Kapitel 3 - Der Weg in den Abgrund

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Timothée Marchand

Es war als würde er aus einem Traum erwachen. Seine Augen waren verklebt und es fühlte sich an als hätte er einen Frosch in seiner Kehle nisten. Als er versuchte seine Glieder zu strecken jagte ihn ein stechender Schmerz die Wirbelsäule hoch und er gab dadurch einen gequälten Laut von sich. Unmittelbar daraufhin bewegte sich etwas neben ihm und er vernahm ein seltsames Zischen an seinen Ohren. Ihm pochte der Schädel. Es war so stark, dass er keinen klaren Gedanken zu fassen vermochte. Langsam versuchte er sich aufzusetzen, doch trotzdem machten ihm seine furchtbaren Gliederschmerzen einen Strich durch die Rechnung. Seine Augen versuchten sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, die ihn in ihren Umhang einlullte. Orientierungslos schaute er sich um und gleichzeitig sprang ihm die Frage in den Kopf, wo um alles in der Welt war er? Unter seinen Fingerkuppen befand sich steinharter Beton und egal in welche Richtung er schaute, vor ihm erstreckte sich ein meilenweiter Schacht. Wie war er hier her gekommen? Der Versuch sich daran zu erinnern löste bei ihm nur noch mehr Leiden aus. Er musste sich beruhigen. Aber wie ging das? Seine Sinne spielten vollkommen verrückt.

Erneut vernahm er eine Art Fauchen und er spannte wie wild geworden seinen Körper an. Panisch blickte er sich um, konnte jedoch nichts dergleichen ausmachen, was ihn nur noch nervöser machte. Keine Sekunde später wurde er mit einem derartigen Lärm überrannt, dass er sich verstört zusammen krümmte und dachte ihn würde das Zeitliche segnen. Er konnte die Laute kaum beschreiben, es hörte sich an wie riesige Pferdehufen, die auf ihn nieder prasselten. Ein Quietschen, welches einer Kutsche ähnelte mischte sich darunter. Und so abrupt wie das Geräusch ihn befallen hatte, verschwand es auch direkt wieder. Entgeistert sah der junge Mann auf seine Handflächen und je länger er sie anstarrte, desto mehr spürte er die Wärme aus ihnen weichen. Er konnte und wollte nicht fassen was gerade vor sich ging. Er besaß keine Erklärung dafür. Wo um Himmels Willen war er? War das die Hölle?

„Wir sind in der Kanalisation", erklang es und Timothée rutschte das Herz in die Hose. Als hätte die schnarrende Stimme seine Gedanken gelesen, war es ihm trotzdem unmöglich die Bedeutung dieser Worte zu glauben. Angsterfüllt suchte der Junge in dem Schwarz nach dem Etwas, das gerade zu ihm gesprochen hatte. Doch er erkannte nichts. Er ballte die Hände zu Fäusten. Wenn er angegriffen werden würde, müsste er sich verteidigen. Hoffentlich fielen ihm noch die einen oder anderen Tricks ein, die ihm sein älterer Bruder beigebracht hatte.
„W-Wer sind Sie?", wollte er wissen und es war ein klägliches Unterfangen dabei gefasst zu klingen. Jeder Taube hätte die Furcht an seinem Unterton gehört.

„Wir haben hier unten keinen Namen", erwiderte die fremde Person und es klang beinah wie eine Klapperschlange. Ein Scharren kratzte über den Boden und verpasste Timothée eine fette Gänsehaut. Mit einem Ruck wollte sich der Junge auf die Beine hieven. Auch wenn dies unheimliche Qualen seiner sämtlichen Knochen verursachte, war sein Horror und sein Schreck viel zu groß. Er wollte sich dagegen wehren, was ihm blühte. Aber das Wesen, was auch immer zu ihm gesprochen hatte, machte sein Vorhaben zunichte. Das Kratzen auf dem Beton wurde unermesslich laut und eigentlich wollte Timothée das Weite suchen, doch er war plötzlich wie fest gefroren. Er konnte keinen Muskel rühren, als hätte ihn eine Paralyse überfallen. Er wollte schreien, kreischen aus voller Kehle. Doch nichts dergleichen geschah. Die Heidenangst in seinen Adern wurde untragbar. Was geschah mit ihm?

Dann als er dachte seine Augen hätten sich endlich an die Finsternis gewöhnt, sah er eine krumme Kreatur auf allen Vieren vor ihm. Der Anblick der Gestalt war so verstörend, dass Timothée nicht anders konnte als sie völlig entsetzt anzublicken. Der kahle Kopf und die krallenartigen Nägel des Etwas machten es nicht besser. Spitze Ohren die einem Dolch glichen, waren in die Höhe gerichtet. Das Monstrum neigte den Kopf neugierig zur Seite und besah sich den Jungen aus dunklen Smaragden. Dies war wahrscheinlich auch das Einzige was es in irgendeiner Weise menschlich machte. Anschließend schnipste es in seine Krallen und Timothée konnte sich wie durch ein Wunder von der Stelle rühren. Er fiel rückwärts erneut auf seinen Rücken, was ihm einen erstickten Schmerzenslaut entlockte. Daraufhin krabbelte das Monster zu ihm und Timothée erkannte dessen hagere, beinah abgemagerte Figur. Er ekelte sich.

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