Kapitel 1

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>> Sechs Jahre später <<

Manchmal legt uns das Leben Steine in den Weg. Und manchmal verbittern wir daran, diese zu überqueren. Wir verbittern an den Gedanken, einen Umweg zu finden. Doch wenn wir diesen gefunden haben, wer geht mit uns?...

Verbittert legte das Mädchen seinen Notizblock nieder und kaute an seinem Bleistift. Statt der klaren Gedanken die sie sonst immer hatte, plagte sie die Unruhe. Deprimiert vergrub sie ihr Gesicht in einer der umherliegenden Decken. Langsam begann Viola zu zittern, so als würde man ihr jegliche Wärme entziehen.

Plötzlich klopfte es an ihrer Tür: „Schatz, versteckst du dich noch immer in deinem Bett?". „Nein.", murmelte das Mädchen. Behutsam betrat ihre Mutter ihr Zimmer: „Du musst echt damit aufhören.".

„Was mache ich denn?", fragte die Braunhaarige, während sie sich aufrichtete. Die ältere Dame ließ sich auf ihrer Bettkante nieder: „Nun ja, ein paar Tage vor deinem Geburtstag verkriechst du dich immer in dein Zimmer. Du solltest den Tag feiern Schatz.". „Das tue ich doch Mama.". Ihre Mutter lachte laut auf: „Fehlt nur noch, dass du schwarze Klamotten trägst.". Beleidigt öffnete das Mädchen seine Kinnlade und begann zu grinsen: „Ich zeige dir, wie schön ich feiern kann. Du wirst sehen.".

So sprang Viola aus dem Bett und riss die Vorhänge weit auf. Doch als die Sonne hineinschien, kniffen beide die Augen zusammen. „Zu viel Motivation?". „Definitiv.".

Die ältere Dame stand auf: „Und lädst du Leonie ein?". „Natürlich, ich frage sie gleich in der Schule. Der Abend wird toll, du wirst staunen.", mit einem frechen Grinsen öffnete das Mädchen seinen Kleiderschrank. Ihre Mutter beobachtete Viola dabei, wie sie ihre Klamotten für den heutigen Tag heraussortierte. „Das hast du seit Ewigkeiten nicht mehr angezogen.", die ältere Dame berührte den leicht kratzigen Stoff, der dem blauen Pullover einen Schimmer verlieh. Die Braunhaarige zuckte mit den Achseln: „Zeit für Veränderung.".

*

Wie jeden anderen Morgen auch, hörte Viola dieselben Lieder auf dem Weg zur Schule. Der Wind wehte ihre Haare umher und ließ ihre Fingerkuppen gefrieren. Zitternd verstaute das Mädchen seine Hände in die Jackentasche. Bei der Kälte gefror ihre Nasenspitze und ihr Atem wurde sichtbar.

Beim Betreten des Gebäudes schlug ihr die Wärme förmlich ins Gesicht, sodass sich ihre zärtliche Haut pochend anfühlte. „Viola, da bist du ja!". Und von einem Moment zum anderen, fiel ihr ihre beste Freundin um den Hals: „Hey Leonie, wie geht es dir?". „Ganz Okay, ich habe ein bisschen Stress mit meiner Familie. Wie kommst du hier eigentlich zurecht? Die Gebäude sind alle so groß und unübersichtlich.", Leonie schaute sich um. Viola schloss sich dem kurzhaarigen, blonden Mädchen an: „Äußerst verwirrend. Wir sind allerdings erst seit zwei Wochen hier, also wird das schon. Und wegen deiner Familie, wenn du darüber reden möchtest, gib mir Bescheid.".

Leonie schüttelte den Kopf: „Alles gut, die nerven nur.". Das braunhaarige Mädchen grinste leicht: „Das wird sich legen.".

Nun legte die Kurzhaarige ihren Kopf schief und kniff die Brauen leicht zusammen: „Viola, du hast absolutes Glück mit deiner Mutter. Ihr versteht euch so gut. So als wärt ihr beste Freundinnen. Was sich bei dir schnell legen würde, dauert bei meinen Eltern länger.". „Da hast du vermutlich Recht.". Leonie grinste zu Viola hinab: „Das habe ich immer.".

„Du Leo, hast du vielleicht Lust... Morgen vorbeizukommen?". Die Augen der Kurzhaarigen weiteten sich: „An deinem Geburtstag? Was habe ich verpasst? Selbstverständlich komme ich.".

„Danke.", das braunhaarige Mädchen lächelte und wollte gerade noch etwas sagen, doch es wurde durch das Anrempeln einer Person unterbrochen: „Oh man, das tut mir leid. Ich habe dich gar nicht gesehen.". Viola schaute zu dem Jungen hinauf. Er hatte blondes Haar und hervorstechende grün-blaue Augen.

