Prolog - Tage des Todes

124 10 2
                                    

Jocelyn Clearwater

Wie benommen starrte die Untote auf das rostige Messer vor sich. Es war befleckt mit dickflüssigem, rotem Blut, was bereits ihre Lippen benetzte und in Folge dessen sich auch ihre eigenen Augen rot färbten. Wie im Rausch ließ sie ihren Kopf in den Nacken fallen und ein Lächeln zierte ihr Gesicht. Ein Rinnsaal Blut klebte an ihrem Kinn, ihre teure Hose war rostrot in dem fahlen Licht der Gaslaterne und der Zylinder auf ihrem Kopf rutschte ihr abermals hinunter auf die Stirn. Sie betrachtete die vielen Pfützen, die sie umgaben und die leeren grauen, traurigen Augen, die an die Decke starrten. Jocelyn erhaschte einen befriedigenden Blick auf den aufgeschlitzten Torso ihres Opfers und die Organe, die im hereinfallenden Mondlicht glitzerten. Wie Schlingen aus Papier lag der Darm der Prostituierten so offen dar und das Blut an ihrer aufgeschlitzten Kehle war bereits geronnen. Fast schon glich dieser Anblick dem Fingerfarbenbild eines Kindes befand sie und war zufrieden. Es brachte ihr eine perverse Genugtuung den Uterus auf ihrem Schoß zu betrachten und zu wissen, dass die Hure zu ihren Füßen nie wieder der Möglichkeit ausgesetzt werden würde, ein Kind zu zeugen und dieses in ihrem Schoß heran wachsen würde.

Wie oft mussten Ezekiel und Richard die Vampirin schon zügeln den trächtigen Menschenweibern nicht die Kehle zu zerfleischen, oder am hellichten Tag ihre Unterleibe in tausend Teile zu zerfetzen. Was eine süße Fantasie, die Jocelyn schon eine ganze Weile verfolgt hatte und der sie nun im Schleier der Nacht endlich ein Gesicht verleihen konnte. Um die Huren Whitechaples würde wohl kaum jemand weinen.

Erneut erhob sie das Messer und fokussierte die Klinge, an der sie dann genüsslich ihre Zunge entlang gleiten ließ und das süße Blut in ihrem Mundraum eine Geschmacksexplosion verursachte. Frauen hatten tatsächlich das süßeste Blut. In solchen Momenten konnte sie sich in Bradley hineinversetzen, verstehen warum er damals ihre eigene Kehle zerfetzte. Es versetzte sie schon in eine Art Extase, wenn sie das Blut der Weiber nach langatmiger vorheriger Arbeit, endlich kosten konnte. So sehr, dass sie es bedauerlich fand, dass Richard gerade in diesem Moment nicht bei ihr war. Wie gerne würde sie jetzt über ihn herfallen, hier in diesem Blutbad und ihre Eroberung mit ihm teilen.

Jocelyn konnte schmecken, dass diese Frau fruchtbar gewesen war, was ihren Blutdurst nur noch mehr entfachte und einen unheimlichen Zorn in ihr hervorrief und sie daher verächtlich die Gebärmutter in ihrem Schoß betrachtete. Dieses kleine Ding. Dieses kleine Organ, was ihr seit einiger Zeit so furchtbar viel Kummer bereitete. Sie sah hinab auf ihren Bauch, dort wo sich ihr eigenes Organ befand und doch so nutzlos war.

„Hätte mir jemand, so wie dir, einfach meinen Bauch aufgeschlitzt und dieses fürchterliche Etwas entnommen, würde es keinen Unterschied machen", dachte Jocelyn verächtlich und steckte das Messer zurück in die Innentasche ihres Jackets. Diese Männermode brachte schon einige Vorzüge mit sich. Kein lästiger Reifrock, der ein gebärfreudiges Becken vorlog. Kein Korsett, das die Taille einer Wespe versprach, sondern eine Anzughose. Dazu ein passendes Ausgehjacket, welches das blutbesudelte weiße Hemd verbarg, das Jocelyn an ihrem eigenen Leibe trug. Sie rückte den Zylinder auf ihrem Haupt zurecht und sah zu ihrer Rechten. Dorthin wo der Gehstock hingerollt war, als sie sich über ihr Opfer hergemacht hatte. Ezekiel würde ihr ein paar Schrammen verzeihen.

Seufzend schloss Jocelyn für einen Moment ihre Augenlider und schmatzte laut. Sie hörte den Straßenlärm durch das geöffnete Fenster hineindringen, das Stöhnen von Dirnen, das Husten der betrunkenen Arbeiter, Pferdehufe... Aber nein, das Gefühl, die Wut, die sich in ihrem Bauchraum breit machte, wollte nicht verschwinden. Sie öffnete mit einem Male blitzschnell die Augen und fletschte die Zähne. Mary Janes Augen waren zwar bereits leer und die Tränen auf ihrem Gesicht getrocknet, aber Jocelyn befand, dass ihr Werk noch nicht vollendet war. Langsam erhob sie sich vom Boden, setzte den Hut von ihrem Haupt ab und betrachtete die Leiche vor sich. Zwar war die Dame nur noch eine Hülle ihrer Selbst und sämtliche Lebensgeister bereits von ihr gewichen, aber dennoch brodelte der Neid in Jocelyn. So sehr, dass sie erneut nach dem Messer in ihrer Brusttasche griff und hasserfüllt auf das tote Fleisch vor ihr blickte.

Geschöpfe der Nacht Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt