Caleb Harris
Ohrenbetäubende Musik erklang im Hintergrund, allerdings war sie in diesem Moment für den Mann derartig leise, dass er keine Notiz davon nahm. Sein Blick war starr und vollkommen ausdrucklos auf das beinah leere Glas in seinen Händen gerichtet. In seinem Kopf herrschte eine Leere, die ihn zu ersticken drohte. Er fühlte sich miserabel. Daran konnte auch sein heiß willkommener Whisky nichts dran ändern. Zudem spürte er ein eindeutiges Ziehen in seinen Adern. Sein Magen rebellierte auf und sein Verstand begann ihn zu bedrängen. Er wusste genau was los war. Er hatte Hunger. Und nichts auf der Welt außer die Auslöschung eines Lebens mithilfe seiner Fangzähne würde ihn für einen Moment betäuben oder ihn auf andere Gedanken bringen. Es war frustrierend, wenn man daran dachte, dass es keine jeglichen anderen Substanzen mehr gab, die ihm seine Existenz erleichtern konnten. Nein, stattdessen saß er dort mit purem Alkohol zwischen seinen Fingern, welcher zwar stark schmeckte, dennoch nicht seinen Geist benebelte. Der morsche Hocker an seiner Seite knirschte jaulend, als eine Person sich zu ihm an die Theke gesellte. Caleb musste nicht aufschauen, um zu wissen, wer dort um seine Aufmerksamkeit bemüht war. Gerade hatte er weder die Kraft noch die Nerven um sich mit dem nächsten Thema auseinander zu setzen. Denn auch wenn er einige Zeit geschenkt bekommen hatte, seit dem Vorfall in der Taverne, hatte er indessen nichts anderes unternommen, als darüber zu grübeln. Was dies anging war er noch nicht zu einem Schluss gekommen. Immer wieder drehten sich seine Gedanken dabei im Kreis. Warum musste er eigentlich weiter leiden? War ein knappes Jahrhundert denn nicht genug gewesen? War das eine Art Strafe für seine Sünden? Er glaubte es kaum. Denn Gott interessierte sich nicht für seinesgleichen. Irgendetwas oder Irgendjemand anderes musste über ihn richten. Oder war es wirklich so, dass er selbst alles in der Hand hatte? Was hatte er dann falsch gemacht? War es ein Fehler gewesen Scott nicht mit offenen Armen zu empfangen? Hätte es seine Qual gemindert oder wäre es nur schlimmer gewesen? Caleb dachte an Zweiteres. Es hätte ihn innerlich zerstückelt, wenn er schlichtweg seine Empfindungen ignoriert hätte. Er hätte es nicht geschafft ein Lächeln sich aufzuzwingen und so zu tun, als hätte Scott lediglich ein Treffen für ein Kaffeekränzchen abgesagt. Doch nun ging es ihm auch nicht besser. Er fühlte sich wie ein Schatten seiner selbst.
Fingernägel trommelten auf das Holz des Tresens und wollten ihn dazu bewegen, die Person anzublicken, die sich an seine Rechte geschlichen hatte. Doch der Schotte ignorierte die aufdringliche Frau. Das Einzige, was ihm verräterisch in die Nase stieg, war ihr süßer Geruch. Allerdings verhungerte er lieber anstatt sich ihrer zu bemächtigen. Das und er war nicht so leichtsinnig wie andere seines Clans, die willkürlich mordeten.