„Alles gut, nichts passiert.", das Mädchen lächelte leicht verlegen. „Dann ist ja alles gut.", der Junge tat es ihr gleich. Für einen Moment war alles ruhig. Leonie schaute die Beiden abwechselnd an und räusperte sich. Mit einem mahnenden Blick schaute die Braunhaarige zu ihr hinüber: „Na dann, wir müssen los.". „Okay ja, ich auch. Man sieht sich.". Als sich die Beiden einige Schritte von dem Jungen entfernt hatten, stoß Leonie das Mädchen mit den Ellbogen an: „Du hast da ein wenig Sabber hängen.". „Sei leise.".

*

Der Schultag verging langsam, so als würde man dem Uhrzeiger verbieten sich fortzubewegen. Und selbst wenn all diese Stunden lehrreich waren, fühlte sich der Tag wie eine Verschwendung an. Keiner wusste die verursachte Leere zu beschreiben. Als das Mädchen zuhause ankam, traf es auf ihre Mutter die ihr zwei verschiedenfarbige Banner vor die Nase hielt: „Lila oder Pink?". „Weder noch.", Viola grinste und lief an ihr vorbei. „Aber da steht sweet 18 drauf.". „Mama du weißt, dass nur Leonie kommt. Du brauchst keine Banner zu kaufen.".

Die ältere Dame lief ihr hinterher: „Du wirst nur einmal 18. Komm schon.". Viola drehte sich zu ihr und schüttelte grinsend den Kopf. Mit einem übertriebenen Schmollmund ließ sich die Braunhaarige letztlich überreden: „Ich will einen in Rot.". Zufrieden verschwand ihre Mutter.

Die Braunhaarige ging auf ihr Zimmer und legte sich ins Bett. Irgendetwas störte unter der Bettdecke, sodass das Mädchen erschrocken umherfuchtelte. „Ach... Du bist es.", erleichtert hielt sie ihren Notizblock in der Hand. Dieser war der Einzige, der ihr vernünftig zuhörte. Sie konnte ihre Sorgen niederschreiben ohne die Angst, dafür verurteilt zu werden. Behutsam strich sie über das Cover, bevor sie es öffnete. Denn dort hatte sie ein Bild von ihren Eltern eingeklebt. „Wie lange es her ist...", murmelte das Mädchen und schlug die erste Seite auf.

„02.10.2010

Es ist gerade Mal zwei Wochen her und Mama hat noch immer nicht mit mir gesprochen. Manchmal schleiche ich mich die Treppen herunter und sehe wie sie dasitzt. Völlig verstört mit Tränen in den Augen. Dieser Anblick brach mir das Herz. Papa, normalerweise müsstest du sie jetzt trösten. Einer unserer Rosen aus dem Garten holen und sie überraschen. Doch du bist nicht da. Du hast versprochen auf dich aufzupassen und doch kamst du nicht nachhause. Ich würde lügen, wenn ich schreiben würde, dass ich dich nicht vermisse. Denn das tue ich. Ich bin so verletzt, dass ich nicht einmal mehr weinen kann. Du warst immer da und ich hätte nie daran Gedacht, dass du es irgendwann nicht mehr bist.

Viola"

Deprimiert senkte das Mädchen seinen Blick. Auch wenn es bereits sechs Jahre her war, verging kein Tag, an dem sie nicht an ihn dachte. Sie legte ihren Notizblock nieder und starrte die Decke an, ihre Atmung wurde Flacher. Doch lange konnte das Mädchen nicht in seinen Gedanken versinken, denn das Telefon klingelte:

„Hallo?", Leonies Stimme erklang am anderen Ende der Leitung. „Hey. Wie geht's dir?". „Ganz fürchterlich, deswegen rufe ich dich an. Ich brauche ein wenig Ablenkung. Also erzähl mal, wie geht es dir?". Viola atmete tief durch: „Bei mir ist alles gut. Besser du erzählst mir, was bei dir los ist.". „Das klingt nach einer guten Idee. Sie haben mich erwischt.", sagte die Kurzhaarige. „Wobei erwischt?". „Beim Kiffen. Viola die nerven mich so übertrieben damit. Können sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?".

Dieses Mal musste die Braunhaarige den Eltern des Mädchens zustimmen. Sie war viel zu Jung um ihr Leben so wegzuwerfen. „Leonie... Vielleicht haben deine Eltern nicht ganz Unrecht. Du hast noch dein gesamtes Leben vor dir und du bist auch ohne Drogen nehmen zu müssen, eine wundervolle Person.".

Doch ihre Meinung kam bei dem Kurzhaarigen Mädchen nicht gut an. Der Klang ihrer Stimme wurde kälter und lauter: „Willst du jetzt meine Mutter spielen? Die Drogen helfen mir alles zu verarbeiten. Ich habe dich angerufen um Unterstützung zu erhalten, nicht um deine Vorwürfe zu hören.". Wütend legte Leonie auf.

„Wenn du nicht damit angefangen hättest Drogen zu nehmen, bräuchtest du auch keine, um die Reaktion deines Umfelds zu verarbeiten.", murmelte das Mädchen vor sich hin.

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