie schwer es dir fallen muss. Vor allem, wenn du so vielen Versuchungen ausgesetzt bist", murmelte der Pater und dachte dabei sowohl an Jocelyn, die nach frischem Menschenblut roch, sobald sie nur die Tür zu ihrer Behausung gestern Nacht geöffnet hatte, als auch an Maria, die gerade aus der Küche zu ihnen in den Flur spazierte.
Richard seufzte nur unzufrieden und fuhr sich über das Gesicht. Ezekiel drehte sich zu Maria um und erklärte ihr freundlich, dass seine Schöpfung auf sein Frühstück verzichtete und sie somit nach Hause gehen könnte. Dann drehte er sich wieder zu jenem um, legte eine Hand an seine Wange und beugte sich zu ihm vor.
"Du musst nicht allein dadurch", flüsterte Ezekiel in sein Ohr, lehnte sich zurück und wandte sich dann zum Gehen. Zuvor warf er sich noch seinen dunklen Mantel und Schal, sowie einen Hut, dessen Form man umgangssprachlich als Bowlhut bezeichnete, über.
"Auf Wiedersehen, einen schönen Tag noch Maria", verabschiedete er sich, wartete noch einen kurzen Moment, bis Richard das Speisezimmer betreten hatte und trat hinaus in das Regenwetter Londons. Er hatte Maria gebeten einen Kutscher zu organisieren, welcher die übrig gebliebenen Speisen bereits eingesammelt hatte. Ezekiel würde sich nun zuallererst zu dem Waisenhaus begeben, wobei er an Jocelyns schmerzhaftes Gesicht denken musste. Er wusste, welche Sehnsucht in ihr gewachsen war und er verstand sie. Die Vampirin wünschte sich nichts sehnlicher, als ihr eigen Fleisch und Blut. Ein Wunsch, den Ezekiel ihr nicht erfüllen konnte, selbst wenn er es gewollt hätte. Aber er konnte ihr sein Verständnis zeigen. Ihr klar machen, dass er ihren Schmerz verstand.
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Geschöpfe der Nacht
VampireBellatores benedicti sunt - Gesegnet sind die Krieger. Unter diesem Motto wandeln die Vampire Ezekiel, Bradley, Richard und Jocelyn gemeinsam durch die Jahrhunderte. Zeiten, die durch einen alles verzehrenden Hunger, ständiger Selbstbeherrschung und...