„Mein Lieber, du siehst aber gar nicht gut aus", befand Luna und eine dunkelrote Strähne löste sich gleichzeitig aus ihrer Hochsteckfrisur. Caleb antwortete nicht. Ihm war bewusst, dass er mal wieder einen schrecklichen Anblick abgab. Es war ihm egal. Es war ihm alles egal. Dementsprechend nippte er an seinem Getränk und leerte jenes somit. Er wünschte sich wie oft an einen Ort, der überhaupt nichts gleich hatte mit diesem stinkenden Etablissement. Aber wie so oft war dies nicht möglich. London hatte ihn in seinen Fängen. Genau wie sein Clan. Doch war es überhaupt möglich etwas an jener Tatsache zu ändern? Immer wieder hatte er sich die vergangene Konversation in Erinnerung gerufen. Nach seinen Erfahrungen gab es keinen Ausstieg aus seiner Bande. Sie endete lediglich mit dem Tod. Oder gab es trotzdem einen Weg? Gab es eine Möglichkeit, dass Caleb sein Vaterland wieder sehen konnte? Die wohl wichtigere Frage war, ob er dies überhaupt wirklich wollte. Wollte er einfach aussteigen und sein vorheriges Leben hinter sich lassen? Welchen Preis würde er zahlen? Um ehrlich zu sein, gab es kaum Dinge, die ihn tatsächlich hier an jene gottverdammte Stadt hielt. Und sein Heimweh wuchs mit jeder verstrichenen Sekunde. Doch trotz allem war dort etwas oder besser gesagt jemand, der ihn prompt wieder zurück holte, wenn er darüber nachdachte. Er hatte Leo nach ihrer vergangenen Auseinandersetzung nicht mehr gesehen und wenn er sich nicht in seinem jetzigen Zustand befinden würde, hätte er ihn vermutlich mal aufgesucht. Doch so war die Zeit schlicht an ihm vorbei gestrichen. Er hatte viele Stunden damit verbracht sich Kopfschmerzen herbei zu rufen, indem er das Geschehene abermals durchging. Noch immer wollte ihm nicht wirklich aufgehen, weshalb der blonde Mann unbedingt wissen wollte, ob Caleb bereit war sie zu verlassen. Wenn es überhaupt im Bereich des Möglichen lag. Er traute Scott jedenfalls nicht. Nichtsdestotrotz musste er sich eingestehen, dass er nicht verschwinden konnte. Es lag keine Zukunft für ihn in Schottland. So bitter es auch war, sich dies einzugestehen. Es würde ihn für einen Moment oder sogar mehrere unglaublich erfüllen, doch was war dann? Er wäre allein. Und ein Vampir allein in einem Territorium, welches eigentlich von ganz anderen Geschöpfen regiert wurde, war höchst gefährlich. Er wusste nicht genau wie die Dinge nun lagen, doch soweit er sich erinnerte hörte man weit und breit immer nur das elende Geheule der Werwölfe. Was auch erklärte, weshalb Caleb niemals auch noch durch ein Ritual an Scott gebunden war. Die Hexen dort in Schottland praktizierten helle Magie und hatten somit nichts mit Vampiren am Hut. Es gab wenige, die tatsächlich auf der anderen Seite standen. Doch niemand von ihnen hätte ihnen in jener Weise weiter geholfen. Umso merkwürdiger schien alles nun, wo Scott Wahnvorstellung von einem bevorstehenden Krieg hatte. Woher bekam er seine Informationen? Etwa doch von einer Hexe? Nun in London war es nicht unüblich... Aber weshalb sollte sie irgendwas mit ihm zu schaffen haben? Was verbirgte er noch alles? Und wollte er ihn wirklich nur wieder als sein Werkzeug benutzen? Oder war das alles doch ein riesiges Missverständnis? Vielleicht wollte sein Schöpfer ihn ja niemals verlassen, doch Caleb hatte ihn sich nicht erklären lassen. Es gab hierfür nur einen Weg um dies herauszufinden.
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Geschöpfe der Nacht
VampireBellatores benedicti sunt - Gesegnet sind die Krieger. Unter diesem Motto wandeln die Vampire Ezekiel, Bradley, Richard und Jocelyn gemeinsam durch die Jahrhunderte. Zeiten, die durch einen alles verzehrenden Hunger, ständiger Selbstbeherrschung und...