Bradley O'Brien
Flink kritzelten die Finger des Mannes auf dem Papier von links nach rechts. Von oben, nach unten, sodass jede noch so winzige Lücke von seinen Worten ausgefüllt war. Was ihn jedoch in seiner Geschwindigkeit inne halten ließ, war das gedämpfte Gespräch, welches er durch die Wände vernahm. Abrupt stoppte er seine Bewegung und spitzte wissbegierig die Ohren. Neugier war schon immer eine seiner Schwächen über die Jahrhunderte hinweg gewesen. Neugierde hatte ihn mehrmals bereits in eine missliche Lage gebracht, aus der er sich nur mit dem allergrößten Charme entziehen konnte oder aber jene Neugierde führte ihn direkt unmittelbar in die Arme des Todes. Aber als Bradley die honigsüße Stimme seiner vermeintlichen Schwester vernahm, wusste er, dass ihn lediglich der Tod in Form eines wohlgeformten Busen begrüßen würde. Er hatte sich sofort von seinem Platz erhoben. Denn ohnehin würde er sich nicht mehr auf seine Arbeit konzentrieren können. Etwas lag in der Luft. Das spürte er. Auch wenn er gerne vorgab nicht mit Empathie gesegnet zu sein, konnte er direkt die Pein von Jocelyns Gesicht ablesen, als er stürmisch die Tür seines Arbeitszimmers aufgerissen hatte. Sein Magen zog sich zusammen. Direkt vor ihm befand sich der Pater, Ezekiel, sein Ausdruck war noch blasser als sonst. Er legte der Frau eine Hand beruhigend auf den Rücken. Allerdings konnte er Bradley dadurch nicht täuschen mit seiner Besonnenheit. Deren Gespräch verstummte unentwegt, jedoch hatte der Lockenkopf längst alles davon vernehmen können. Er unterdrückte ein Seufzen und begann auf seiner Unterlippe zu kauen. Scheisse. Er wollte noch nicht ganz realisieren, was er mitbekommen hatte, doch je mehr sich das düstere Schweigen der Beiden ausbreitete, desto mehr sickerte diese unangenehme Erkenntnis in sein Unterbewusstsein.
„Wo ist Richard?", hallte Ezekiels tiefe Stimme auf dem Flur wieder. Jocelyns Haltung verspannte sich abrupt bei der Frage und sie starrte geistesabwesend auf einen unsichtbaren Punkt. Bradleys Mund wurde bei dem Anblick trocken. Doch er hielt wie üblich seine Fassung.
„Weiss nicht. Wahrscheinlich über seine Existenz schmollen", zuckte dieser lässig mit den Schultern und erntete einen scharfen Blick von der Frau. Aber es war doch irgendwo wahr. Der Autor konnte sowieso nicht begreifen weshalb sein selbst ernannter Schwager sich jene Strapazen antat mit dem Trinken von Tierblut. Wenn es jedoch eines gab, was Brad über die Jahrhunderte weg über Richard gelernt hatte, dann, dass dieser sich niemals mit seiner Verwandlung anfreunden wird. Als ihre Gemeinschaft noch aus ihnen Drei bestand war es sogar sehr schlimm. Jedes Mal wenn der ältere Mann seinem Durst nachgegangen war, fiel er unmittelbar danach in ein tiefes, dunkles Loch. Dabei spielte es für ihn auch keine Rolle, dass seine Opfer von der damaligen Königin höchstpersönlich in den Kerker geworfen wurden. Bradley musste schnell erkennen, dass er durch den Biss an Jocelyn wohl eher seinem Freund Seelenfrieden geschenkt hatte, als sich selbst. Aber das war in Ordnung. Mit der Frau an deren Seite war es tatsächlich für alle erträglicher gewesen. Sie brachte neuen Wind in die Runde. Auch wenn dies auf eine andere Weise geschah, wie er es sich vorgestellt hatte. Anfangs war es sehr schwer für ihn gewesen zu akzeptieren, dass Jocelyn nie für ihn die Person sein würde, wie sie es für Richard war. Denn nur aus jenem Grund war sie erst eine von ihnen geworden. Doch mit der Zeit wurde Bradley bewusst, dass er vielleicht gar keine Partnerin gebraucht hatte, sondern viel mehr jemanden wie eine Schwester, die ihm zuhörte, auf ihn einging und sich nicht abschrecken ließ von seiner fröhlichen Maske. Nein, sie schaute immer dahinter und bohrte nach, wenn er in schlechten Tagen nicht mit der Sprache rausrücken wollte. Sie war die Einzige, der er anvertrauen konnte, was wirklich in ihm vorging. Richard war für solche Dinge nicht empfänglich. Ausserdem war er was sowas anging selbst festgefahren. Und Ezekiel... Es war eher die Scham, die ihn nicht zu dem Pfarrer trieb. Er war stets soetwas wie ein Mentor für Bradley gewesen, auch wenn er nicht derjenige gewesen war, der ihn zu einem Vampir gemacht hatte. Doch vor ihm wollte er sich keinesfalls eine Schwäche eingestehen. Jener sollte in dem Glauben bleiben, dass Brad völlig in Ordnung war und sich selbst im Griff hatte. Er sollte darüber stolz sein und nicht enttäuscht. Vielleicht waren es aber eher vergangene Vater Komplexe, die er aus seinem Menschen Leben mitgenommen hatte, welche wiederum seine dumme Handlungsweise erklärten. Trotzdessen war dem Lockenkopf klar, dass Ezekiel alles wusste. Er beobachtete jeden und sog Wissen auf wie ein ausgetrockneter Schwamm. Allerdings war das noch lange kein Grund sich vor ihm zu erkennen zu geben. Aber wahrscheinlich wartete Ezekiel auch nur in seiner unendlichen Geduld.
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Geschöpfe der Nacht
VampireBellatores benedicti sunt - Gesegnet sind die Krieger. Unter diesem Motto wandeln die Vampire Ezekiel, Bradley, Richard und Jocelyn gemeinsam durch die Jahrhunderte. Zeiten, die durch einen alles verzehrenden Hunger, ständiger Selbstbeherrschung und...